"Wellinger kann einen Hype lostreten"

Von Christoph Köckeis
Alexander Pointner ist seit 2004 Trainer der ÖSV-Springer
© imago

Alexander Pointner ist seit 2004 das Mastermind hinter Österreichs Skisprung-Imperium. Bei SPOX blickt der 42-Jährige zurück: Ein Interview über Personenkult, eine bröckelnde Vormachtstellung und utopische Rekordjagden. Zudem verrät der ÖSV-Cheftrainer, warum die FIS mit Respektlosigkeit glänzt, er an der neuen deutschen Welle (noch) zweifelt und Andreas Wellinger der Erlöser sein kann.

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SPOX: Olympische Spiele verlangen einen systematischen Formaufbau. Herr Pointner, erlauben Sie mir die Gretchenfrage: Wie gelangen Ihre Schützlinge zum Saison-Höhepunkt an den Zenit - ohne Vierschanzen-Tournee und Weltcup zu vernachlässigen?

Alexander Pointner: Mit Ruhe und Geduld - und die können wir haben. Wir müssen Erfolgen nicht mehr hinterherlaufen, haben gewonnen, was es zu gewinnen gibt. Gewisse Mechanismen funktionieren, das macht es leichter. Olympische Spiele sind alle vier Jahre, da wird im Vorfeld einiges in Bewegung gesetzt werden, neue Ressourcen angezapft, um die beste Vorbereitung zu gewährleisten. Diesmal streuten wir unsere Einsätze im Sommer-Grand-Prix sparsam. Wir wollten uns die Zeit nehmen, nicht von Juli bis Oktober im engmaschigen Wettkampf-Zyklus performen. Letztlich ist es eine Wintersportart - im Sommer schafft man die Grundlagen.

SPOX: Skispringen und Trainingssteuerung - passt das?

Pointner: Es gibt Sportarten, wo sich die Formkurve definitiv gezielter timen lässt. Bei uns spielen viele Faktoren zusammen. Unbekannte wie das Selbstvertrauen liegen nicht in unserer Hand. Nach schwierigen Wettkämpfen gilt es, die Balance zu bewahren. Körperliche Entwicklungen sind steuerbar, technische weniger. Wenn wir jetzt damit anfangen würden, Änderungen beim Sprungstil vorzunehmen, wären wir automatisch Zweiter. Die Automatismen verankert man in den Jahren zuvor, in der Vorbereitungsperiode vor Olympia muss das Paket stehen.

SPOX: Die ÖSV-Überflieger triumphierten acht Mal en suite im Nationencup, vergangene Saison entriss Ihnen Norwegen den Titel. Manch Fan wähnt die totale Dominanz gebrochen - was erwidern Sie?

Pointner: Ich gehe davon aus, dass wir bald wieder über drei bis vier Mann verfügen, die in die Kategorie Siegspringer fallen. Thomas Morgenstern ist neben Gregor Schlierenzauer das Maß aller Dinge in unserem Team. Unser Hauptziel war, bei Thomas im sportlichen und privaten Bereich (Anm.: Morgenstern trennte sich von Langzeitfreundin Kristina) festen Boden unter die Füße zu bekommen. Wir wollten ein breites Fundament schaffen, auf dem er wieder stark agieren kann. Er entwickelte zuletzt immer mehr Freude sich zu messen, siegte in Titisee-Neustadt - dann kam der Sturz. Er ist von den körperlichen und technischen Standards von der internationalen Leistungsfähigkeit auf höchstem Niveau. In Zukunft wird bestimmt Andreas Kofler hinzustoßen. Was dahinter passiert, hängt von den Weichenstellungen ab.

SPOX: Eine "neue deutsche Welle" flutet aktuell den Weltcup - was haben Andreas Wellinger und Co. den rot-weiß-roten Hoffnungsträgern voraus?

Pointner: Ob das eine neue deutsche Welle ist, sollten wir abwarten. Die Vierschanzen-Tournee steht vor der Tür, da wird man sehen, wie die Jungen mit einer Drucksituation umgehen. Man weiß in Deutschland, dass man zehn Jahre bei Großereignissen das Nachsehen hatte. Die Zeit ist definitiv reif, das konnten sie beweisen. Es ist nicht ihre erste Bewährungsprobe, der Kader wurde durch Marinus Kraus oder Andreas Wellinger noch breiter - das schürt die Ansprüche. Die junge Garde um Stefan Kraft und Michael Hayböck wird es den Deutschen hoffentlich gleichtun. Sie haben das Talent dazu.

SPOX: Die DSV-Adler drängen unaufhaltsam in die Elite. Was ist beschwerlicher - der steinige Weg dorthin, oder seinen Nimbus zu verteidigen?

Pointner: Ich erlebte als verantwortlicher Trainer beides. 2004 übernahm ich eine Mannschaft, wo erste Anzeichen der goldenen Generation um Morgenstern und Kofler zu erkennen waren. Danach kam mit Schlierenzauer ein weiterer Newcomer hinzu, stieg zum Star auf. Ich sah, welche Auswirkungen das hatte, welche Status-Spielchen entweder fördernd oder hemmend sind. Schlierenzauer und Morgenstern flogen kometenhaft in den Weltcup wie die jungen Deutschen. Plötzlich können sie sich ausleben. Es ist einfach, hineinzurutschen und unbekümmert aufzutrumpfen. Die wahren Bewährungsproben warten danach.

SPOX: Oben zu bleiben, ist demnach fordernder?

Pointner: Ja, es wird wesentlich komplexer! Die Erwartungshaltung vom engeren Umfeld und in weiterer Folge international schraubt sich derart hoch, dass es belastend wird. Stars tauchen auf und gehen. Die wahren Größen halten sich über ein Jahrzehnt, formen den Sport und tragen nicht nur Verantwortung für ein Team, sondern für die ganze Szene. Mit Erfolg zurecht zu kommen, auch Partner und Sponsoren zu bedienen, die die Ausbildung finanzierten - manche denken sich: Früher, wo ich nur Skispringen musste, war alles einfacher.

SPOX: In der Alpenrepublik brach ein regelrechter Personenkult um die ÖSV-Boygroup aus. Schlierenzauer und Co. erlangten Heldenstatus, sind begehrte Werbeträger und lächeln von unterschiedlichsten Bühnen. Inwiefern erwarteten Sie dies?

Pointner: Bei Amtsantritt hatte ich diese Dimensionen im Kopf. Wir begannen damals mit der Arbeit. Ich wollte nicht allein den Kernbereich, sprich das Sportliche, auf eine neue Ebene heben. Die Mannschaft sollte gut funktionieren, jeder seinen Platz darin finden, Verantwortung übernehmen und seine Leistung, seinen Charakter ausleben können. All das wurde unter dem Deckmantel der Super-Adler von Sponsoren und Öffentlichkeit vereint. Wir wollten einen neuen Stellenwert erlangen.

SPOX: Das ist zweifelsohne gelungen.

Pointner: Wir haben die Alpinen, die für Österreich bedeutend sind, überholt. Vor zehn Jahren bekam ich noch Bauchkrämpfe, wenn jemand Skispringen als Randsportart bezeichnete. Heute bin ich stolz, dass es eine ist. Im letzten Jahrzehnt tat sich in Österreich unheimlich viel. Wir bereiteten jeden bewusst vor. So standen wir dem Ganzen gestärkt gegenüber und jeder hatte Freude, dass es vorwärts ging. Sonst hätte uns der Hype im Jahr 2008 überrollt und es wären nicht die Super-Adler übrig geblieben.

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