"Goethe hat mich völlig geflasht"

Von Interview: Stefan Maurer
Andrea Petkovic hat sich inzwischen auf Platz 53 der Weltrangliste vorgearbeitet
© Getty

Andrea Petkovic spielt sehr gut Tennis. Sie gewann vor kurzem ihr erstes Turnier auf der WTA-Tour und liegt auf Platz 53 der Weltrangliste - Tendenz steigend. Sie darauf zu reduzieren, wäre ein Fehler: Die 21-Jährige liebt Goethe, will Bundeskanzlerin werden und schreibt eine Kolumne für die "FAZ".

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SPOX: Hallo Frau Petkovic, wie fühlen Sie sich nach dem ersten Turniersieg in Bad Gastein und der Halbfinal-Teilnahme in Istanbul?

Andrea Petkovic: In erster Linie fühle ich mich in vielerlei Hinsicht bestätigt. Vor allem bei Dingen, die ich schon längere Zeit glaube, mir selbst aber bisher nicht beweisen konnte.

SPOX: Das Ziel Turniersieg ist abgehakt. Haben Sie für sich selbst ein langfristiges Ziel in der Weltrangliste umrissen?

Petkovic: Zahlen sind Schall und Rauch. Mein primäres Ziel ist es, mich jeden Tag zu verbessern und das Beste aus mir herauszuholen. Ich habe eine positive Grundeinstellung und großes Vertrauen in mich selbst. Deshalb glaube ich, dass sich die Zahlen von alleine einstellen werden. Was dann am Ende dabei herauskommt, werde ich in ein paar Jahren sehen. Es wird auch stark davon abhängen, ob ich verletzungsfrei bleibe.

SPOX: Reicht es Ihnen noch, unter die Top 50 zu kommen?

Petkovic: Mein Zwischenziel Top 50 habe ich auf Position 53 nun mehr oder weniger erreicht, nun hängen die Trauben höher. Eine bestimmte Zahl würde mich limitieren, es soll einfach immer weiter nach vorne gehen. Sollte ich aber über einen längeren Zeitraum stagnieren und mich nicht weiter verbessern, dann würde ich mit dem Tennis aufhören. Der zweite Grund aufzuhören, wäre der Sieg bei allen vier Grand Slams - im nächsten Moment wäre ich Tennis-Rentnerin.

SPOX: Trotzdem noch einmal eine Zahl: Sie haben in der Vergangenheit gesagt, dass ein Platz um die 100 auf Dauer Zeitverschwendung ist. Woher kommen der Ehrgeiz und die Zielstrebigkeit?

Petkovic: Zu dieser Aussage stehe ich nach wie vor. Es ist so: Wenn ich etwas mache, will ich es so gut wie möglich machen. In der Schule war ein Abi mit 1,0 das Ziel, eine 1,2 kam dabei heraus. Beim Tennis will ich das Bestmögliche herausholen und wenn ich in die Politik gehe, will ich Bundeskanzlerin werden. Diese großen Ziele sind meiner Meinung nach äußerst wichtig, um an die Spitze zu kommen. Trotzdem kann ich mich von diesen Zielen auch abkoppeln und werde kein unglücklicheres Leben führen, wenn ich einige nicht erreiche.

SPOX: Hat Ihnen die Zielstrebigkeit auch nach Ihrem Kreuzbandriss 2008 in der langen Rehabilitationsphase geholfen?

Petkovic: Ja, sie hat mir vor allem in der Hinsicht geholfen, dass ich diese Zeit als Teil eines Prozesses ansehen konnte, der mich besser macht. Ich habe diese Erfahrung als Lerngeschenk angenommen und versucht, die besten Lehren daraus zu ziehen. Ich habe immer nach vorne geschaut und war positiv. Dennoch gab es natürlich auch die Momente, in denen ich weinend zuhause saß und mit der Situation zu kämpfen hatte.

SPOX: Sie hätten nach der Verletzung auch einfach aufhören können und sich einem Studium widmen. Warum haben Sie das nicht getan?

Petkovic: Das stand nie zur Debatte. Als das Knie kaputt ging, habe ich bei den Australian Open vor 12.000 Zuschauern gegen Anna Tschakwedaze gespielt. Sie war damals unter den Top Ten und das war das bisher größte Match meines Lebens und das erste, das live im Fernsehen übertragen wurde. In dem Moment, als ich dort auf dem Court stand wusste ich: Das ist es, was ich machen will. Für diese Momente spiele ich Tennis. Dass dieses Erlebnis dann nach drei Minuten vorbei war, war schade, hat mir aber gezeigt, dass ich das unbedingt wieder erleben will. Wäre mir die Verletzung bei einem kleinen Turnier in Usbekistan in der Qualifikation passiert, würde ich heute vielleicht studieren. Es war also Glück im Unglück.

SPOX: Nun sind Sie wieder erfolgreich auf der Tour unterwegs. Aber, wie Sie selbst sagen, oft alleine. Kämpfen Sie manchmal mit der Einsamkeit? Wie sind die Beziehungen zu anderen Spielerinnen?

Petkovic: Es ist schwierig, Kontakt zu anderen Spielerinnen zu bekommen. Die deutschen Spielerinnen auf der Tour verstehen sich sehr gut und wir machen auch viel zusammen, aber oft sind wir auf unterschiedlichen Turnieren unterwegs, dann geht das nicht. Folglich ist man viel alleine, aber nicht unbedingt einsam.

SPOX: Stört Sie dieses Alleinsein?

Petkovic: Ich genieße es oft, alleine zu sein. Dann habe ich Zeit für mich selbst, habe Zeit Bücher zu lesen, meine Texte für die "FAZ" zu schreiben und mich dem Studium zu widmen. Also all die Sachen, die meinem Leben einen gewissen Grad an Normalität geben. Wenn man sich zu sehr mit dem Tennis beschäftigt und sich alles nur darum dreht, verabschiedet man sich von dieser Welt und lebt auf einem anderen Planeten. Davor bewahren mich die Stunden alleine, in denen ich mich mit anderen Dingen beschäftige.

SPOX: Was studieren Sie denn?

Petkovic: Ich studiere in Hagen per Fernstudium Politikwissenschaften.

SPOX: Sie haben ja vorher schon angedeutet Bundeskanzlerin werden zu wollen: Haben Sie Ambitionen in diese Richtung?

Petkovic: Ja, die habe ich. Ich kokettiere ganz gerne damit, dass ich eine Partei gründen möchte. Ich habe da einige Bilder und Illusionen im Kopf, die ich verwirklichen möchte und das gehört dazu. Die Partei sollte sich vor allem für junge Leute engagieren, weil wir das in Deutschland meiner Meinung nach derzeit nicht haben. Ich habe allerdings noch kein Antragsformular und das Ganze liegt noch in weiter Ferne. Aber so hat es mit dem Tennis auch angefangen, mit Bildern in meinem Kopf.

SPOX: Wie würde Ihr Wahlprogramm aussehen?

Petkovic: Mein Hauptaugenmerk würde auf der Generation zwischen 25 und 40 Jahren liegen. Ich habe viele Freunde in diesem Alter, die sich intensiv mit dem Thema Politik beschäftigen und ich habe das Gefühl, dass sich die Politik in den letzten Jahren vor allem an ältere Menschen wendet und diese als Wähler gewinnen will. Dabei bleibt meine Generation ein bisschen auf der Strecke.

Viele meiner Bekannten sind beispielsweise gezwungen, von einem Praktikum zum nächsten zu rennen und deshalb fehlt ihnen Stabilität und Sicherheit. Ich wäre gerne ein Sprachrohr für diese Generation. Das hatten wir in Deutschland schon einmal mit den 68ern, aber derzeit fehlt das in unserem Land.

SPOX: Wie hat sich Ihr Interesse für Politik entwickelt?

Petkovic: Das hängt mit meinen Wurzeln in Ex-Jugoslawien zusammen. Ich wurde in Bosnien von serbischen Eltern geboren, in einem Land in dem es zehn verschiedene Kulturen auf sehr engem Raum gibt. Irgendwann habe ich mich dann in Deutschland mit meinen Wurzeln beschäftigt, mit dem Krieg auf dem Balkan, mit der Zerrissenheit dieses Landes und dann auch mit Deutschland, meiner neuen Heimat. So hat sich dann bei mir schon relativ früh eine große Wertschätzung für die deutsche Demokratie entwickelt.

SPOX: Sie schätzen die Demokratie und sie schätzen Goethe. Ist er Ihr Lieblingsautor?

Petkovic: Ja, ist er. Ich habe früh angefangen zu lesen und ich habe schon immer Herausforderungen gesucht. So kam der Sprung von Max und Moritz zu Goethe. Der ist mir dann als der Mensch aufgefallen, der unglaublich krass mit Sprache umgehen konnte. Das hat mich völlig geflasht. Ich weiß, dass hat sich jetzt gerade nicht nach Goethe angehört, aber so war es und ist es. Ich bin einfach von seiner Fähigkeit, mit Sprache zu spielen, tiefgehend beeindruckt. Und, obwohl es viele andere großartige Autoren wie Dostojewski und Tolstoi gibt, wird Goethe für mich immer der Einzige bleiben.

SPOX: Sie selbst haben ein kleines Notizbuch mit kurzen Botschaften. Nicht das Niveau von Goethe, aber was steht da drin?

Petkovic: Das sind im Prinzip kleine Zettel, auf denen ganz einfache Dinge stehen. Die können technischer oder mentaler Natur sein, zum Beispiel "Streck dich beim Aufschlag" oder "Denk an Rafael Nadal". Nadal, weil er immer so fokussiert ist und mir dieser Fokus im Spiel manchmal abhanden kommt. Wenn ich den Zettel lese, stelle ich mir bildlich Rafa vor, wie er sich auf dem Platz gibt. Diese Dinge haben mir zum Beispiel auch im Finale in Bad Gastein geholfen, als ich sehr nervös wurde, weil mir klar war, dass ich dieses Turnier gewinnen kann.

SPOX: Sie haben grade Rafael Nadal angesprochen. Entspricht er Ihrem Idealbild eines Tennisspielers?

Petkovic: Ja, er und Maria Scharapowa. Es ist keine Frage, dass Roger Federer der talentierteste Spieler überhaupt ist, aber mir imponiert es mehr, wie Nadal und Sharapowa mit wesentlich weniger Talent diese unglaublichen Leistungen aus sich herausholen. Beide haben kein begnadetes Händchen, sondern haben sich ihren Erfolg hart erarbeitet. Deshalb kann ich mich mit beiden sehr gut identifizieren und sie dienen mir als Vorbilder. Beide sind mental unglaublich stark. Dort wo sie sind, will ich hinkommen.

SPOX: Wir sprachen viel von Bildern - lassen sie mich eines erzeugen: Sie, Maria Scharapowa, das Arthur Ashe Stadium bei den US Open...

Petkovic: Oh mein Gott, wenn Sie das jetzt sagen, passiert das mit Sicherheit. Das wäre absolut unglaublich, ich möchte fast sagen: ein Traum. Das wäre die ultimative Herausforderung, weil ich weiß, dass sie in jeder Sekunde alles aus sich herausholen wird und ich das dann auch schaffen kann.

Für solche Matches spiele ich Tennis. Das wäre ein Riesenkampf und eine große Erfahrung, aus nächster Nähe zu sehen, warum sie all diese Erfolge in der Vergangenheit feiern konnte. Ein solches Match wäre eine echte Standortbestimmung und ein Lerngeschenk.

SPOX: Und noch ein letztes Bild: Stellen Sie sich die Schlagzeile vor, die Sie in der Zukunft gerne über sich selbst lesen würden.

Andrea Petkovic: Gute Frage. Ich würde sagen: Petko, wir lieben dich!

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