"Raab bei Weitem nicht Weltklasse"

Alexander Maack
06. November 201516:49
Timo Scheider feierte im letzten Rennen der Saison seinen ersten Sieggetty
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Timo Scheider ist doppelter DTM-Champion, dieses Jahr fiel er aber besonders durch der Funkspruchaffäre auf. Im Interview spricht er über seine desaströse Saison, die Aufregung nach Spielberg und die Facebook-Fehde mit dem neuen Champion Pascal Wehrlein. Außerdem Thema: Warum er manchmal wie Stefan Raab ist und Fahrsicherheitstraining mit Hansi Hinterseer.

SPOX: Herr Scheider, Sie haben beim DTM-Saisonfinale am Samstag ihren ersten Sieg nach fünf Jahren und das erste Podium seit mehr als einem Jahr eingefahren. Wie euphorisch waren Sie bei der Zieldurchfahrt?

Timo Scheider: Was die letzten und gerade dieses Jahr passiert ist, war ein Desaster. Da gibt es kein Wenn und Aber, die Saison 2015 war mit Abstand die schlimmste für mich - in meiner gesamten Karriere. Deswegen war es umso schöner, am letzten Wochenende des Jahres da oben zu stehen. Der Sieg tat der Mannschaft und meinem Kopf gut. Man realisiert dann erst richtig, wie sehr das gefehlt hat. Klar probiert man in der Phase davor, die Situation für sich zu sortieren und sie schön zu reden. Aber solange man es nicht erreicht hat, ist es nur Gerede. Den Erfolg wirklich zu feiern, war eine große Erleichterung.

SPOX: Wie haben Sie die Motivation überhaupt so lange hochgehalten? Geht das mit purem Schönreden so einfach?

Scheider: Ich war schon immer ein positiver Mensch, der selbst in schwierigen Situationen für sich etwas Positives gefunden hat. So habe ich mich nicht unterkriegen lassen. Das war für viele nie verständlich. Es hat mir aber geholfen. Es gab genügend Momente, in denen ich am liebsten hingeschmissen hätte. Ich würde lügen, wenn ich das verneine. Ich bin Rennfahrer geworden, um zu gewinnen. Wenn man zweimal in der DTM den Titel geholt hat, gibt es nur noch ein Ziel. Über dritte oder vierte Plätze spricht kein Mensch, ab Platz 2 war das Wochenende eigentlich schlecht. So ist unsere Gesellschaft leider auch im Motorsport mittlerweile. Der Glaube von mir, meiner Familie und meinem Team war deshalb ein wichtiger Faktor. Für das nächste Jahr ist das Ziel, es wieder konstant abzuliefern.

SPOX: Neben den für Sie enttäuschenden Ergebnissen auf der Strecke gab es in der Saison 2015 viel Aufregung um Sie. Das fing schon vor dem Saisonauftakt an, als Sie in einem Interview auf die Frage nach einer Art Rennfahrerinnenquote erklärten, dass Frauen ins Fahrerlager aber aufgrund ihrer Leistung nicht in ein DTM-Auto gehören würden.

Scheider: Ich habe einfach nur meine Meinung gesagt. Da stehe ich nach wie vor dazu. Es gab nichts zu beschönigen. Frauen haben in der DTM ein schweres Leben. Ich habe am eigenen Leib erfahren, wie hart es ist, selbst wenn man schon Rennen und Meisterschaften gewonnen hat. In der DTM fährt niemand easy-cheesy mit. Es gibt Serien, wo gute Frauen in den ersten zwei Reihen stehen. Hier steht man mit zwei, drei Zehnteln Rückstand plötzlich auf Platz 15 oder 16.

SPOX: Der zweite Aufreger war der Konflikt mit Pascal Wehrlein. Sie nutzen ihre Social-Media-Kanäle sehr aktiv und teilen persönliche Erlebnisse - oft mit einem deutlichen Augenzwinkern. Das kommt bei der Konkurrenz nicht unbedingt gut an. Wehrlein war nicht gerade erfreut, als sie ein Bild ihrer Mechaniker geteilt haben, auf dem ein weinendes Kind DRS fordert, wie der DTM-Sieger auf dem Nürburgring.

Scheider: Pascal hat da nur zum Teil geschrieben. Das war sein PR-Berater. Er hat mit dem Thema angefangen, als er nach dem Vorfall in Spielberg gepostet hat: "Karma kommt zurück, ihr Zwiebelringe." Dann kam der Spruch: "Geh doch zu Hansi Hinterseer jodeln." Da sieht man die Qualität und das Niveau. Ich kann darüber nur lachen. Wenn er und seine Umgebung sich das so zu Herzen nehmen, kann ich daran nichts ändern. Ich habe Spaß, darauf zu antworten, weil ich über mich selbst lachen kann. Das sollte Pascal auch lernen.

SPOX: Der Auslöser für das Facebook-Duell war der Vorfall in Spielberg. Wehrlein schied aus, nachdem Sie einen Funkspruch von Audi-Motorsportchef Wolfgang Ullrich erhielten und anschließend aufs Heck von Robert Wickens fuhren, der dadurch seinen Markenkollegen ins Kiesbett schob. Sie wurden danach für die Rennen in Moskau gesperrt. Wie beurteilen Sie Ihre Aktion heute mit etwas mehr Abstand?

Scheider: Ich habe mich für den Fehler entschuldigt. Das Sportgericht hat eine Strafe für den Gesamtvorfall ausgesprochen, die wir akzeptiert haben. Es hat sich also nichts geändert. Es läuft noch ein Strafverfahren in Österreich, weswegen ich mich nicht weiter dazu äußern kann.

SPOX: Sie sind in der Saison 2015 nicht nur DTM gefahren, sondern auch bei einem Lauf der Rallycross-WM. In Deutschland ist der Sport beinahe unbekannt. Wie kam es dazu, dass Sie in Barcelona als Gaststarter antraten?

Scheider: Mein DTM-Renningenieur Laurent Fedacou macht denselben Job bei Münnich Motorsport und hat mir immer davon erzählt. Dazu hat mich Mattias Ekström, der selbst ein Team hat, immer informiert. Beim Saisonauftakt der DTM konnte ich mir dann ein paar Läufe im Rahmenprogramm selbst angucken. Ich habe dann gesagt: Wenn ich die Chance bekomme, dann will ich so ein Auto ausprobieren.

SPOX: Und dann wurde es gleich ein ganzes WM-Wochenende?

Scheider: Wie es der Zufall so will, war Rene Münnich als Fahrer und Teamchef plötzlich in Singapur bei einer anderen Serie am Start. Laurent hat für ihn gefragt, ob ich Interesse habe. Dann bin ich ins kalte Wasser gesprungen und nach Barcelona gefahren. Das hat gigantisch viel Spaß gemacht! Zudem waren wir sogar schnell, auch wenn ich leider bei einem Lauf mit einem gerissenen Gaszug auf Platz 2 liegend ausgeschieden bin.

SPOX: Potenzial ist da. Sie waren im zweiten von vier Läufen Elfter. Macht Mattias Ekström hinter den Kulissen Druck, damit sie bald wieder starten?

Scheider: (lacht) Ich könnte mir schon vorstellen, es öfter auszuprobieren - vielleicht auch regelmäßig. Es gibt Kontakt. Nach dem Wochenende in Barcelona gab es schon zwei Angebote. Aber die DTM und Audi haben klar Priorität. Was sich nebenbei arrangieren lässt, wird sich zeigen. Ich bin auf jeden Fall nicht abgeneigt.

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SPOX: Haben die Ausflüge zu Rennen Ihnen die nötige Lockerheit gegeben, die vorher in der DTM fehlte? Sie waren kurz vor dem Saisonfinale noch bei der TV Total Stock Car Crash Challenge unterwegs.

Scheider: Fakt ist, mit der Sperre zu Hause zu sitzen, während die anderen bei der DTM in Moskau fahren, war eine Belastung. Ich würde lügen, wenn ich sagen würde, dass mir das egal gewesen wäre. Ich bin Racer, seit 15 Jahren in der DTM. Dann sehe ich von der Couch aus mein Auto fahren. Das war sehr hart und frustrierend. Durch Rallycross und TV Total konnte ich an etwas anderes denken, Spaß haben und auf anderem Terrain etwas beweisen. Die Stock Car Crash Challenge hat keinen Wert für die Fahrerei bei der DTM. Das ist klar. Aber es ist ein Event, wo man Spaß hat. Das hatte also mit Sicherheit einen gewissen Einfluss.

SPOX: Wie ist denn Stefan Raab als Fahrer?

Scheider: Er ist sehr, sehr ehrgeizig, ein Perfektionist in allem, was er macht. Deswegen ist er in der Fernsehbranche so erfolgreich. Wenn es aber ums Auto geht, ist er vielleicht etwas über dem Durchschnitt, aber bei weitem keine Weltklasse. Da gibt es bei der Stock Car Crash Challenge bessere.

SPOX: Was an Raab sportlich faszinierend ist: Seine Fähigkeit, sich schnell auf neue Anforderungen einzustellen. Sie selbst fahren Auto, Ski, Motorrad und sind einer der besten Fußballer im Fahrerlager. Gibt es irgendetwas, das Sie nicht können?

Scheider: Ich habe auch mal Handball in einer Mannschaft gespielt. Ich glaube, wenn etwas mit Bewegung und Körpergefühl zu tun hat, bin ich wie Stefan Raab. Ich greife alles relativ schnell auf und komme auf ein ordentliches Niveau. Ich habe auch sehr viel Meditation und Konzentration geübt, um mehrere Dinge gleichzeitig zu tun, mein Gehirn mit gewissen Dingen zu überfordern. Mathematische Aufgaben sind aber eine ganz andere Baustelle. (lacht)

SPOX: Sie betreiben seit mehreren Jahren ein Kart-Team und sind zur vergangenen Saison zudem in die Formel 4 eingestiegen. Ist das schon die Vorbereitung auf die Zeit nach der aktiven Rennfahrerkarriere?

Scheider: Ich kann mir gut vorstellen, dass das meine Zukunft sein wird. Mir macht der Job Spaß - auch wenn er nicht so groß ist, wie selbst Rennen zu fahren. Nachdem wir das Kart-Team aufgebaut hatten, stellte sich die Frage, was der nächste Schritt sein könnte. Ein richtiges Rennteam zu gründen, war immer in den Köpfen. Wir hatten einen Fahrer mit Budget, der mit uns in die Formel 4 wollte, also haben wir uns dazu durchgerungen. Bei 42 Autos am Start war klar, dass es gegen viele erfahrene Teams wie die aus der Formel-3-Euroserie am Anfang Schläge geben wird. Die haben wir eingesteckt. Aber wir haben uns bis zum letzten Wochenende immer gesteigert. Das macht mich stolz.

SPOX: Der Teamchef-Posten war nicht Ihre einzige Aufgabe. Sie haben das Auto beim Rollout selbst gefahren und waren Renningenieur. Als aktiver Fahrer einem Nachwuchspiloten ruhig zu erklären, wie er fahren soll, scheint schwierig.

Scheider: Die schwierigste Aufgabe war wirklich die als Renningenieur. Wenn man auf der anderen Seite steht und der Fahrer zu vermitteln versucht, was sein Problem ist und warum er nicht schneller fahren kann, kann man das grundsätzlich verstehen. Es gibt aber so oft den Punkt, an dem man keine Antwort hat. Man kann nur irgendetwas probieren, damit er plötzlich schneller wird. Das ist unglaublich schwierig. Zumal ich erfahren musste, was abseits der Setup-Arbeit noch dazugehört. Jeden Mechaniker, jeden Dateningenieur so zu beschäftigen, dass am Ende der richtige Reifen drauf ist, der Luftdruck passt und der Fahrer glücklich ist - ich war anfangs total überfordert. Dafür brauchte ich Erfahrung.

SPOX: Verändert sich dadurch die Zusammenarbeit mit dem eigenen Renningenieur in der DTM?

Scheider: Ich habe zu Laurent nur gesagt: "Ich bin froh, kein Renningenieur zu sein." Das ist kein Spaß. Man hat immer das Ziel, dem Fahrer das bestmögliche Paket zu liefern. Wenn das nicht klappt, stellt man sich Fragen: "Warum bekommt er es nicht hin?" Mein Laurent würde mir nie die Schuld geben, egal ob ich auf Platz 1 oder 24 stehe. Selbst wenn ich einen Fehler mache, sagt er: "Wenn ich dir das Auto gegeben hätte, das du brauchst, wäre der Fehler vielleicht nicht passiert." Das gibt einem nie das Gefühl, der Depp zu sein und schweißt zusammen.

SPOX: Verbunden sind Sie dem BVB. Ist das als Audi-Fahrer manchmal ein Problem?

Scheider: (lacht) Meine Eltern kommen ursprünglich aus Dortmund. Sie haben mich so geprägt, seit ich in Lahnstein aufgewachsen bin - mit allen Höhen und Tiefen. Wenn gerade Bayern gegen Dortmund läuft, gibt's schon mal Diskussionen am Tisch. Natürlich sieht man im Hause Audi gerne, wenn die Bayern gewinnen. Mir gefällt's aber schon, wenn sie mal verlieren (lacht).

SPOX: Ihr Schwiegervater in spe ist selbst berühmt: Hansi Hinterseer, Schlagersänger und ehemaliger Skiprofi. Fahren Sie eigentlich besser Ski oder er besser Auto?

Scheider: Wir haben mal ein Fahrsicherheitstraining zusammen gemacht, bei dem ich ihm was gezeigt habe. Er ist wirklich ein sehr guter Autofahrer. Die Erfahrung habe ich schon mit anderen Skifahrern gemacht: Sie haben eine sehr hohe Risikobereitschaft und ein Gefühl für den Moment, in dem der Grip abreißt. Das ist wie, wenn der Ski anfängt zu rutschen. Da hat der Hansi ein sehr hohes Niveau. Ich dagegen habe erst vor drei Jahren mit dem Skifahren angefangen. Ich bin groß geworden, als Snowboards cool waren. Ich komme mir beim Skifahren vor, als wäre ich ein Vollpfosten. Er stellt mir trotzdem noch gute Noten aus. Das kann ich nicht begreifen, weil ich mich schrecklich dabei fühle. (lacht)

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