Ist die Gegnerwahl von Canelo Alvarez der eines Mittelgewichts-Champions würdig? Steht Amir Khan vor einem Do-or-die-Fight und hat der Brite überhaupt eine Chance? Was ist eigentlich mit Gennady Golovkin? Und: Ist Canelo auf längere Zeit das Gesicht des Boxsports? SPOX-Redakteur Jan Höfling diskutiert mit Hall of Famer Oscar De La Hoya, Legende Don King und dem zweifachen Weltmeister Kevin Kelley über den großen Showdown in Las Vegas (So., ab 3 Uhr im LIVESTREAM FOR FREE).
Canelos Gegnerwahl ist eines Mittelgewichts-Champions unwürdig
Don King: Unwürdig? Das ist vollkommener Unsinn! Canelo hat schon mehrfach unter Beweis gestellt, dass er gegen die Besten boxen will. Und Canelo gegen Khan ist einer der besten Kämpfe, die man im Moment machen kann. Ob die beiden im Welter-, Halbmittel- oder Mittelgewicht boxen, ist dabei doch vollkommen egal. Wichtig ist, dass sich beide in der Gewichtsklasse wohlfühlen. Khan ist ein großer Weltergewichtler, der Aufstieg ins Mittelgewicht ist nichts Ungewöhnliches. Das haben schon viele Boxer gemacht. Es gibt unzählige Beispiele in der Geschichte. Und außerdem ist das Catch Weight von 155 Pfund ja eher ein Vorteil für ihn.
Kevin Kelley: Ich sehe das etwas anders. Wenn man im Mittelgewicht um einen Titel antritt, dann sollte das auch beim Gewichtslimit des Mittelgewichts sein - und nicht bei einem Catch Weight. Das gilt für sämtliche Gewichtsklassen, dafür gibt es diese Limits. Khan ist aktuell kein Mittelgewichtler. Canelo wird der deutlich schwerere Mann im Ring und ihm körperlich klar überlegen sein. Das ist ein sehr großer Vorteil. Natürlich ist Khan fit, aber bisher war er nur auf maximal 147 Pfund eingestellt. Der Unterschied ist deshalb selbst bei einem Gewicht von 155 Pfund immens. Es fühlt sich für mich ein bisschen an, als wenn ein Footballspieler auf einen Basketballspieler treffen würde. (lacht) Deswegen hat Khan ungeachtet des Ausgangs meinen größten Respekt, sich einem solchen Kampf zu stellen. Canelo hat alle Vorteile auf seiner Seite.
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Jan Höfling (SPOX): Natürlich darf man Khan seine Fähigkeiten nicht absprechen. Er kann von Größe und Reichweite her vielleicht auch im Mittelgewicht antreten. Das Problem ist für mich deshalb der Zeitpunkt. Khan hat keine Erfahrung, kann sich nicht gegen Aufbaugegner an die neue Situation gewöhnen, sondern steht mit Canelo im Ring. Es ist sicher schwer, im Vorfeld zu bestimmen, wie genau sich die zusätzlichen Pfunde bei ihm auswirken werden. Wie es um seine Ausdauer, Power und vor allem Geschwindigkeit bestellt ist, muss sich zeigen. Man kann sicher argumentieren, dass das Catch Weight ihm deshalb sogar entgegen kommen wird. Da es aber keine Klausel in Sachen Rehydration gibt, hier hat das Canelo-Lager bei den Verhandlungen gute Arbeit geleistet, wird Canelo wohl zwischen acht und 15 Pfund schwerer sein. Das sind Welten. Ich hätte einen erfahrenen Mittelgewichtler als Gegner bevorzugt.
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Oscar De La Hoya: Jeder, der behauptet das Khan eine Sicherheitswahl gewesen sein soll, soll drei bessere Gegner aufzählen. Das soll nicht respektlos klingen, aber für mich ist Khan ein deutlich stärkere Gegner als zum Beispiel Monroe Jr. oder Wade. Khan hat schon mehrfach bewiesen, dass er zu den besten Boxern Pound-for-Pound gehört. Natürlich steigt er im Gewicht auf, aber das haben viele vor ihm auch gemacht - mich selber eingeschlossen.
Khan: Do-or-die-Fight oder ein Geschenk des Himmels?
Höfling:Für mich hat Khan eigentlich nichts zu verlieren, sollte er nicht direkt am Anfang ausgeknockt werden. Muss er sich nach einem guten Kampf geschlagen geben, gibt es dafür Gründe - und die liegen dann nicht nur innerhalb des Rings. Canelo ist der Weltmeister und Favorit, sein Team hatte in den Verhandlungen das sagen. Die Gegnerwahl sorgte zudem meiner Meinung nach zu Recht für Verwunderung und auch Khan dürfte ganz genau wissen, warum ihm Canelo diese Chance einräumt. Trotz all der Nachteile hat der Brite keine Sekunde gezögert und stellt sich dem Mexikaner in der Nacht auf Sonntag. Dafür hat er auf jeden Fall Respekt verdient. Er bekommt einen Kampf auf der ganz großen Bühne gegen einen Boxer, der ihm diese geben kann. Verliert er, geht es zurück auf die Insel. Dort finden sich noch einige potentielle Gegner für gute Kämpfe. Sollte er jedoch gewinnen ...
Kelley: ... dann ist Khan von heute auf morgen ein absoluter Superstar. Ich denke deshalb auch, dass die Chance, die ihm der Kampf bietet, alles andere überstrahlt. Sollte er Canelo wirklich schlagen, dann schockt er die gesamte Boxwelt - und das so richtig. Er hat einiges getan, um einen Fight gegen Floyd oder Manny zu bekommen, aber in den USA kann ich mir einfach nicht vorstellen, dass jemand dafür wirklich Geld bezahlt hätte. Das war immer ein sehr großes Problem für ihn und wäre von einer Sekunde auf die andere ganz anders. Jetzt ist seine große Chance. Das Duell in Las Vegas ist das Beste, was ihm passieren konnte. Er kann frei in den Ring steigen, was für einen Boxer unheimlich viel wert ist.
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De La Hoya: Für mich ist es für Khan in erster Linie eine ernstzunehmende Chance, sich als neuer Pound-for-Pound-King und absoluter Megastar zu krönen. Wenn er Canelo schlägt, dann würde ihn das mit einem Schlag zum heißesten Boxer überhaupt auf der Welt machen. Und er hat nichts zu verlieren. Die meisten Leute unterschätzen ihn, weil es das erste Mal ist, dass er bei diesem Gewicht boxt. Dabei ist er so schnell, dass er die Kraftnachteile ausgleichen kann.
King: Keine Frage, für Khan ist das eine Riesen-Chance, die er natürlich dankend annimmt. Er hat nichts zu verlieren und kann nur gewinnen. Wenn er K.o. geht, haben es vorher sowieso alle gewusst. Wenn er einen starken Kampf zeigt und knapp nach Punkten verliert, steigert das seinen Marktwert enorm. Und wenn er sogar gewinnt, dann ist er mit einem Schlag der neue Megastar. Außerdem verdient er gutes Geld. (lacht) Ich hätte das Angebot an seiner Stelle auch sofort angenommen. Alles andere wäre schön ja auch schön blöd gewesen.
Khan hat das Skillset, um Canelo in Las Vegas zu schlagen
King: Ich würde das mit Sicherheit nicht ausschließen und Khan auf keinen Fall abschreiben. Er ist nicht nur sehr schnell - sowohl auf den Beinen, als auch mit den Händen - sondern er kann auch hinlangen. Seine Power wird von vielen gerne etwas unterschätzt. Schlagkraft kommt nicht nur aus den Armen oder einem starken Oberkörper, sondern setzt sich zusammen aus Koordination, Geschwindigkeit und Schnellkraft. Außerdem hat Khan lange Arme - Canelo im Gegenzug nicht. Ich erwarte einen spannenden Kampf. Wobei am Ende Canelo vermutlich das bessere Ende für sich haben wird.
Canelo im Interview: "Schön, wenn jemand umfällt"
Kelley:In all den Jahren, die ich im Boxsport bin, habe ich schon so einiges gesehen. Khan muss er selbst bleiben, seine Vorteile in Sachen Geschwindigkeit ausnutzen. Er darf keine Fehler machen. Es gewinnt nicht immer der bessere Fighter einen Kampf, sondern der klügere. Das muss er verstehen und umsetzen. Wenn er etwas sieht, dann muss er es auch ausnutzen. Canelo hat mehr Power - keine Frage. Khan muss deshalb einfach schneller sein als er, er muss seinen Gegner frustrieren, ihn richtig nerven. Dann hat er eine Chance. Treffen und nicht getroffen werden, darum geht es letztlich im Boxen. Er muss seine Vorteile einfach nutzen. Er wird es aber nicht schaffen, zwölf Runden nicht getroffen zu werden. Das schafft niemand. Khan muss diese Schläge überstehen und am Ende einfach mehr Runden auf dem Konto haben als sein Gegenüber. Eine andere Chance hat er nicht.
Höfling: Die große Frage ist doch, ob Khan es wirklich zwölf Runden lang schaffen wird, voll auf der Höhe zu sein. Vor allem seine Gewichtszunahme und die fehlende Erfahrung damit bereiten mir Sorgen. Natürlich wird sich das Plus an Gewicht positiv auf seine Power auswirken und ganz nebenbei auch auf sein Kinn. Das Khan zudem ein technisch guter Boxer ist, steht außer Frage. Aber wie sieht es mit der Ausdauer aus? Er baut auf Geschwindigkeit, darf sich von Canelo zu keinem Zeitpunkt des Kampfes abtimen lassen. Er muss hellwach sein - und das über die volle Distanz. Nehmen wir die Knockout-Niederlage gegen Garcia: Von dem Schlag, den Khan damals kassierte, hätten sich auch Boxer nicht erholt, denen man zuvor ein extrem gutes Kinn attestiert hätte. Er war nicht voll da, nicht cool genug und hat deshalb einen Fehler gemacht. Wird er aufgrund des zusätzlichen und vor allem ungewohnten Gewichts irgendwann müde, dann ist der Kampf schneller vorbei, als es ihm lieb sein dürfte. Und genau das wird meiner Meinung auch passieren.
De La Hoya: Wenn er es aber doch schafft, kann ihm etwas gelingen, dass ich selbst am eigenen Leib erfahren musste. Als ich gegen Manny Pacquiao geboxt habe, haben vorher alle gesagt, dass ich zu groß und stark für ihn sein und ihn leicht auseinandernehmen würde - mich selber eingeschlossen. Dabei musste ich schmerzhaft feststellen, dass die alte Weisheit gilt: "speed kills". Mit seiner Schnelligkeit hat Khan gute Chancen, Kreisen um Canelo herumzuboxen und ihn zu besiegen.
Siegt Canelo, dann führt an Golovkin kein Weg vorbei
De La Hoya: Ich will dem Kampf gegen Khan nicht vorgreifen. Mit dem, was danach kommt, setzen wir uns jetzt natürlich noch nicht auseinander. Die volle Konzentration von Canelo und dem ganzen Team gilt diesem Samstag und dem Kampf gegen Khan. Jetzt schon über die nächsten Kämpfe zu reden, wäre nicht nur respektlos, sondern auch dumm.
Canelo Alvarez: Golden Boy mit Makel
King: Der Kampf ist von der WBC angeordnet, und was angeordnet wird, muss auch passieren. Und es ist einer dieser Kämpfe, die die Welt sehen will. Aber ganz ehrlich: Canelo könnte auch ins Halbmittelgewicht zurückgehen. Die Frage ist dann, ob Golovkin ihm dahin folgt und so viel Gewicht machen will. Doch so spannend wie diese Frage auch erscheinen mag: Erst mal zählt nur, was am Samstag im Ring passiert. Und wenn Khan gewinnt, dann hat sich das Thema sowieso erledigt, denn dann gibt es wahrscheinlich erst mal das Rematch.
Kelley:Jetzt muss ich wohl ehrlich sein. Ich denke nicht, dass der Fight überhaupt jemals zustande kommen wird. Niemals. Damit will ich nicht sagen, dass Canelo zu sehr beschützt wird oder das er selbst nicht die nötigen Eier hat. Aber er ist aktuell die größte Cash Cow des Sports. Boxen ist nicht wie MMA. Wenn man im Boxen einen Kampf verliert, dann kann das sehr schnell zu einem Problem werden. Vor allem, weil Canelo die Power von Triple G nicht einfach wegstecken kann. Gennady schlägt deutlich zu hart für ihn. Im Mittelgewicht ist er nahezu unantastbar. Das, was Canelo mit Miguel Cotto gemacht hat, würde Golovkin mit ihm machen. Er ist einfach zu groß für ihn, befindet sich auf einem anderen Level. Canelos Wille würde ihn auf den Beinen halten, aber er würde sich dennoch ein Tracht Prügel einfangen.
Höfling: Ich kann mir ebenfalls nicht vorstellen, dass es auf absehbare Zeit zu diesem Kampf kommen könnte. Auch wenn Canelo vom Gewicht und seiner Power her ohne Probleme im Mittelgewicht kämpfen kann. Dabei liegt es glaube ich nicht mal am Herz des Mexikaners. Canelo ist ein Kämpfer, stellt sich Herausforderungen. Die Leute um ihn herum und wohl auch er selbst sind allerdings nicht dumm. Im Box-Zirkus zählt weit mehr als der sportliche Vergleich. Es geht primär um Kohle - jede Menge Kohle. Nicht nur für die Kämpfer, sondern für alle Beteiligten. Canelo ist 25 Jahre alt, hat den gesamten mexikanischen Markt im Rücken - und würde gegen Golovkin untergehen. Eine Knockout-Niederlage kann seine Karriere verändern. Der Power des Kasachen ist im Mittelgewicht einfach niemand gewachsen. Von der Tatsache, dass Golovkin boxen kann mal abgesehen. Für Canelo gibt es meiner Meinung nach zunächst andere Gegner. Ein solches Mismatch wäre unklug.
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Canelo wird in den nächsten Jahren das Gesicht des Boxens sein
King: Das ist er doch schon, oder? Nach den Rücktritten von Mayweather und Pacquiao gibt es im Moment keinen größeren Star. Canelo ist der Held aller Mexikaner. Viva Mexico! Und ich weiß, was das bedeutet, schließlich habe ich Julio Cesar Chavez im Azteken-Stadion vor über 130.000 Zuschauern veranstaltet. Dem Jungen steht die ganze Welt offen.
De La Hoya: Ich denke auch, dass Canelo schon jetzt der größte Star ist, den der Boxsport im Moment zu bieten hat. Wenn er gewinnt, wird das seine Legacy noch weiter untermauern und seinen Marktwert mit Sicherheit nicht schmälern. Auf der anderen Seite wäre eine Niederlage natürlich ein Rückschlag, obwohl er gegen einen sehr starken Gegner boxt. Insofern hat Canelo in diesem Kampf mehr zu verlieren als Khan. Aber insgesamt ist er vor allem deshalb ein Star, weil er nie einer Herausforderung aus dem Weg geht und immer gegen die Besten ran will. Darin würde sich auch nichts ändern, falls er verlieren sollte.
Kelley:Ganz so einfach wie für euch ist es für mich nicht. Es gibt viele große Namen, die in Zukunft in diesem Punkt mitreden können. Triple G zum Beispiel. Die Mehrheit würde bei einem Fight der beiden auf einen Sieg für GGG tippen. Das sagt schon einiges. Canelo hat aber noch Zeit. Er ist erst 25, das ist jung, verdammt jung. Bei den mexikanischen Fans gibt es keine Alternative. Geht es die Frage, wer mehr Kohle macht, kann ich kaum widersprechen.
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Höfling: Die primäre Frage für mich lautet: Wie sieht es mit der Gewichtung aus? Finanziell gesehen, kann ich wie Kevin kaum widersprechen. Canelo ist jung, hat einen riesen Markt hinter sich - und zieht auch außerhalb des selbigen das Interesse auf sich. Ein Vergleich mit Mayweather oder Pacquiao kommt aber meiner Meinung nach zu früh und es muss auch nicht immer ein Vergleich her. Sportlich gesehen, gibt es viele interessante Boxer. Bleiben wir zum Beispiel bei Golovkin. Ich liebe es einfach, wenn er in den Ring steigt. Der Mann kennt keine Gnade, zermalmt einen Gegner nach dem anderen. Nicht ohne Grund gehen ihm nahezu sämtliche große Namen aus dem Weg. Ein Kampf von Golovkin gegen Andre Ward etwa im Super-Mittelgewicht? Sehr, sehr gerne. Ich brauche nicht das eine "Gesicht des Boxens", der Sport hatte und hat mehr zu bieten als einen Boxer.
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