Die Metamorphose eines Swingman

Von Haruka Gruber
Bundestrainer Dirk Bauermann (l.) funktionierte Philipp Schwethelm zum Spielmacher um
© Imago

Nicht erst die Frankreich-Pleite offenbarte ein Grundproblem des deutschen Basketballs: die fehlenden Floor Generals. Bundestrainer Dirk Bauermann behilft sich mit einem radikalen Schritt und funktionierte Philipp Schwethelm zum Spielmacher um.

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Dirk Bauermann wusste, dass es ein gewagtes Unterfangen ist. Er wollte folglich keine Zeit verlieren und schritt zur Tat, dabei waren keine zwei Tage seit dem Ausscheiden in der WM-Vorrunde vergangen.

Er nahm vor ziemlich genau einem Jahr das Telefon und wählte die Nummer von Douglas Spradley, seines Zeichens Bremerhavens Chef-Trainer und damit verantwortlich für Philipp Schwethelms basketballerische Ausbildung.

Obwohl sich einige BBL-Coaches in der Vergangenheit einer zu großen Einflussnahme des Bundestrainers verwehrten, fragte dieser Spradley um einen Gefallen. "Ich habe ihn gebeten, gezielt an Philipps Spielmacher-Fähigkeiten zu arbeiten. Wenn es in einem BBL-Spiel nicht möglich sein sollte, dann zumindest im Training", erzählt Bauermann.

Dirk Bauermanns Idee

Ein eher ungewöhnliches Anliegen, gilt Schwethelm gemeinhin doch als klassischer Swingman, dessen Heimat die Small-Forward- oder Shooting-Guard-Position ist. Bauermann aber erkennt in Schwethelm mehr als einen wurfstarken Flügel, er sieht einen Spieler, der trotz seiner 2,01 Meter behänd mit dem Ball umzugehen weiß und diesen nur selten unnötig verliert.

Im Wissen darüber, dass er in Deutschland mittlerweile aus einem Grundstock an talentierten Forwards und Centern wählen kann, sich im Gegensatz dazu jedoch nur wenige Nachwuchs-Point-Guards anbieten, reifte in Bauermann ein Plan, den er schnell angehen wollte.

Bauermann erinnerte sich daran, dass Schwethelm in der Jugend und zu Beginn seiner Profi-Karriere in Köln unter Sasa Obradovic des Öfteren als Spielmacher eingesetzt wurde und durchaus gefiel. Warum nicht auch bei der Nationalmannschaft?

Tipps von Baeck

In der Vorbereitung überraschend, ist es inzwischen ein gewohnter Anblick bei der EM, dass Schwethelm für den Spielaufbau verantwortlich zeichnet. "Das klappt sensationell gut, er macht das großartig", sagt Bauermann.

Stephan Baeck, Schwethelms ehemaliger Vorgesetzter in Köln und als "Sport1"-Experte in Litauen vor Ort, bereitete ihn im Sommer auf die Aufgaben vor, trainierte mit ihm gezielt Pick'N'Roll-Situationen und gab die Erfahrung eines 133-maligen Nationalspielers und Europameisters weiter.

"Philipp hat stark an seinem Dribbling gearbeitet und ist jetzt in der Lage, Pick'N'Roll-Situationen besser zu lösen. Das in Kombination mit seinem Wurf macht ihn zu einem gefährlichen Spieler. Nach einem Pick'N'Roll kann ihn der Gegner nicht stehen lassen, weil er es sofort mit einem Dreier bestraft", erklärt Baeck.

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Die Kombination aus Hamann und Schaffartzik?

Die letzten Jahre sehnte man sich nach einem Spielmacher, der Steffen Hamanns Größe und den sicheren Distanzwurf eines Heiko Schaffartzik vereint. Könnte Schwethelm die Lösung sein? Der 22-Jährige ist sieben Zentimeter größer als Hamann und trifft 62,5 Prozent der Dreier, außerdem unterliefen ihm in seinen 60 Spiel-Minuten bei der EM erst zwei Turnover.

Ein Beleg für den Wert eines Point Guards, der um die zwei Meter misst, bietet die Historie. Magic Johnson (2,06) ist der Urtypus dieser seltenen Gattung, zu der auch Penny Hardaway (2,01) oder die beiden Griechen Theodoros Papaloukas (2,00) und Dimitris Diamantidis (1,98) sowie Schwethelms Ex-Trainer Obradovic (1,97) gehören. Der Vorreiter war Triple-Double-Legende Oscar Robertson (1,96) in den 60er Jahren.

Nur: Schwelthelm wird niemals die Tradition großer Point Guards fortsetzen, unabhängig davon, wie sehr er sich noch bei seinem neuen Verein FC Bayern verbessern wird. Er bringt gewisse Voraussetzungen mit, doch ihm fehlen die Grundlagen, um sich international dauerhaft auf der Eins zu behaupten.

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Schwethelm mit nur einem Assist

Es fängt an mit dem fehlenden Antritt, den ein Hamann nutzt, um wie gegen Frankreich den Korb zu attackieren. Es setzt sich mit seinem Ballhandling fort, das für einen Mann seiner Größe zwar überdurchschnittlich gut ist. Bei einer gezielten Presse des Gegners gerät Schwethelm im Aufbau jedoch schnell in Bedrängnis. Und: Es fehlt ihm die Court Vision und das strategische Geschick, die Spielmacher sonst auszeichnen.

Daher sagt auch Baeck: "Phlipp kann den etatmäßigen Point Guard entlasten, den Ball souverän nach vorne tragen und bei einem Spielzug den Entry Pass spielen. Aber das heißt nicht, dass er ein komplettes Spiel lesen kann. Deswegen kann er keine dauerhafte Lösung auf der Eins sein."

Für Baecks These spricht, dass Schwethelm in den bisherigen drei EM-Spielen einen Assist verteilt hat - selbst für einen Flügelspieler zu wenig. Von den sieben am meisten eingesetzten Spielern gab neben Schwethelm lediglich Center Chris Kaman ebenfalls nur eine Vorlage.

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Es fehlen die Alternativen

Dass Bauermann ihm in der Spielorganisation dennoch eine solch gewichtige Rolle zukommen lässt, ist verständlich. Der triviale Grund: Es gibt in Deutschland keinen Besseren - weswegen der Bundestrainer entgegen seiner Gepflogenheiten mit Hamann und Schaffartzik nur zwei und nicht drei gelernte Point Guards nominierte.

Per Günther spielte eine gute BBL-Saison, in der Vorbereitung aber erwiesen sich seine 1,84 Meter im Verbund mit seinem wackligen Wurf als zu folgenschwer.

Zum erweiterten Kader gehörte bereits 2009 Bayerns Bastian Doreth (1,82 Meter), dennoch geht auch ihm auf der anspruchsvollsten Position im Basketball noch die Reife ab. Ansonsten fehlen auf der Point-Guard-Position die Übertalente.

Einige Insider bezeichnen Würzburgs Constantin Ebert als ein interessantes Projekt - doch er kommt für die Nationalmannschaft frühestens 2015 oder 2016 in Betracht. Ebert feierte erst Anfang des Jahres seinen 15. Geburtstag.

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