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Der beste Kämpfer aller Zeiten?

Von Oliver Copp
Georges St. Pierre ist aktueller Weltergewichtsmeister der UFC
© UFC

Georges St. Pierre ist den anderen MMA-Stars um Jahre voraus. Die meisten Experten halten ihn aktuell sogar für unbesiegbar. Und das besonders wegen seiner ganz speziellen Taktik. SPOX erklärt, warum der Kanadier so gut ist.

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Im Mixed Martial Arts gibt es talentierte Kämpfer, die auch ohne viel harte Arbeit zu Stars werden. BJ Penn verdiente sich so seinen Spitznamen "The Prodigy", "Das Wunderkind".

Dann gibt es Fighter, die nicht sonderlich talentiert sind, diesen Mangel aber durch harte Arbeit ausgleichen. Der 2,10 Meter große Tim "The Maine-iac" Sylvia wurde so zweimaliger Schwergewichtsmeister der Ultimate Fighting Championship (UFC).

Und dann gibt es eine Spezies, die beides miteinander vereint. Immenses Talent, gepaart mit einer vorbildlichen Arbeitseinstellung. Dies ist der Stoff, aus dem die Legenden sind: Chuck Liddell, Randy Couture, Anderson Silva und Matt Hughes, um nur einige zu nennen. Sie alle haben in ihren Karrieren viel erreicht, weil sie nie aufhörten, an sich zu arbeiten.

Vorteil: perfekte Strategien

Der amtierende Weltergewichtsmeister der UFC, Georges St. Pierre, gehört ebenso in diese Kategorie. Doch er bringt noch etwas mit, das ihm einen Vorteil selbst gegen die oben genannten Legenden des MMA-Sports beschert: perfekte Strategien.

Damit ist nicht gemeint, dass er sich auf die Stärken und Schwächen seines Gegners einstellt. Wie man auf diese Weise zu weit mehr Erfolgen kommt, als es einem die Experten zutrauen, hat beispielsweise Randy Couture bewiesen.

Diese Art der Strategie ist heute nichts Besonderes mehr.

Den Gegner neutralisieren

Georges St. Pierre und sein Trainerstab gehen einen Schritt weiter: Sie überlegen sich nicht nur, wie sie den Stärken des Gegners ausweichen und seine Schwächen ausnutzen können. Sie entwerfen viel mehr gezielt Schlachtpläne, um den Gegner Stück für Stück zu neutralisieren.

Im Rückkampf gegen das hawaiianische Technikwunder BJ Penn verlegte sich St. Pierre zunächst darauf, Penns Beine müde zu machen, damit Penn seine legendäre Balance und Takedownverteidigung nicht mehr ausnutzen kann.

Und die Rechnung des Kanadiers ging auf: Durch gezielte Clincharbeit und Takedownversuche am Käfig entzog er Penn so viel Kraft und Energie, dass dieser bereits zu Beginn der zweiten Runde so heftig am pumpen war, dass er keine ernstzunehmende Gefahr mehr darstellte.

Am Ende zählt nur eines: der Sieg

Gegen den gefährlichen Striker Thiago Alves verlegte St. Pierre den Kampf dann wiederum auf den Boden. Genau wie gegen Dan Hardy. Bei beiden verfolgte der Weltmeister den Ansatz, sich am Boden schwer zu machen und permanent an Aufgabegriffen zu arbeiten - wenn er sie durchbekommt, fein. Wenn nicht, geht dem Gegner trotzdem bald die Puste aus, während er selbst sich nicht exponiert.

Von vielen Fans wurde dieser Stil als langweilig kritisiert - die Rede war von "Lay and Pray", aus Fansicht frei interpretiert: "sich zurücklehnen und beten, dass der Kampf bald vorbei ist". Doch wie bei taktischen Duellen in anderen Sportarten zählt am Ende nur eines: der Sieg.

Ein Exempel statuieren

Bei UFC 124 erwarteten viele aus genau deshalb, dass St. Pierre versuchen würde, Josh Koscheck auf der Matte festzunageln, um nach fünf wenig inspirierenden Runden als Sieger aus dem Octagon zu gehen. Koscheck hatte dagegen versprochen, er würde den Kanadier ausknocken, sollte der mit ihm in den Schlagabtausch gehen.

Doch St. Pierre blieb zur Überraschung der Experten mit Koscheck auf den Beinen, um an ihm, dem Trashtalker, ein Exempel zu statuieren. Nach Aussage von Greg Jackson, der maßgeblich für St. Pierres Strategien verantwortlich ist, musste St. Pierre sich nur vor Koschecks rechtem Haken in Acht nehmen. Er schlägt ihn wild, bisweilen ungestüm und technisch unsauber - doch das bedeutet im Umkehrschluss, dass es schwierig ist, sich vernünftig dagegen zu verteidigen. Landet der Haken entgegen aller Defensivbemühungen richtig, kann das den Kampf nicht nur drehen, sondern entscheiden.

Jacksons taktischer Ansatz war deswegen, dass St. Pierre sich nur sekundär gegen den Haken selbst verteidigen sollte. Primär war seine Aufgabe, Koscheck daran zu hindern, den Haken überhaupt noch effektiv schlagen zu können. Und zwar mit Hilfe von Jabs.

Mit Jabs zum Erfolg

Die sind im MMA-Sport nach wie vor ein selten gebrauchtes und viel unterschätztes Mittel, um den Kampf zu kontrollieren und den Gegner aus dem Konzept zu bringen.

St. Pierre zeigte aber von Beginn an unentwegt Jabs gegen Koschecks rechtes Auge und gegen seinen Solar Plexus. Erstere sollten zu Schwellungen führen, die Koschecks Tiefenwahrnehmung beeinträchtigen und seinem Haken so den Schrecken nehmen. Letztere waren dazu gedacht, seine Atmung zu stören und damit an der Kondition zu zehren.

Die Rechnung ging perfekt auf. Obwohl der Fight über die volle Distanz von fünf Runden ging, war er effektiv in der ersten Runde bereits entschieden. Koscheck verteidigte danach mehr, als dass er in die Offensive ging. Sein Primärziel war plötzlich, weiterem Schaden aus dem Weg zu gehen. Kurzum: St. Pierre hatte die beste Waffe seines Gegners neutralisiert - ohne überhaupt Aktionen gegen den Arm oder die Hand gezeigt zu haben.

Kein Kämpfer, sondern Spitzensportler

Dieses Um-die-Ecke-denken ist bezeichnend für eine neue Generation Kämpfer, deren erster und erfolgreichster Vertreter Georges St. Pierre ist. Ein Sympathieträger war er schon in seinem UFC-Debüt gegen den Judoka Karo Parisyan im Januar 2004. St. Pierre hatte schon damals eine Art, die es einem unmöglich machte, ihn nicht zu mögen.

Höflich, freundlich, zuvorkommend - diese Merkmale wurden ihm seinerzeit attestiert. Und man attestiert sie ihm auch heute noch. Dazwischen liegen sechs Jahre, zwei Weltmeisterschafts-Titel und der Aufstieg zu einem der beliebtesten kanadischen Sportler aller Zeiten. St. Pierres Managerin, Shari Spencer, hatte schon früh große Pläne. St. Pierre sollte nicht als Kämpfer vermarktet werden, sondern als Spitzensportler.

Erfolg bei den Sponsoren

Dies bedeutete zwar zunächst Umsatzeinbußen für ihn, weil die zahlreichen Avancen von MMA-Bekleidungsfirmen abgelehnt wurden. Doch mittelfristig erwies sich diese Strategie als richtig. Inzwischen gehören die Getränkemarke Gatorade und der Textilhersteller Under Armour zu seinen Sponsoren. St. Pierre ist heute das Gesicht von gleich drei der erfolgreichsten Produkte des Bekleidungsherstellers.

Aus der MMA-Welt genießen lediglich Affliction und Silver Star das Privileg, ihre Marken mit dem Weltmeister in Verbindung bringen zu dürfen.

Besser als Anderson Silva?

Dennoch ist der in bescheidenen Verhältnissen aufgewachsene Karateka Georges St. Pierre auf dem Boden geblieben. Es steht völlig außer Frage, dass er einer der wichtigsten Stars des MMA-Sports ist und einer der besten Kämpfer aller Zeiten. Und das Erschreckende daran ist, dass der 29-Jährige seine besten Tage noch vor sich hat.

Dabei wird er schon heute in einem Atemzug mit Anderson Silva als gewichtsklassenübergreifend bester Kämpfer gehandelt - nur ob er nun an erster oder zweiter Stelle steht, wird noch heiß diskutiert.

Jeder muss alles trainieren

In den frühen Jahren ging es darum, welcher Kampfstil die Nase vorn hat - Royce Gracie, Ken Shamrock und Dan Severn sind Namen, die jedem Fan ein Begriff sind. Kämpfer wie BJ Penn, Randy Couture und Chuck Liddell wurden später als zweite Generation durch die Kombination verschiedener Stile zu Legenden.

Die Stars von heute sind MMA-Kämpfer der dritten Generation. Stile spielen nicht mehr die Rolle von früher, denn jeder muss alles trainieren, um mithalten zu können.

Der Konkurrenz um Jahre voraus

Obwohl Georges St. Pierre eines der Aushängeschilder dieser dritten Generation ist, steht er allein.

Denn er beschreitet im strategisch-taktischen Bereich gänzlich neue Wege, dank derer er gefühlt anderen Stars von heute Jahre voraus ist. Derjenige, dem es irgendwann gelingen wird, den Kanadier zu knacken, wird über Nacht ein Star.

Doch bis dahin kann es noch lange dauern. Sehr lange.

UFC 124: Georges St. Pierre bleibt Mr. Unstoppable

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