NFL

NFL: Sollten die Chicago Bears Justin Fields traden?

fields
© getty

Der Draft beginnt mit dem Nummer-1-Pick - und über selbigen wird schon zwei Monate vor dem Draft ausführlich diskutiert: In welche Richtung sollen die Bears mit dem Pick gehen? Wer könnte für diesen Pick traden? Oder ganz anders gedacht: Sollten die Bears an Nummer 1 selbst einen Quarterback draften?

Anzeige
Cookie-Einstellungen

Der Sieg der Houston Texans gegen die Indianapolis Colts hat die Zeit zwischen Saisonende und Draft aus neutraler Perspektive deutlich interessanter gemacht. Denn hätte Houston den Nummer-1-Pick gehalten, die Diskussionen hätten sich lediglich darum gedreht, welchen Quarterback Houston nehmen soll.

Doch mit den Bears auf dem Top-Spot im Draft öffnete sich eine ganz andere Debatte: Sollte Chicago einen Quarterback draften? Ist es zu früh, um Justin Fields aufzugeben? Sollte man Fields überhaupt aufgeben?

Das führt unweigerlich auch zu übergreifenden Themen. Wie viel Zeit sollten junge Quarterbacks bekommen, insbesondere dann, wenn sie bislang nur in äußerst schwierigen Umständen gespielt haben?

Spätestens seitdem die Arizona Cardinals im 2019er Draft Vorjahres-Nummer-10-Pick Josh Rosen nach nur einem Jahr in äußerst schlechten Umständen aufgaben und an Nummer 1 Kyler Murray drafteten, wird diese Diskussion merklich offener geführt - bis an den Punkt, dass mit ESPN-Analyst Todd McShay jüngst ein Mainstream-Analyst aus einem großen Network jüngst den Bears empfahl, Bryce Young zu draften und Justin Fields zu traden.

Gerüchteküche brodelt nach dem Senior Bowl

So häufen sich nach dem Senior Bowl auch die Gerüchte, wonach in der Liga mehr und mehr GMs davon ausgehen sollen, dass Fields getradet wird. Und man muss diese Gerüchte einordnen: Der Senior Bowl ist die erste Offseason-Gelegenheit, bei der Coaches und GMs von nahezu allen Teams an einem Ort sind; es ist eine natürliche Brutstätte für Gerüchte.

Selbst wenn man aus den Gerüchten schon mehr mitnehmen will: Dass bei anderen Teams der Eindruck entsteht, dass Fields getradet wird, könnte auch einfach das Resultat davon sein, dass die Bears sich Angebote für Fields zumindest anhören und abwägen.

Das per se muss auch nichts heißen. Es kann einfach bedeuten, dass GM Ryan Poles keine Option ausschließen will - etwas, das seine Aussage auf der Saison-Abschluss-Pressekonferenz zumindest mal angedeutet hatte.

Poles hatte Fields' Playmaker-Qualitäten und seine Fortschritte gelobt. Aber er stellte auch unmissverständlich klar: "Er muss als Passer besser werden."

NFL, Chicago Bears, Justin Fields
© getty

Justin Fields: Besorgniserregender Rückschritt 2022

Wenn man Fields' Passing-Statistiken anschaut, dann war er 2021 tendenziell sogar noch effizienter als 2022. Selbst wenn man Interceptions und Sacks ausklammert - seine Interception-Rate blieb relativ stabil (3,7 Prozent 2021, 3,5 Prozent 2022), seine Sack-Rate ging 2022 hoch (von 11,8 auf 14,7 Prozent) - war er in puncto Expected Points Added pro Pass 2021 besser als 2022.

Seine Completion Percentage Over Expectation nahm im Vergleich von 2021 (-2,0 Prozent) zu 2022 (-2,5 Prozent) leicht ab, und das obwohl er die zweithöchste Play-Action-Quote (32,7 Prozent) sowie die zweithöchste Screen-Quote (16 Prozent) in der NFL hatte.

Bei knapp der Hälfte seiner Pässe drückten die Bears also schon den "Easy Button" und gaben Fields vergleichsweise simple Reads und einfache Completions. Eine drastische Veränderung im Vergleich zu 2021, wo nur knapp über sechs Prozent seiner Pässe via Screen und unter 25 Prozent seiner Pässe via Play Action kamen.

Diese Zahlen machen stutzig, und das sollten sie auch. Im Grundsatz würde man von einem Quarterback im zweiten Jahr einen merklichen Schritt nach vorne als Passer erwarten. Das muss nicht zwangsläufig so sein, aber es wäre der Verlauf, der am vielversprechendsten für die weitere Prognose ist.

Wenn dann der Quarterback ein offensives System um sich herum aufgebaut bekommt, welches es ihm leichter machen sollte, zumindest seine Effizienz nach oben zu schrauben, und dann nicht nur kein Fortschritt, sondern eher noch ein Rückschritt eintritt - dann sollten ein paar Alarmglocken schrillen.

Fields: Für den Moment in erster Linie Playmaker?

Wie immer ist auch hier Kontext wichtig. Die Umstände, was die individuelle Qualität angeht, wurden in Chicago zur Genüge besprochen, und als Playmaker hat Fields 2022 fraglos eine bessere Saison gespielt.

Doch kamen diese Sprünge sowohl in seiner Effizienz als Quarterback insgesamt als auch in seinen Playmaker-Auftritten primär eindeutig als Runner. Und das insbesondere mit einer ungewöhnlichen Anzahl an sehr langen Runs.

Fields produzierte über 20 Expected Points Added bei Runs über mindestens 40 Yards - kein anderer Quarterback hatte letztes Jahr mehr als 8 EPA bei solchen Runs. Hier muss man die Frage stellen: Wie nachhaltig ist das? Inwieweit kann Fields das aufrechterhalten? Inwieweit kann man darum eine Offense aufbauen, und sollte das überhaupt ein Ziel sein?

Denn nach allem, was wir bisher sagen können, kann Fields ein aufregender Playmaker in einer QB-Run-Heavy-Offense sein. Aber dass er eine Passing-Offense anführen kann, selbst wenn man diese als Ergänzung zu dem sieht, was er als Runner machen kann, dieser Nachweis fehlt uns bisher noch.

Und sicher, die Offensive Line war nicht gut - aber sie war nicht so schlecht, wie die totalen Zahlen manchmal wirken.

Unter allen Quarterbacks mit mindestens 300 Dropbacks hatte Fields in der vergangenen Saison eine der schlechtesten Pressure-zu-Sack-Quoten in der NFL. Einzig Baker Mayfield, Matt Stafford und Russell Wilson waren hier noch schlechter, Fields' Marke von 26,6 Prozent - also aus 26,6 Prozent der Quarterback-Pressures gegen Fields wurden Sacks - rangiert noch höher als etwa Carson Wentz, Mac Jones oder Matt Ryan.

Spiel gegen die Falcons (Week 11), 13:34 im 2. Viertel, 8-Yard-Sack

NFL, Chicago Bears, Justin Fields
© NFL Gamepass

Die Situation hier ist mit Dritter-und-19 relativ aussichtslos. Aber nicht aussichtslos ist die Position auf dem Feld, und selbst wenn die Bears kein neues First Down bekommen können, so gibt es zumindest eine reelle Chance, dass ein kurzer Pass auf David Montgomery mit Yards nach dem Catch dazu führt, dass man in Field-Goal-Reichweite kommt.

Mehrere Punkte fallen bei diesem Play negativ auf: Fields' Tendenz, zu lange an einem Read zu kleben, sein wackliger Umgang mit Pressure - und ein Stück weit auch der Mangel an Awareness, was die Situation auf dem Feld angeht, aber auch was die Coverage betrifft.

NFL, Chicago Bears, Justin Fields
© getty

Denn die Falcons starten zwar mit zwei tiefen Safeties Pre-Snap, rotieren daraus aber nach dem Snap schnell raus und spielen eine Single-High-Coverage.

Die beiden Cornerbacks lassen sich tief und nach außen fallen, sodass die beiden tiefen Out-Routes, die am ehesten eine Chance auf ein First Down gehabt hätten - und wo Fields mutmaßlich hingehen wollte -, komplett gecovert sind.

Währenddessen bricht die Interior Protection gegen 4-Man-Rush der Falcons ein, was in der Regel kein gutes Zeichen für eine Offensive Line ist. Fields registriert den Stunt nach innen und den daraus resultierenden Pressure nicht, und statt Montgomery den Ball mit zumindest der Chance auf ein positives Play zu servieren, wird er acht Yards im Backfield zu Boden gebracht und die Bears müssen punten.

Spiel gegen die Falcons (Week 11), 15:00 im 3. Viertel, 6-Yard-Sack

NFL, Chicago Bears, Justin Fields
© NFL Gamepass

Das Spiel gegen die Falcons war auch deshalb negativ auffällig, weil Atlanta - neben den Bears - den harmlosesten Pass-Rush in der NFL hatte und Fields trotzdem vier Sacks bei einer Pressure-zu-Sack-Rate von 23,5 Prozent einsteckte.

Und es war negativ auffällig, weil einige von Fields' Kernproblemen sichtbar waren. Wenn der erste Sack ein Awareness-Thema war, dann unterstrich der Sack gleich zum Start in die zweite Hälfte seine Probleme dahingehend, dass seine Reads zu langsam sind und er zu zögerlich in seinen Entscheidungen sein kann.

Nach einem Play-Action-Fake aus einer engen Formation, auf den die Defensive Front durch die Bank weg anbeißt, sind die Linebacker bemüht, schnell wieder Tiefe zu gewinnen, um Routes in ihrem Rücken abzudecken.

Doch als Fields' Dropback beendet ist, sind die Linebacker noch im hektischen Rettungsmodus, und Darnell Mooney ist in der Mitte des Feldes komplett blank. Ein Touch-Pass über die Linebacker sollte hier in einem Big Play resultieren. Fields setzt auch kurz zum Pass an, zögert dann aber, und dann kollabiert die Pocket um ihn herum.

Spiel gegen die Lions (Week 17), 3:02 noch im 2. Viertel, Strip-Sack Turnover

NFL, Chicago Bears, Justin Fields
© NFL Gamepass

Ein anderes Beispiel, dieses Mal aus dem Woche-17-Spiel gegen Detroit.

Die Bears laufen hier ein tiefes Play-Action-Konzept. Eine 7-Mann-Protection, nur zwei Routes, beide vertikal.

So wie ich dieses Konzept verstehe, ist das Ziel, den Single-High-Safety zunächst direkt zu attackieren, um ihn dann mit nach außen zu ziehen.

NFL, Chicago Bears, Justin Fields
© NFL Gamepass

Dann gib es zwei Optionen: Wenn sich der Outside-Corner tief fallen lässt, ist das Fenster für den Receiver mutmaßlich geschlossen.

Doch wenn der Safety trotzdem mitgegangen ist, sollte die In-Breaking-Route von der rechten Seite offen sein. Das ist die Route, die Fields anvisieren sollte, sobald er sieht, dass der tiefe Safety sich Richtung Sideline bewegt.

Ich denke, dass es hier für Fields den genau richtigen Moment gibt, um den Ball mit Antizipation über die Mitte zu werfen: Der Safety geht Richtung Sideline, der Corner muss sich erst neu ausrichten.

Doch Fields liest nur die Route zu seiner linken Seite, und als er den nach hinten sinkenden Corner sieht, zögert er und bricht die Wurfbewegung ab. Er entkommt dann aus der Pocket, verliert aber den Überblick über den Pass-Rush und wird von hinten abgeräumt, sodass er den Ball fumbelt.

Fields, die Bears und das Fenster des Rookie-Vertrags

Insgesamt sieben Sacks kassierte Fields in diesem Spiel. Es war für ihn eines von acht Spielen in der vergangenen Saison, in denen er je mindestens vier Sacks einsteckte. Zu sehen, wie etwa Bryce Young mit Druck umgeht und die Pocket managt, ist eine gänzlich andere Erfahrung.

Fields ist ein anderer Spielertyp auf der Quarterback-Position, seine Rushing-Qualitäten bringen eine andere Art von Floor mit.

Die Frage muss also lauten: Kann Fields als Passer auf ein Level kommen, das ihm spezifisch in diesem Bereich seines Spiels ausreichende Stabilität gibt, um als Passer "gut genug" zu sein, dass das Gesamtpaket Top-10-Quarterback-Potenzial hat?

Hier kommt mittlerweile auch eine zeitliche Komponente ins Spiel. Fields geht in seine dritte Saison. Es dauert nicht mehr lange, ehe kritische Vertragsentscheidungen getroffen werden müssen - angefangen mit der Fifth Year Option.

Und mehr noch: Die Bears haben einen radikalen Umbruch eingeleitet, welche die Timeline für den Kader mehr oder weniger auf Null gesetzt hat. Kein Team hat mehr Cap Space, aber Chicago muss auch eine Vielzahl an Kaderbaustellen angehen. Das Team wird auch 2023 noch einige merkliche Defizite haben, und bevor der Kader wirklich kompetitiv sein wird, muss man bei Fields finanzielle Entscheidungen treffen.

In gewisser Weise passt Fields' weitere Timeline nicht mit der des Kaders zusammen. Das wäre kein wichtiges Argument, wenn Fields bereits gezeigt hätte, dass er ein Franchise-Quarterback sein wird.

Dann wäre das Timing immer noch unglücklich und die Bears würden vermutlich das Fenster seines Rookie-Vertrags komplett verspielen - aber dann würde die Qualität dieses Ärgernis übertrumpfen, weil Chicago die Aussicht hätte, auch mit Fields auf einem zweiten, teuren Vertrag ein Playoff-Team aufzubauen.

NFL, Chicago Bears, Justin Fields
© getty

Sollten die Bears Justin Fields traden?

Am Ende spielen hier Locker-Room-Dynamiken eine Rolle, das sollte man nicht außer Acht lassen; aber im Kern geht es um eine simple Frage: Sehen die Bears - deren aktuelles Regime Fields nicht gedraftet und nicht ausgewählt hat - in einem der Quarterbacks dieser Klasse ein vielversprechenderes Prospect?

Dann muss ein Trade von Fields eine sehr reelle Option sein, und die Antwort von Ryan Poles auf die Frage nach Saisonende, ob er sich vorstellen könnte, einen Quarterback zu draften, legte das zumindest nahe.

"Wir werden die Draft-Klasse evaluieren", ließ Poles verlauten, "und ich würde es so sagen: Ich müsste absolut aus den Socken gehauen werden, um eine solche Entscheidung zu treffen."

Das ist eine legitime - und vermutlich korrekte - Herangehensweise, um dieses Thema anzugehen. Und sie dürfte auch intern für Diskussionsstoff sorgen: Die Bears haben zwar mit dem Nummer-1-Pick die freie Auswahl, doch eine klare Nummer 1 gibt es nicht in dieser Klasse.

Wäre hier ein Trevor Lawrence oder ein Joe Burrow, die Sache wäre relativ klar im Vergleich. Bryce Young ist als Passer für mich das deutlich bessere Prospect als Fields - aber Young wäre mit seinen Maßen und insbesondere seinem Gewicht ein krasser Outlier auf der Position. Sind die Bears bereit, dieses Risiko einzugehen? Sehen sie Will Levis oder Anthony Richardson als das "bessere" Projekt im Vergleich zu Fields?

Das sorgt für eine zusätzliche Ebene in dieser Diskussion. Fields zu traden sollte in jedem Fall eine reelle Option sein, insbesondere, falls sein aktueller Trade-Wert den eines Erstrunden-Picks signifikant übersteigen sollte.

Ich denke, dass Bryce Young der bessere NFL-Passer werden wird, und angesichts dessen, was Fields bisher gezeigt hat, ist das Argument mit dem Rookie-Vertragsfenster legitim. Weil Young so ein physischer Outlier ist, ist es an dieser Stelle kein klares Ja. Wenn das Angebot für Fields stimmt, wäre die Tendenz für mich dieser Weg.

Fields ist ein spektakulärer Playmaker als Runner, aber ich habe ernsthafte Zweifel dahingehend, dass er als Passer den Schritt macht, um ein Franchise-Quarterback zu werden. Und wenn das die Schlussfolgerung ist, wiegen die bereits "verlorenen" Jahre seines Rookie-Vertrags umso schwerer.

Artikel und Videos zum Thema