UFC

"Als Boxer war ich depressiver Alkoholiker"

Von Oliver Copp
Trotz blutiger Nase: Marcus Davis gehört zu den Boxern, die den Sprung in die UFC geschafft haben
© Getty

Wer kann mehr: Boxer oder Mixed Martial Artist? Die Frage ist so alt wie unsinnig, glaubt SPOX. Die MMA sind einfach anders - und ihr Siegeszug ist nicht mehr zu stoppen.

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Seitdem der fünfmalige Schwergewichts- und Halbschwergewichtsweltmeister der Ultimate Fighting Championship Randy Couture am 28. August bei UFC 118 den bis vor kurzem als potentiellen Klitschko-Herausforderer gehandelten Boxer James Toney besiegte, hört man aus den verschiedensten Kreisen die Aussage, der Mixed Martial Arts-Sport habe das Boxen besiegt.

Dabei muss man - nüchtern betrachtet - feststellen, dass alles andere als ein Sieg des inzwischen seit 16 Jahren in der UFC aktiven Couture eine Überraschung gewesen wäre.

Die Mixed Martial Arts zeichnen sich gerade dadurch aus, dass Techniken und Taktiken aus allen anerkannten Sportarten verwendet werden können, um zum Sieg zu kommen.

Im Jahr 2010, insgesamt 17 Jahre nach der Gründung des MMA-Sports, ist es fast ausgeschlossen, sich als monothematisch trainierter Sportler gegen die vielseitig trainierten Athleten der UFC durchzusetzen.

MMA vs. Boxen: Man vergleicht Äpfel mit Birnen

In der Leichtathletik könnte man das Boxen mit dem Sprint vergleichen und die Mixed Martial Arts mit dem Zehnkampf. Der Sprinter wird immer schneller laufen als der Zehnkämpfer, dafür wird er aber im Zehnkampf in allen Disziplinen außer dem Sprint nur den zweiten Platz machen.

Wenn also ein etablierter Boxer wie Toney sich innerhalb der MMA-Regelwerks mit einem MMA-Kämpfer misst, ist er genauso chancenlos wie es der MMA-Fighter wäre, würde er unter Boxregeln gegen Toney kämpfen.

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Man vergleicht Äpfel mit Birnen, wenn man behauptet, ein Sport wäre einem anderen Sport überlegen. Die Aussage vieler Boxfans und MMA-Kritiker, dass Boxer technisch auf einem völlig anderen Niveau seien, ist berechtigt - doch gilt die Aussage nur für einen Aspekt, eine einzige Kampfsportart: das Boxen.

Die Mixed Martial Arts sind aber genau das nicht: monothematisch. Das Ziel ist nicht, der bestmögliche Boxer zu sein, der weltbeste Ringer zu sein oder das Jiu-Jitsu-Ass schlechthin zu sein. Um ein guter Mixed Martial Artist zu werden, muss man in allen diesen Disziplinen gut sein.

Davis: "Heute bin ich ein besserer Mensch"

Für James Toney mag der Ausflug in den MMA-Sport von kurzer Dauer gewesen sein, doch andere frühere Boxer wie die Amerikaner Marcus Davis und Chris Lytle und der bei UFC 122 am 13. November in Oberhausen antretende Italiener Alessio Sakara haben bei der Ultimate Fighting Championship, dem führenden Verband des MMA-Sports, ein permanentes Zuhause gefunden.

Davis, ein früherer Golden Gloves-Boxer aus dem amerikanischen Nordosten, kam über die UFC-Realityshow "The Ultimate Fighter" zu seinem Vertrag und war der erste frühere Boxer, der sich im MMA-Sport etablieren konnte.

"Damals, als ich ein Boxer war, litt ich unter Depressionen und war ein Alkoholiker. Ich war wirklich unzufrieden mit meinem Leben. Als ich mit dem MMA-Training anfing, habe ich mich zum ersten Mal seit meiner Jugend gefangen. Das Training war hart, die Umstellung für jemanden, der nur boxen konnte, brauchte lang. Aber ich bin heute ein glücklicher Familienvater und ein besserer Mensch", so Davis.

Auch der als "Legionarius" bekannte gebürtige Römer Sakara gibt unumwunden zu, dass der Umstieg kein einfacher war: "Ich fing im Alter von elf Jahren mit dem Boxen an und dann sieben Jahre später mit Brazilian Jiu Jitsu und MMA. Früher war ich ein eindimensionaler Striker und hatte deswegen im MMA-Sport erhebliche Anlaufschwierigkeiten. Ich kann mich heute als vollständigen Kämpfer bezeichnen, weil ich zwar immer noch den Kampf auf den Beinen favorisiere, inzwischen am Boden aber auch mehr als kompetent bin."

Siegeszug der MMA nicht mehr aufzuhalten

Chris Lytle mag zwar mit "Lights Out" immer noch seinen Spitznamen aus dem Boxen tragen, doch der Feuerwehrmann und studierte Sportwissenschaftler aus Indianapolis gewinnt inzwischen die Mehrzahl seiner Kämpfe durch Aufgabegriffe.

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Über seine Entscheidung, zur UFC zu gehen, verrät er: "Ehrlich gesagt kam ich zum MMA-Sport wie die Jungfrau zum Kinde. Einige meiner Freunde fingen an, cross zu trainieren, und ich fand es lustig und trainierte zum Spaß mit. Daraus entwickelte sich eine ganz neue Karriereoption für mich. Ich sah es als Herausforderung an zu lernen, wie man sich auf dem Boden verteidigt, denn als klassischer Striker hatte ich davon keinen blassen Schimmer. Mich fasziniert die technische Finesse, die man sich mit der Zeit in diesem Sport aneignet. Wer gegen die Besten kämpft, muss zwangsläufig an sich arbeiten - oder er wird abgehängt."

Abgehängt hat die Ultimate Fighting Championship das Boxen bereits in mehreren Ländern finanziell - in den USA, Kanada, Australien, dem Vereinigten Königreich und in Japan.

Egal, ob man dem MMA-Sport skeptisch gegenübersteht oder ihm gegenüber aufgeschlossen ist: Feststeht, dass er nicht mehr aufzuhalten ist.

Frage nach dem besseren Kampfsport bald sinnlos

Im Jahr 2009 fingen in Nordamerika erstmals mehr Kinder und Jugendliche mit dem MMA-Training an als mit dem Training für andere klassische Kampfsportarten wie das Boxen.

Damit geht ein wesentlicher kultureller Umschwung einher, der sich auch in der medialen Präsenz des Sports niederschlägt.

Bald wird sich die beliebte Frage, aus welchem Sport ein MMA-Kämpfer ursprünglich stammt, nicht mehr stellen - nämlich dann, wenn die ersten Kämpfer in die Profiliga einsteigen, die von Kindheit an nichts anderes gelernt haben als MMA.

Sie werden mit den Berührungsängsten der alten Generation traditioneller Kampfkünstler überhaupt nichts anzufangen wissen - und die Frage nach dem besseren Kampfsport wird ihnen komplett sinnlos erscheinen.

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