Tennis - Zum Karriereende von Roger Federer: Eine Liebeserklärung

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© getty

Roger Federer erklärt seinen Rücktritt und erschüttert damit die Tennis-Welt. Und auch die Welt von SPOX-Chefreporter Florian Regelmann. Eine Liebeserklärung.

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Dass Roger Federer seinen Rücktritt verkündet, kommt nicht überraschend. Die Nachrichten, die zuletzt durchsickerten, das dämliche (!) Knie, das nach wie vor Probleme macht, es hatte sich leider Gottes angedeutet. Und die Entscheidung ist auch einfach vernünftig.

Federer musste sich in letzter Zeit vor allem eine Frage stellen: Schaffe ich es mit über 40 nochmal auf ein Niveau zu kommen, dass ich 2023 in einem Best-of-Five-Match irgendeine Chance habe, das Wunderkind und die neue Nummer eins der Welt, Carlos Alcaraz, zu bezwingen? Oder Jannik Sinner. Oder Daniil Medvedev. Oder oder oder. Die ehrliche Antwort konnte nur nein lauten. No chance. Zero chance.

"Thank you for all the magic!" So reagiert die Sportwelt auf Federers Karriereende

Aber alles andere hätte keinen Sinn ergeben. Schon der letzte Wimbledon-Auftritt 2021 geriet selbst bei einem respektablen Viertelfinal-Einzug eher zu einer traurigen Nummer, weil absolut niemand sehen will, wie Federer von Hubert Hurkacz vom Platz geschossen wird. 0:6 im Dritten. Das war schlimm.

Deshalb ist es die richtige Entscheidung, sie tut deshalb im Herzen aber nicht weniger weh.

Ich habe Federer einmal in meiner journalistischen Karriere zu einem längeren Termin getroffen und interviewen dürfen. Neun Jahre ist das nun her, der Eindruck ist aber nach wie vor frisch. "Ciao, Flo!", rief Federer, als er mich sah. Was folgte, war das angenehmste Gespräch, das ich bis jetzt führen durfte.

Roger Federer: Wenn der Maestro Tennis spielt

"In meinen wildesten Träumen hätte ich mir nicht ausmalen können, dass ich so eine Karriere machen würde. Ich wäre auch mit dem Erreichen der Top 100 glücklich gewesen."

Das war einer der vielen Sätze, die hängen geblieben sind. Das Verrückte ist: Federer meinte das damals so und er wird es auch heute noch so meinen. Für ihn selbst waren seine Erfolge teilweise schwer zu begreifen.

Für mich ganz persönlich ist Federer der größte Sportler aller Zeiten, nicht nur der größte Tennisspieler aller Zeiten. Auch wenn Rafael Nadal und Novak Djokovic statistisch "besser" und auch im direkten Duell im Vorteil sind.

Aus zwei Gründen kann es nur den Schweizer geben. Zum einen ist das Erlebnis, Roger Federer beim Tennis spielen zuzuschauen, das Schönste, was ich im Sport jemals erlebt habe. Wenn Federer on fire war, war er nicht nur unschlagbar. Er tat es auch noch mit einer Eleganz, Schönheit und Leichtigkeit, die wir nie wieder sehen werden und die eigentlich gar nicht das Ziel eines sportlichen Wettbewerbs sind.

Aber genau deshalb war er mehr als ein Champion. Der majestätische Aufschlag, der in seinen besten Tagen so spielerisch leicht aussah, das geniale Shotmaking, der Touch, die Monster-Vorhand (vor allem aus dem Lauf) - Federer war der Maestro. Wenn jemand gegen ihn gespielt hat, spielte er nicht gegen Federer. Er spielte gegen den Meister. Federer hat Tennis nicht gespielt, er hat Tennis performt.

Der Autor David Foster Wallace beschrieb Roger Federer und ein Treffen mit ihm einmal für die New York Times als eine religiöse Erfahrung, als eine fast göttliche Begegnung. Jeder, der direkt jetzt YouTube aufmacht und sich beispielsweise den Tweener im US-Open-Finale 2009 gegen Djokovic anschaut, wird es verstehen. Es waren Schläge, wie Wallace sie bezeichnete, die dafür sorgten, dass die Familie aus dem Nebenraum plötzlich ins Zimmer gerannt kam, weil sie dachte, es wäre was passiert. Es war ja auch was passiert. Federer war passiert!

Federer hatte aber neben aller Genialität auch diese wunderbare andere Seite. Die wütende. Die Geschichten des in der Jugend so unglaublich jähzornigen Federer sind bekannt, hier und da tauchte diese aggressive Seite auch später noch auf. Sei es, dass der Schläger zerhackt oder der Schiedsrichter angepöbelt wurde ("When I wanna talk, I talk!"). Auch das gehörte zur Faszination Federer.

Roger Federer: Wie kann er als Mensch noch größer sein als auf dem Court?

Er ist für mich aber auch der GOAT wegen der persönlichen Geschichte. Ich bin gleich alt. Wir waren in der Schweiz in der Jugend ein paar Mal auf denselben Turnieren (ohne aufeinander zu treffen, was Gerüchten zufolge eher an mir lag), seine Eltern waren Kunden im Kindermodengeschäft meiner Mutter.

Journalisten brauchten aber gar keine persönliche Vorgeschichte, um nach jedem Treffen mit Federer zu Fanboys zu mutieren. Es war immer das gleiche Szenario. Journalist XY kommt von einem Interview mit Federer zurück und ist komplett überwältigt, dass der Größte aller Zeiten auch noch der Netteste aller Zeiten ist.

Einmal begab es sich, dass Federer nach einer kräftezehrenden Night Session sein - nicht gerade unanstrengendes - Post-Match-Programm abspulte. Irgendwann ganz am Ende kam er nochmal in den Medienraum, um mit einem Journalisten zu sprechen. Seine ersten Worte: "Sorry, dass ich dich habe so lange warten lassen."

Wie sagte es Federer immer so schön: "Es ist nett, wichtig zu sein. Aber es ist wichtiger, nett zu sein."

Wie kann er als Mensch noch großartiger sein, als er es als Tennisspieler ist? Das ist doch unglaublich. So war jedes Mal die Reaktion. So war es aber. So ist es aber. Man kam sich bei der ganzen Lobhudelei immer etwas komisch vor, aber ich schäme mich sicher nicht dafür, ein "Roger Federer Fanboy" zu sein. Kein Stück.

Eigentlich war der Plan, im Oktober nach Basel zu fahren, um Federer wahrscheinlich ein letztes Mal spielen zu sehen. Dazu wird es nun leider nicht mehr kommen. Da muss ich mir jetzt wohl erstmal das epische Australian-Open-Finale 2017 reinziehen und dabei in Erinnerungen schwelgen. Ciao, Roger!

Roger Federers legendäre Karriere

Erfolge
Grand Slam Titel20 (6x Australian Open, 1x French Open, 8x Wimbledon, 5x US Open) - dazu 11 Finals
Turniersiege insgesamt103 - 157 Finals
Karrierepreisgeldca. 130 Millionen Dollar
SonstigesDavis Cup Sieger 2014, Olympiasieger 2008 (Doppel), Olympia-Silber 2012 (Einzel), 6x ATP-Weltmeister, 310 Wochen als Nr. 1

 

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