UFC

In der Höhle der Fighter

Von Florian Sädler
Im Tristar Gym geht es vor allem um harte Arbeit
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Ist Burnout vorprogrammiert?

"Er ist Zuhause in seiner Komfortzone, hat wahrscheinlich eine Freundin und ständig sein übliches Umfeld um sich. Ich dagegen habe hier nur den Sport, auf den ich mich jeden Tag zu hundert Prozent fokussiere. Es gibt kaum einen Moment, in dem ich nicht über den Kampf nachdenke, ich habe mein Ziel ständig vor Augen."

"Der Beste werden", bringt Tom dieses Ziel auf Nachfrage auf den Punkt. "Einige meiner Freunde zuhause in England machen den Sport nebenbei. Die haben einen 0815-Job, trainieren nach Feierabend und kämpfen ab und zu in der Amateur-Szene. Ich könnte das nicht. Wenn ich nicht die Möglichkeit sehen würde, diesen Weg bis zum Ende zu gehen, hätte ich ihn gar nicht erst eingeschlagen. Hier bin ich von Leuten umgeben, die das gleiche Ziel haben wie ich und alles dafür aufopfern."

Auf der Matte ist diese Mentalität sicherlich von Vorteil, aber schreit ein solcher Lebensstil nicht geradezu nach Burnout und kontinuierlicher Abnutzung? "Ja", gibt er zu, "das ist schon manchmal hart, wenn du andauernd trainierst, müde und kaputt bist und auch daneben in irgendeiner Form immer mit dem Sport zu tun hast." Mit dieser Zusatzbelastung geht er so pragmatisch um, wie man es von einem Profi-Kämpfer erwarten würde: "Aber da muss man eben durch."

"Du bist nur so gut wie dein Training"

Tatsächlich ist die Sache komplizierter, als er zugeben will - für Tom ist es von kritischer Bedeutung, den schmalen Grad zu treffen, auf dem seine Vorbereitung ihn so weit bringt wie möglich, ohne dabei noch vor dem eigentlichen Kampf allzu schwere Spuren zu hinterlassen; mit fast wissenschaftlicher Genauigkeit seine eigenen Stärken und Schwächen sowie die des Gegners zu analysieren, ohne die im Kern so einfache Grundidee einer körperlichen Auseinandersetzung mit zu viel Theorie zu überfrachten.

In der Adrenalin pumpenden Extremsituation eines Kampfes ist eine nahezu perfekte Vorbereitung die einzige Sicherheit, die er mit in den Käfig nehmen kann. Wegen der vielen Variablen erreicht man diesen Punkt jedoch nicht immer, wie Tom besser weiß als jeder andere - sein anstehender Kampf wird der erste seit zwei Jahren sein, in der Zwischenzeit musste er einen im Gym erlittenen Kreuzbandriss auskurieren.

"Du bist immer nur so gut wie dein Training", erklärt Tom und strahlt dabei unerschütterliches Vertrauen in seine Arbeit aus. "Du wirst am Kampfabend nicht plötzlich mehr zeigen können als das, was du im Gym in diesen Kampf hineingesteckt hast. Daher kommt auch die Selbstsicherheit: Natürlich bin ich trotzdem nervös, aber ich weiß, dass ich einfach alles in meiner Macht Stehende getan habe, um diesen Ort als Sieger zu verlassen."

Wenn das Training vermisst wird

Wenige Tage später sitzt Tom im Flieger Richtung Heimat - in einer Woche wird er in London in den Käfig steigen. Bis dahin steht zwar nur noch lockeres Training an, trotzdem sind gerade die letzten Tage vor dem großen Abend von großer Bedeutung.

Nach der wochenlangen Gratwanderung zwischen Sprints, Sparring, Technik-Drills und durchkalkulierten Erholungspausen beginnen die unzähligen Einheiten mit ihren jeweils klitzekleinen Fortschritten, sich rechtzeitig zum großen Moment zu einem großen Ganzen zusammenzusetzen.

"Der harte Teil ist vorüber, man regeneriert sich von den Strapazen der letzten Wochen und Monate und fängt an, das Training zu vermissen. Das ist genau die Zeit, in der du richtig heiß auf den Kampf wirst."

Schlag ins Gesicht wird zur Begleiterscheinung

Tom und auch Nate wissen genau, dass dieses Gefühl für die meisten Menschen nie nachzuvollziehen sein wird. Der gesunde Menschenverstand sträubt sich aus gutem Grund dagegen, sich bewusst in offensichtlich gefährliche Situationen - wie einen MMA-Kampf - zu bringen, aber die Montrealer Jungs haben mit der Zeit gelernt, diesen Instinkt einem höheren Ziel unterzuordnen.

Auf dem Weg zur Verwirklichung des eigenen Potentials verkommt ein Schlag ins Gesicht irgendwann nur noch zur lästigen Begleiterscheinung: "Das ist zum Teil Gewöhnung, weil du im Training so häufig eine abbekommst", erklärt Tom völlig emotionslos. Diese Einstellung allerdings ist das Produkt einer jahrelangen Entwicklung.

"Am Anfang meiner Karriere war Stolz so eine Sache - wenn ich getroffen wurde, wollte ich es auf der Stelle zurückzahlen. Mit den Kämpfen kommt aber auch die Erfahrung, mittlerweile hake ich Treffer sofort ab und sehe sie als Hinweis, beim nächsten Mal besser auszuweichen oder meine Hände oben zu behalten."

Adrenalin - sonst nichts

Jetzt gibt es ohnehin kein Zurück mehr - auf dem Londoner Olympiagelände trägt die englische Traditionsorganisation Cage Warriors ihre 74. Veranstaltung aus, und Tom ist an der Reihe. Wenige Tage vor dem Event wurde sein Gegner ausgewechselt, der auf den letzten Metern noch vom erwähnten schmalen Grad abgerutscht ist und sich im Training verletzt hat.

Trotz der katastrophal getimten Ablenkung wirkt Tom auf dem Weg zum Käfig fokussiert und völlig ruhig. Innerlich aber brodelt es: "Du blendest einfach alles andere aus", beschreibt er später die Minuten unmittelbar vor dem großen Augenblick. "Das Adrenalin schießt hoch, du bist völlig in diesem Moment gefangen und realisierst nicht einmal mehr, dass dir gerade jede Menge Leute zuschauen."

Unter anderem auch vor einem großen Flachbildfernseher mitten in Montreal: "Den Kampf verpasse ich auf keinen Fall. Zum Sparring gehe ich heute nicht, ist eh keiner da", hatte Nate schon morgens angekündigt, der an anderen Tagen so viele Extrarunden einlegen will, dass die anderen ihn zum Aufhören zwingen müssen.

Nicht alles klappt

Und tatsächlich - fast das gesamte Team hockt statt auf der Matte vor dem Bildschirm in den Dorms, als der Ringrichter in London die erste von drei Fünf-Minuten-Runden freigibt. Toms Trainingspartner haben vollstes Vertrauen in ihn und ihre gemeinsame Arbeit.

"Siehst du, er nimmt den auseinander" und "In der nächsten Runde macht er Schluss" heißt es, sobald er auch nur eine kurze Kombination ins Ziel bringt oder sich auf der Matte in eine bessere Position vorarbeitet. Mit fortschreitender Kampfzeit zieht er auf den Punktrichterzetteln davon, der kurzfristig eingesprungene Franzose hält aber überraschend gut dagegen.

Tom schafft es nicht - vielleicht bedingt durch die lange Verletzungspause - alles anzuwenden, woran er die letzten Wochen über gearbeitet hat, erwischt seinen Gegner aber kurz vor Schluss mit einem Würgegriff, der diesen zum Abklopfen zwingt. Tom wird vom Ringsprecher zum Sieger erklärt, dann verschwindet er aus dem Käfig und damit nach einem letzten Applaus auch aus den Köpfen der Zuschauer, die sich schon vom nächsten Kampf einen neuen Adrenalinkick versprechen.

Nervosität wegen dem großen Bruder

In den Tristar Dorms dagegen hat sich die angespannte Atmosphäre mit dem Kampfabbruch völlig aufgelöst. Wenige Minuten später ist der Fernseher schon wieder aus, die Hochstimmung dagegen wird noch tagelang anhalten. "Wenn jemand kämpft, der für dich wie ein großer Bruder ist, dann bist du nervöser als wenn du selbst in den Ring steigst", erklärt Nate. Für ihn bedeutet es "eine Mischung aus Erleichterung und Freude", seinen Trainingspartner nach einem harten Kampf als unversehrten Sieger zu sehen.

Tom indes, auf der anderen Seite des Atlantiks aus dem Trubel der Halle zurück in der Umkleide, wird diese nicht einmal 15 Minuten ab sofort immer wieder vor seinem inneren Auge abspielen. Hinter den Kulissen beim Medi-Check, während des Acht-Stunden-Fluges zurück nach Montreal und später in seinem Zimmer in den Dorms werden ihn die den meisten Zuschauern verborgen gebliebenen Details stundenlang beschäftigen, bis in einigen Monaten die nächste Herausforderung seinen Fokus in Beschlag nimmt.

Hein im SPOX-Interview: "Ich habe mich wie Rocky gefühlt"

"Die Reflexion startet, sobald der Kampf endet", erzählt er nach seiner Rückkehr. "Ich habe bisher jeden Gegner vorzeitig besiegt, aber ich bin trotzdem nie zufrieden mit dem Kampfverlauf. Ich freue mich natürlich, dass ich gewonnen habe, aber Perfektionismus hat mich nun einmal bis hierher gebracht."

Eine heruntergekommene Bruchbude

Dass Perfektionismus mitunter auch in eine heruntergekommene Bruchbude weitab der Heimat und zu jeder Menge Veilchen führen kann, ist für die meisten Menschen nicht nachvollziehbar. Als ein Teamkollege einmal einen alten Bekannten aus Militär-Zeiten zu Besuch mitbrachte, zeigte dieser sich trotz zig gemeinsamer Übernachtungen in der tiefsten Pampa entsetzt - wie sein Freund es in dieser "Höhle" aushielt, könne er nicht verstehen.

Ebenfalls nicht verstanden hatte er, dass diese Lebensart für die Höhlen-Bewohner selbst nicht mehr als ein Mittel zum Zweck ist. Das alltägliche Vergießen von Blut, Schweiß und Tränen auf den Matten des Gyms hat ihnen eine Härte gegen sich selbst beigebracht, die von ein paar fehlenden Deckenbauteilen oder der stets verdreckten Küche nicht erschüttert werden kann.

Der exzellente Trainingsstandard, eine tiefgehende Kameradschaft und der sich anbahnende Karrieredurchbruch lassen die nicht unbedingt vorzeigbare "Höhle" in den Hintergrund treten.

"Das ist das Dorm-Leben. Da musst du durch, und dazu musst du auch außerhalb des Rings ein Kämpfer sein", fasst Nate zusammen. "Das ist ein guter Ort. Ich habe hier eine Familie gefunden." Eine Familie, in der man sich tagtäglich Abreibungen verpasst, aber zumindest hier hat das noch niemandem geschadet...

Was ist aus Tom geworden?

Tom hat mittlerweile seinen UFC-Vertrag in der Tasche und sein Debüt in Brasilien in der ersten Runde durch technischen Knockout gewonnen. Nate dagegen musste aus familiären Gründen vorübergehend nach Hause zurückkehren und trainiert fürs Erste wieder in Boston.

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