Stephan: "Es herrscht Chaos in meinem Leben"

Von Interview: Barbara Kuhn
Besonders stolz ist Christoph Stephan auf seine beiden Titel bei der Sommer-WM in Oberhof
© Imago

Er ist der Exzentriker und Spaßvogel unter den deutschen Biathleten: Vizeweltmeister Christoph Stephan. Im Interview mit SPOX spricht der 23-jährige Thüringer über Biathlon-Psychos, Tattoos und seine zwei Gesichter.

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SPOX: Herr Stephan, Sie gelten als wilder Vogel, weil Sie Filme von Quentin Tarantino und Guy Ritchie mögen, vor allem aber wohl wegen Ihrer Tätowierungen.

Stephan: Ich habe mittlerweile neun Tattoos. Die haben aber alle nichts mit Sport zu tun. Alles private Dinge, die mich bewegen oder die mich fasziniert haben. Solche Anlässe habe ich dann festhalten lassen. Alle meine Tattoos haben ihre eigene Geschichte.

SPOX: Ihre sportliche Geschichte kann sich aber auch sehen lassen. Nach der Silbermedaille bei der WM in Pyeongchang Anfang des Jahres und ihren Triumphen bei der Sommer-WM wurden Sie mit Preisen überhäuft. Wie fühlt sich der Erfolg an?

Stephan: Das ist schon ein gutes Gefühl. Solche Titel und Auszeichnungen sind immer etwas Besonderes. Vor allem, wenn deine Konkurrenz aus so namhaften Athleten besteht. Da bin ich schon ein bisschen stolz.

SPOX: Sportlich hat die neue Saison aber nicht gut angefangen: Im Frühjahr litten Sie unter einer Sehnenscheidenentzündung im rechten Arm.

Stephan: Das war wirklich sehr unangenehm. Ich war fünf Wochen komplett außer Gefecht gesetzt. Ich musste die Entzündung erst richtig auskurieren. Wir haben dann das Training entsprechend umgestellt, um den Arm nicht zu sehr zu belasten. Aber der Ausfall hat mich ganz schön angekäst.

SPOX: Wie holt man so einen Trainingsrückstand wieder rein?

Stephan: Aufholen ist im Sport immer so eine Sache. Eigentlich ist es unmöglich. Man kann immer nur das Beste aus der aktuellen Situation machen. Aufholen im Training geht sowieso nicht. Das endet nur damit, dass man übertrainiert - und das ist absolut sinnlos.

SPOX: Trotzdem waren Sie bei der Sommer-WM doch sehr erfolgreich.

Stephan: Stimmt, dafür lief's eigentlich ganz gut. Ich bin dann doch eher ein Wettkampftyp. Zuvor bin ich im Training immer fast verzweifelt und war schon den Tränen nah.

SPOX: Wie haben Sie sich in der Phase motiviert?

Stephan: Ich hab nur gedacht: Was ist denn hier los? Ich kam einfach überhaupt nicht mehr vorwärts und habe richtig Panik bekommen. Irgendwann war der Abstand zu den anderen einfach zu groß und ich dachte, die laufen mir jetzt alle davon. Das war schon scheiße. Aber ich bin sehr ehrgeizig und habe einen gewissen Anspruch an mich. Ich konnte mich da wieder rausziehen und mich steigern. Jetzt passt die Form.

SPOX: Gibt es besondere Dinge, die man in einer Olympia-Saison beachten muss?

Stephan: Es ist immer schwer, einen guten Einstieg in die Saison zu finden. Wenn man den gefunden hat, klappt es oft von allein. Wenn's läuft, dann läuft's. Ich muss beispielweise immer genau darauf achten, meine Ruhephasen einzuhalten. Das ist für mich auch mental enorm wichtig.

SPOX: Wie sehen diese Ruhephasen bei Ihnen aus?

Stephan: Ich bin definitiv nicht der Typ, der immer nur an seinen Sport denkt. Ich wende dafür genau die Zeit auf, die nötig ist und schalte dann komplett ab. Bei den anderen Psychos, die sich den ganzen Tag nur den Kopf über ihren Sport zerbrechen, klappt es dann eh nicht.

SPOX: Wen meinen Sie denn mit "Psychos"?

Stephan: Das sind die, die sich penibelst vorbereiten und sich ausschließlich auf das eine Rennen konzentrieren. Und genau die machen dann beim letzten Schießen fünf Fehler. Die sind viel zu fixiert auf einen bestimmten Zeitpunkt. Da muss man einfach cool bleiben.

SPOX: Cool bleiben muss man sicherlich auch, wenn man gegen seine Freunde antritt - wie beispielsweise gegen ihren Zimmerkollegen Michael Rösch. Wie ist das, wenn aus Freunden Konkurrenten werden?

Stephan: Für mich war das noch nie ein Problem und wird auch keinss werden. Jeder geht doch an den Start, um zu gewinnen. Ich trete doch nicht an, um in einem Rennen 20. zu werden. Einen Sieg gönne ich jedem - aber am meisten mir.

SPOX: Dabei sein ist alles, gilt also nicht für Christoph Stephan?

Stephan: Dieser Typ bin ich einfach nicht. Auch in Bezug auf Olympia: Ich will dort etwas gewinnen.

SPOX: Ihr Ziel ist also klar: eine Medaille in Vancouver?

Stephan: Klar will ich dort etwas gewinnen, aber eine Prognose kann ich noch nicht abgeben. Wenn ich jetzt jedem erzähle, dass ich hier eine Medaille hole und da ... Ich will mich nicht zusätzlich unter Druck setzen.

SPOX: Sie gelten als Paradiesvogel, der nie ein Blatt vor den Mund nimmt, wirken aber sehr ruhig und abgeklärt. Lassen Sie eher im Privatleben die Sau raus?

Stephan: Ich reiße mich ja auch gerade sehr zusammen (grinst). Das muss ich zugeben. Das hier ist nämlich nicht mein normales Gesicht, sondern mein Pressegesicht.

SPOX: Und was macht der normale Christoph Stephan in seiner Freizeit?

Stephan: Ich glaube, die meisten Leute wollen gar nicht wirklich wissen, was ich so alles mache. Und wenn ich es dann mal sage, kriege ich eine auf den Deckel.

SPOX: Das klingt ja sehr geheimnisvoll.

Stephan: Es herrscht schon ein ziemliches Chaos in meinem Leben. Meine Devise ist: Du lebst dein Leben nur einmal. Warum soll ich dann in meiner Freizeit nichts etwas machen, das mir wirklich Spaß macht?

SPOX: Ist das die richtige Einstellung für einen Sportler?

Stephan: Es bringt doch nichts, nur zu Hause rumzusitzen und sich darum zu kümmern, bloß nicht krank zu werden. Wenn ich nicht mal ein Bier trinken darf, weil das für meinen empfindlichen Hals nicht gut ist... Wenn Du einmal anfängst, in diese Richtung zu denken, dann lebst du doch quasi nicht mehr. Dann bist du nur noch ein Roboter. Und wie soll man da noch die Birne für den Wettkampf freikriegen?

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