An einem Nachmittag in Plowdiw

Von Norbert Pangerl
Ulli-Wegner-Schützling Robert Helenius (M.) ist der neue Hoffnungsträger des Sauerland-Boxstalls
© Getty

Erst Lamon Brewster, dann Samuel Peter und jetzt Sergei Ljachowitsch: Robert Helenius knöpft sich einen Ex-Weltmeister nach dem anderen vor. Der 27-jährige Hoffnungsträger des Sauerland-Boxstalls hat in den letzten Jahren einen fulminanten Aufstieg in den Ranglisten hingelegt - und dabei so manch prominenten Kollegen hinter sich gelassen.

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Hagen Doering hat wieder einmal Recht behalten. Als der Sauerland-Sportdirektor bei der Amateur-Europameisterschaft 2006 im bulgarischen Plowdiw auf Talenteschau weilte, beobachtete er neben einigen bekannten Namen auch einen jungen Finnen, den bis dahin keiner auf dem Zettel hatte. Sein Name: Robert Helenius.

"Ich habe Robert gesehen und wusste, dass man aus ihm etwas machen kann", schildert der erfahrene Ex-Boxer in der Nachschau jene Szene die sich damals in Osteuropa abspielte.

Kurze Zeit später machte sich Doering auf den Weg nach Finnland um den damals 22-jährigen Zwei-Meter-Riesen von einem Engagement in Deutschland zu überzeugen. Doering war sich sicher: "In zwei Jahren ist Helenius ein eingeführter Name in Deutschland. Und wir haben die Chance ihn auf der Weltbühne zu entwickeln."

Als Amateur nach Deutschland

Helenius willigte ein und kam zu den Sauerländern nach Berlin. Dort ging er zunächst als Amateur für Hertha BSC in der Box-Bundesliga auf Punktejagd. Die Olympischen Spiele 2008 in Peking waren das erklärte Ziel. Zuvor wollte er bei der Amateur-WM 2007 noch für Furore sorgen.

Daraus wurde jedoch nichts: eine Verletzung verhinderte die Teilnahme an der WM, und nach Niederlagen in den Qualifikationsturnieren konnte sich der gebürtige Schwede auch den Flug nach China sparen.

"Ich habe mich gefragt, was ich will, und dann beschlossen, es als Profi mit aller Kraft neu zu versuchen. Die Alternative wäre das Karriereende gewesen", blickte der Normalausleger gegenüber der "Welt" auf diesen Scheidepunkt seiner Box-Laufbahn zurück.

Wilfried Sauerland, der sich zuvor bereits eine Option auf einen Profivertrag gesichert hatte, glaubte der Einschätzung Doerings, und so bestieg Helenius im Mai 2008 erstmals als Berufsboxer den Ring. Seitdem geht es für den zweifachen Familienvater stetig nach oben. Er hat sich beim wichtigsten deutschen Boxstall zum großen Hoffnungsträger gemausert.

Ausrufezeichen gegen Samuel Peter

Den vorläufigen Höhepunkt seiner Karriere setzte The Nordic Nightmare im April mit einem K.o.-Sieg gegen Ex-WBC-Weltmeister Samuel Peter. In der neunten Runde schickte er den übergewichtigen und langsamen Nigerianer - noch vor nicht allzu langer Zeit selbst ein Hoffnungsträger im Schwergewicht - zweimal mit dem linken Haken auf die Bretter.

Eisenkinn Peter schaffte es nach dem ersten Niederschlag zwar noch auf die Beine, nach der zweiten Bombe blieb er aber bewusstlos auf dem Ringboden liegen. Helenius hatte ein Ausrufezeichen gesetzt. Nicht das erste. Bereits im Jahr zuvor hatte er Ex-WBO-Champ Lamon Brewster in Box-Rente geschickt.

Nervosität lähmt Können

Der tolle K.o.-Erfolg gegen Peter, der ihn auf Platz 4 der unabhängigen Weltrangliste und in die Top-15 aller anerkannten Verbände katapultierte, machte jedoch auch deutlich, dass dem Fighter aus dem südfinnischen Porvoo noch einiges fehlt, um im Konzert der ganz Großen mitmischen zu können.

"Ich kann mit sehr großem Selbstbewusstsein in diesen Kampf gehen und bin siegessicher", hatte er vor dem Kampf angekündigt. Im Ring präsentierte sich der Wegner-Schützling dann aber nervös und zurückhaltend, so dass sich der Trainer-Fuchs zu intensiven Appellen genötigt sah: "Dass du dich nicht hängenlässt, deine Kinder wollen stolz auf dich sein", posaunte er seinem "Jungen" in die Ohren.

Noch viel Arbeit für Ulli Wegner

In der Tat ließ der Hüne sein boxerisches Talent nur sehr selten aufblitzen. Körperlich klar im Vorteil, war er viel zu behäbig und passte sich dem langsamen Tempo seines Gegenübers an. Auffällig waren zudem Schwächen in der Beinarbeit und eine niedrige Workrate. Auch die Führhand brachte er zu selten ins Ziel.

Bei aller Kritik wurde jedoch klar, dass der Sauerland-Stall einen Rohdiamanten in seinen Reihen hat. In seinem erst 15. Profikampf demontierte er einen Boxer, der im Kampf zuvor noch gegen Wladimir Klitschko im Ring stand und 38 Kämpfe auf dem breiten Buckel hatte.

Helenius verfügt über Power in beiden Fäusten, eine gute Übersicht und schlägt sehr präzise. Auch sein Kinn hat den Treffern des schlagstarken Nigerianers widerstanden. Und das, obwohl er von seiner Statur eher harmlos erscheint. Keine Muskelberge, kein Sixpack - eher wie der Computer-Nerd aus der Videothek nebenan kommt er daher.

Ex-Weltmeister Ljachowitsch als nächster Meilenstein

Diese perfekte Tarnung will er nun gegen Sergei Ljachowitsch erneut ausspielen. Einen ersten Erfolg scheint er dabei schon erzielt zu haben. "Das ist ja kein Basketball, wir sind beim Boxen. Hier geht es nicht allein um die Größe. Hier geht es eher um das Wissen, die Fähigkeiten und Erfahrung", tönte der 35-jährige Weißrusse und prognostizierte: "Ich werde den Kampf gewinnen."

Helenius seinerseits sieht in seinen Reichweitenvorteilen das größte Plus. "Ich bin viel größer als er. Das heißt, ich kann den Kampf mit der Führhand lenken. Bisher bin ich bei den Profis ungeschlagen. Es gibt also keinen Grund, warum ich mir Sorgen machen müsste", erklärte er selbstbewusst im Vorfeld des Aufeinandertreffens.

Heißes Eisen für die Post-Klitschko-Ära

In der Tat braucht sich Helenius um seine Zukunft keine Sorgen zu machen. Er ist mit 27 Jahren noch ein Jungspund im Schwergewicht, hat aber durch das hervorragende Matchmaking seines Boxstalls schon zahlreiche namhafte Konkurrenten hinter sich gelassen. Gewinnt er weiterhin seine Kämpfe, ist es nur eine Frage der Zeit, bis er die Chance erhält, um einen der begehrten Weltmeistertitel zu kämpfen.

Ob er dabei noch auf einen der beiden Klitschkos trifft, ist aber fraglich. Für ein Duell in naher Zukunft fehlt Helenius noch die notwendige Ringerfahrung. Vor allem in seiner Persönlichkeit müsse der Finne noch reifen, um gegen die Klitschkos bestehen zu können, so sein Coach Ulli Wegner in der vergangenen Woche.

Der Weltmeister-Macher fügte an: "Im Moment bin ich noch sehr vorsichtig mit meinen Worten. Klar ist es unser Ziel, die Klitschkos zu schlagen, aber wir können das erst machen, wenn das Format da ist, das uns sicher macht, dass wir gewinnen können."

Robert Helenius kann es erwarten und sich mit den Chambers', Dimitrenkos und Furys um die Nachfolge der beiden ukrainischen Brüder streiten. Schlechte Karten hat er dabei nicht.

Sympathisch, ruhig und bescheiden ans Ziel

In der Sympathie-Rangliste hat sich der bescheidene Finne eh schon längst auf die Spitzenplätze vorgearbeitet. Im Gegensatz zu vielen anderen Boxern, erleben die Zuschauer einen selbstreflektierten, intelligenten jungen Mann, der vier Sprachen spricht und stets freundlich und höflich bleibt.

"Ich mag das, so zu sein. Ich habe eine Familie mit zwei Kindern. Da muss ich auch ein Vorbild sein. Und ich würde auch sagen, dass ich schon immer etwas ruhiger gewesen bin. Dennoch, im Ring kann ich zum Tier werden. Das sind einfach zwei unterschiedliche Bereiche", charakterisierte sich Helenius vor dem Peter-Kampf selbst.

Am Samstag wird Sergei Ljachowitsch im Ring wohl auf das Tier treffen. Läuft alles nach Plan kann Hagen Doering dagegen nach dem Kampf wohl einem netten, freundlichen Skandinavier gratulieren - und sich zufrieden an Plowdiw erinnern.

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