"Ich muss niemandem mehr etwas beweisen"

Angelique Kerber hat bei den US Open den zweiten Grand-Slam-Titel ihrer Karriere geholt
© getty

Bei den US Open den zweiten Grand-Slam-Titel der Karriere klar gemacht, dazu die Spitze der Weltrangliste erklommen: Angelique Kerber hat in Flushing Meadows einmal mehr für einen Paukenschlag gesorgt. SPOX traf die 28-Jährige nach ihrer Rückkehr aus New York am Münchner Flughafen. Herausgekommen ist ein Gespräch über den Knackpunkt im Finale, den jahrelangen Lernprozess, ihr Team und die neuen Herausforderungen.

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SPOX: Frau Kerber, wir müssen zu Beginn noch einmal auf den Knackpunkt im US-Open-Finale gegen Karolina Pliskova zurückschauen. Was hat Ihnen nach dem verlorenen zweiten Satz bei 1:3 im dritten Durchgang den Mut gegeben, so auf die Vorhand longline drauf zu gehen?

Kerber: Ich wusste, dass ich etwas machen muss. Das habe ich in den letzten Finals, die ich verloren habe, gelernt. Ich kann nicht nur darauf hoffen, dass sie die Fehler macht. Ich musste also auf meinen Schlag gehen, der eigentlich immer kommt. Oder wenigstens häufig. (lacht) Also habe ich es riskiert und mir gesagt, ich werde jetzt versuchen, mutig mein Spiel zu spielen und das Finale in meine Hand zu nehmen. Das war am Ende auch der Schlüssel zum Erfolg.

SPOX: Ist das der Unterschied zu den verlorenen Dreisatz-Matches der vergangenen Jahre?

Kerber: Auf jeden Fall. Ich habe beispielsweise aus dem verlorenen Wimbledon-Finale gegen Serena viel gelernt. Obwohl sie an diesem Tag ihr bestes Tennis gespielt hat und alle Aufschläge kamen. Aber ich weiß jetzt, auch da hätte ich einfach mal ein bisschen mutiger sein sollen. Jetzt in New York war mir das bewusst: Du bist im Finale und jetzt nimm' es in deine Hand. Das hätte auch daneben gehen können. Aber dann wäre es für mich okay gewesen, denn ich habe alles gegeben. Ich habe nicht gezögert, wie ich es zuvor schon so viele, viele Male getan habe.

SPOX: Sie haben den Moment erkannt und waren so konzentriert, dass Sie Ihr Spiel ändern konnten. Wie haben Sie das geschafft?

Kerber: Das ist Erfahrung und der Lernprozess lief über Jahre. Ganz speziell in Singapur im letzten Jahr (bei den WTA Finals, d. Red.) wurde mir das klar. Ich war so sehr unter Druck, weil ich wusste, ich muss einen Satz gewinnen, um ins Halbfinale zu kommen. Diesem Druck habe ich nicht standgehalten, ich war mental schwach. So bin ich in den Urlaub gestartet, das war kein schönes Gefühl. Und da wusste ich, das soll mir nie wieder passieren in meiner Karriere. Mit diesem Vorsatz bin ich ins Jahr 2016 gestartet: Wenn ich etwas erreichen will, dann muss ich selber den Schalter umlegen und versuchen, mutiger zu sein.

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SPOX: In Melbourne hat das ja gleich prima geklappt.

Kerber: Stimmt, ich habe es in Australien getan. Und an dieses Finale habe ich in New York vor ein paar Tagen gedacht und ich wusste, ich habe das schon einmal geschafft. Warum nicht noch ein zweites Mal?

SPOX: Nach den Australian Open waren der Rummel und die gestiegenen Erwartungen nicht einfach für Sie. Im Anschluss ging gleich das Fed-Cup-Duell mit der Schweiz verloren. Wird das Glücksgefühl diesmal länger anhalten?

Kerber: Nach Melbourne kam so viel auf mich zu. Ich musste erst einmal damit klar kommen. Mit der Aufmerksamkeit und mit allem, was auch während der Turniere neben dem Platz dazugehört. Jetzt nehme ich das ein bisschen anders wahr. Ich kann das auch besser genießen, als noch vor ein paar Monaten. Ich muss jetzt niemandem mehr etwas beweisen, ich bin jetzt ganz da oben. Dass mein zweiter Grand-Slam-Titel und die Nummer eins zusammenkommen, darauf habe ich mein ganzes Leben gewartet.

SPOX: Caroline Wozniacki hat vor wenigen Wochen in The Player's Tribune einen Brief an ihr 11-Jähriges Ich verfasst. Welchen Rat würden Sie der 11-jährigen Angie mit auf den Weg geben?

Kerber: Ich würde ihr sagen, Du hast alles richtig gemacht. (lacht) Wenn ich so zurückblicke... Es gab viele Auf und Abs in meiner Karriere, ich habe viele Niederlagen eingesteckt, damit ich jetzt da bin, wo ich bin. Ich habe Dinge erlebt und daraus gelernt. Jetzt mit 28 Jahren bin ich auf dem Höhepunkt. Mit 18 hätte ich das nicht so genießen können. Ich als Person habe mich weiterentwickelt, so dass ich jetzt hier so sitzen und ganz entspannt reden kann. Meine Karriere hat sich ruhig aufgebaut. Es gab keinen Absturz. Eigentlich ist alles richtig gelaufen, wie es ist, das würde ich ihr schreiben.

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