"Wenn Serena will, wird sie wieder Nummer 1"

SPOX
12. September 201613:51
Angelique Kerber (r.) hat sich in New York zur Nummer eins der Welt gekröntgetty
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Die US Open sind Geschichte. Angelique Kerber triumphierte bei den Damen, Stan Wawrinka bei den Herren. Bleibt Angie für lange Zeit die Nummer eins der Welt? Ist Stan der mental stärkste Spieler der Tour? Was ist nur im deutschen Herren-Tennis los? Und: Fehlt den Youngs Guns die nötige Mentalität zum Durchbruch? Die SPOX-Redakteure Felix Götz und Jannik Schneider diskutieren mit dem früheren Profi Alexander Antonitsch und Jens Huiber von Sportradio360.

1. Kerber bleibt lange die Nummer eins

Alex Antonitsch: Kurzfristig gilt: Serena Williams hat vergangene Saison nach den US Open verletzungsbedingt gar nicht gespielt und hat daher keine Punkte zu verteidigen. Spielt sie erfolgreich noch einige Turniere, könnte es eng werden. Aber das Alter spricht ganz klar für Kerber. So wie sie spielt, kann sie definitiv lange vorne bleiben. Diese überragende Saison spricht doch schon für sich. Kerber hat sich diesen Status sowas von verdient - auch dank des Teams um sie herum. Vom Selbstvertrauen her kann ihr außer einer fitten Serena Williams eigentlich keine Spielerin gefährlich werden.

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Jens Huiber: Dieser These kann ich mich nicht einfach so anschließen. Angie ist im Augenblick die beste Spielerin, aber sie hat mit Muguruza beispielsweise eine Kontrahentin, die ebenfalls das Zeug zur Nummer eins hat. Muguruza ist eigentlich sogar die bessere Spielerin, ob sie es aber alles zusammenbekommt, bleibt abzuwarten. Ähnlich sieht es bei Pliskova aus. Sie hat das Finale zu gleichen Teilen verloren, wie es Kerber gewonnen hat. Und Serena muss man natürlich weiterhin auf dem Zettel haben. Sie hat wie von Alex angesprochen Ende des Jahres keine Punkte zu verteidigen. Wenn Serena wirklich will, wird sie wieder die Nummer eins. Außerdem muss man abwarten, wie Kerber mental mit der neuen Situation umgeht. Machen wir es kurz: Ich traue es ihr zu, länger die Nummer eins zu bleiben, habe aber meine Zweifel.

Jannik Schneider: Sie wird mindestens noch eine weitere Saison von ganz oben grüßen. Den Spielertyp, der ein breites Schlagrepertoire bei gleichzeitig geringer Fehlerquote auf die Plätze dieser Welt zaubert, wie das vor ein paar Jahren etwa Justin Henin-Hardenne gemacht hat, gibt es zurzeit nicht. Diese Qualität benötigen aber Spielerinnen, die eine fitte Kerber besiegen wollen. Mit ihrer Lauf- und Konterstärke hat sie die perfekte Zeit erwischt, um der Szene ihren Stempel aufzudrücken. Kleinere Rückschläge werden kommen, aber sie hat gezeigt, dass sie schnell lernt. Serena Williams und Victoria Azarenka können sie jederzeit schlagen, sind mittlerweile aber zu verletzungsanfällig für den Nummer-Eins-Status. Langfristig sehe ich Belinda Bencic an ihrem Thron rütteln.

Felix Götz: Ich sehe neben Bencic und Serena auch noch Madison Keys und Pliskova, die Angie gefährlich werden können - zumindest vom vorhandenen Potential her. Aktuell fehlt so mancher Konkurrentin aber eben das, was Kerber auszeichnet. Nämlich diese mentale Stärke. Man muss trotzdem mal abwarten, wie sie nun mit der Tatsache umgeht, die Nummer eins zu sein. Nach oben zu kommen ist bekanntermaßen leichter, als oben zu bleiben. Vielleicht ist auch Angie irgendwann mal satt. Immerhin ist sie nach ihrem Sieg in Melbourne auch in ein beachtliches Loch gefallen. Wobei sie bisher unter dem Strich natürlich ein Monster war und ist, was die Mentalität angeht. Man muss Kerber alles zutrauen. Auch, dass sie wirklich eine ganze Zeit lang oben bleibt.

2. Wawrinka hat sich zum mental stärksten Spieler der Tour entwickelt

Jens Huiber: Sorry, das sehe ich anders, so sehr ich Stan mag. Im Halbfinale von Paris gegen Murray war er aus meiner Sicht der Favorit, weil er meiner Meinung nach der bessere Sandplatzspieler ist. Aber Wawrinka hat verloren und war eben nicht mental stärker. Gegen Evans hatte er bei den US Open Glück, gegen Nishikori war er nicht mental, sondern körperlich stärker. Was sicher richtig ist: Wawrinka ist insofern mental stark, weil er sich von Schwächephasen nicht aus dem Konzept bringen lässt. Der mental stärkste Spieler insgesamt ist meiner Meinung nach aber immer noch Djokovic.

Felix Götz: Ich sag mal so: Murray ist definitiv nicht der mental stärkste Spieler der Tour. Unfassbar, wie er sich gegen Nishikori vom Thema Dach, der Soundanlage und einem umherfliegenden Schmetterling ablenken lassen hat. Ansonsten tut man sich schwer, in diesem Punkt gegen Wawrinka zu argumentieren. Der Mann hat elf Endspiele in Folge gewonnen, hat alle drei Grand-Slam-Finals seines Lebens jeweils gegen die Nummer eins der Welt gewonnen. Für Stan passt das gleiche Wort wie für Angie: Mentalitätsmonster! Zugegeben: Wäre Djokovic richtig fit gewesen, wäre das Finale womöglich anders ausgegangen.

Alex Antonitsch: Einspruch, Felix! Über ein ganzes Jahr verteilt sehe ich Wawrinka nicht vorne. Da sind andere von der Fitness und der Konstanz besser und auch mental präsenter. Aber Wawrinka ist einer der wenigen Spieler, vor dem jeder Respekt hat und der ein Schlagrepertoire besitzt, um einen Djokovic zu schlagen. Hier bei den US Open hatte ihn eigentlich wieder niemand so richtig auf der Rechnung. Aber für den Schweizer gilt seit 2014: Wenn er die zweite Woche eines Grand-Slam-Turniers erreicht, haben alle anderen Respekt vor ihm. Das hat er verinnerlicht und kann es in den Finals für sich nutzen.

Jannik Schneider: Zumindest ist er der Spieler, der im mentalen Bereich über die Jahre hinweg den größten Sprung gemacht hat. Ähnlich wie Kerber bei den Damen hat er erst viele, viele negative Erfahrungen auf dem Court machen müssen, um auch gegen die besten der Welt zu bestehen. Er hat sich ganz stark mit der mentalen Komponente auseinandergesetzt, sein Lebensmotto, das er ja auch als Tattoo trägt, kann er seit 2014 immer besser für sich nutzen. Jedes Jahr ein Slam seit 2014 - das spricht für sich. Er ist auf dem sportlichen und mentalen Zenit seines Schaffens.

3: Das deutsche Herren-Tennis gibt ein miserables Bild ab

Jannik Schneider: Die Kommunikation rund um den Davis Cup war unterirdisch. Mir gefällt überhaupt nicht, was gerade um Alexander Zverev herum passiert. Wenn man Begriffe wie "Global Player" in den Umlauf bringt, dann muss man von einem Management einfach mehr erwarten. Mir tut es für ihn und das deutsche Tennis leid. Wird das nicht schnell besser, schränkt es seine menschliche aber auch spielerische Entwicklung ein. Der Auftritt in Hamburg und die Art und Weise der kurzfristigen Absagen für Rio und den Davis Cup haben ihm geschadet. Und Kohlschreiber? Er und sein Trainer Stephan Fehske drehen seit Monaten eigentlich an den richtigen Stellschrauben. Sein Auftreten auch abseits des Platzes ist sympathischer geworden. Schade, dass er das der breiten Öffentlichkeit bei den Grand Slams in diesem Jahr nicht beweisen konnte.

Alex Antonitsch: Die allgemeine Kommunikation rund um das anstehende Davis-Cup-Spiel in Berlin hätte definitiv besser sein können, da gebe ich Jannik Recht. Aber Zverev macht Fehler und soll das mit seinen 19 Jahren auch machen dürfen - das muss man ihm in dem Alter einfach zugestehen. Der Junge wird seinen Weg gehen und ein richtig, richtig Guter. Aber ein Management ist nun mal auch dafür da, Entscheidungen zu treffen und mit der Öffentlichkeit zu kommunizieren. Da gibt es definitiv Optimierungsbedarf. Die Vorwürfe, Philipp Kohlschreiber wäre trotz des Ermüdungsbruchs nur in New York angetreten, um das Preisgeld mitzunehmen, sind haltlos. Er ist in einer Kategorie, in der er das nicht nötig hat. Er investiert mit 32 noch unglaublich viel in seinen Sport, zuletzt in puncto Ernährung. Bei den Grand Slams hat sich das in diesem Jahr nicht ausgezahlt.

Jens Huiber: Erstmal möchte ich sagen, dass die Davis-Cup-Aufstellung komplett in Ordnung ist. Mit dieser Mannschaft wird das Duell gegen Polen auch ohne Zverev gewonnen. Trotzdem stimmt die These, wenn man sich nur mal die Auftritte der DTB-Spieler insgesamt in New York anschaut. Florian Mayer unterliegt in einem eigentlich gewinnbaren Match Zeballos und gewinnt dabei nicht mal einen Satz. Kohlschreiber fährt verletzt hin und gibt auf. Zverev nehme ich ein wenig aus der sportlichen Kritik aus. Man hat danach gesehen, wie gut Evans Tenns spielen kann. Ich bewerte jetzt mal nur das rein Sportliche und sage: Unter dem Strich ist das einfach zu wenig.

Felix Götz: Eines vorneweg: Ich bin unheimlich froh, dass es Zverev gibt. Er wird dem deutschen Tennis in den kommenden Jahren noch viel Freude bereiten. Man muss ihm auch Fehler verzeihen, gar kein Thema. Dennoch muss man nach den Vorkommnissen der letzten Wochen schon auch mal kritisch sein dürfen. Der Auftritt in Hamburg war hart und nicht an Olympia oder im Davis Cup anzutreten kommt für mein Verständnis überspitzt gesagt nur dann in Frage, wenn sich einer mindestens ein Bein bricht. Ich kann mich wie Alex und Jannik auch nur wundern, wie schlecht das alles kommuniziert wurde. Gerade ein junger Kerl wie Zverev braucht ein Management, das ihn vor Dummheiten beschützt. In den vergangenen Wochen hat es ihm aber enorm geschadet, was man in Deutschland wahrscheinlich nicht so schnell vergessen wird. Kohli sehe ich etwas kritischer als ihr. Und damit meine ich gar nicht den Vorwurf, er sei in New York nur des Geldes wegen angetreten. Das halte ich für Blödsinn. Entscheidend ist: Am Ende geht es um Leistungssport und somit um Ergebnisse. Da stehen bei Kohlschreiber vier Erstrunden-Pleiten bei vier Grand-Slam-Turnieren - und das ist richtig schlecht.

4: Den Young Guns fehlt die Mentalität, die ganz Großen zu stürzen

Alex Antonitsch: Wawrinka hat das gut zusammengefasst, dass es eigentlich wahnsinnig ist, auf welch konstantem Niveau die Big Four über viele Jahre agiert haben. Fans und Journalisten sind was das angeht verwöhnt und haben zu hohe Ansprüche. Thiem kann da langfristig vordringen, ein Mentalitätsproblem hat er genauso wenig wie Zverev. Aber wir dürfen von diesen Jungen nicht erwarten, dass sie schon eine komplette Saison auf diesem Niveau abrufen. Bei Tomic und Kyrigos sieht das anders aus. Ich glaube, die wissen selbst nicht, was in ihrem Leben als nächstes passiert. Der junge Borna Coric der will dagegen ohne Ende. Da stellt sich eher die Frage: Ist er gut genug? Die jungen Amerikaner um Taylor Fritz sind langfristig interessant. Kritischer kann man da schon mit Dimitrov sein. Nur schön und nur das Image als Baby-Federer inne zu haben - das reicht nicht. Er hat sein Spiel am wenigsten weiterentwickelt. Hoffentlich bleiben uns die Arrivierten noch etwas erhalten. Sie haben viel für das Tennis getan.

Jannik Schneider: Wie Kyrgios sein Potential verschenkt, nervt mich gewaltig. Die Mittzwanziger um Tomic und Dimitrov haben doch schon längst aufgegeben, an ihre Chance zu glauben. Es wirkt so, als wären viele von der Überlegenheit der letzten Jahre erdrückt worden. Raonic ist da der Einzige, der alles versucht - aber das reicht von der Variabilität her eher nicht. Richtig bissig sind nur Zverev und Thiem. Gerade bei Ersterem habe ich das Gefühl, dass er wirklich von seinem ganzen Selbstverständnis her glaubt, gut genug werden zu können. Es ist einfach ein brutal schwerer Übergang. Als Federer und Nadal ihre Dominanz begannen, waren Sampras und Agassi schon über ihren Zenit und Hewitt, Nalbandian und Roddick nicht ansatzweise so dominierend wie heute Djokovic oder Murray.

Felix Götz: Was Tomic, Kyrgios und Dimitrov angeht, würde ich diese These unterschreiben. Da fehlt es meiner Meinung nach an der nötigen Professionalität, um wirklich ganz groß rauszukommen. Sonst kann ich Alex und Jannik nur zustimmen. Thiem und vor allem Zverev vorzuwerfen, es würde am Biss fehlen, wäre ein schlechter Witz. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis die Jungs so richtig durchstarten.

Jens Huiber: Wenn man das Finale gesehen hat und sich dann anschaut, wie gut beispielsweise Thiem spielen kann, dann sehe ich da immer noch einen kompletten Klassenunterschied zu den absoluten Topleuten. Körperlich und mental, würde ich sagen. Wenn es darauf ankommt können aktuell weder Thiem noch Zverev den ganz Großen das Wasser reichen. Aber ich denke, das kommt mit der Erfahrung. Einen Grand-Slam-Sieger, der erst 20 Jahre alt ist, werden wir so schnell nicht mehr sehen.

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