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NBA-Kolumne Above the Break: Die kuriose Stärke der New York Knicks - Moshpit-Ball trifft auf den Mavs-Albtraum

Von Ole Frerks
Mitchell Robinson ist bei den Knicks für Offensiv-Rebounds zuständig.
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Die New York Knicks stehen zur Saisonhalbzeit stabil auf einem Playoff-Platz und erfüllen sogar einige Kriterien eines Contenders. Dabei sind sie katastrophal in einer der Kernkompetenzen des Basketballs - warum funktioniert es trotzdem?

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Nach der Hälfte der Saison sind manche Fragen geklärt, andere Themen sind hingegen noch immer rätselhaft. Die Knicks sind so ein Rätsel - präziser gesagt ihre Offense. Trotz der OT-Niederlage gegen Toronto am MLK Day gehören die New Yorker seit dem 4. Dezember zu den heißesten Teams der Liga und haben 15 ihrer vergangenen 22 Spiele gewonnen.

Über die Saison gesehen hat New York das achtbeste Net-Rating (+2,6) und steht in dieser Kategorie besser da als beispielsweise Milwaukee, Golden State, Dallas oder die Clippers. Das Team aus dem Big Apple flirtet mit Top-10-Werten bei Offense und Defense, ein Merkmal, das normalerweise Contender erfüllen. Die Defense (Platz 12) ist hier sogar eher das "Sorgenkind".

Offensiv belegen die Knicks dafür Platz sieben - eine faustdicke Überraschung. Nicht nur, weil Head Coach Tom Thibodeau eher als Defensiv-Coach gilt und New York seit 2014 nie besser rankte als auf Platz 18 (!), also immer unterdurchschnittlich war ... sondern auch wegen ihrer Spielweise.

Die Knicks treffen kurz gesagt von nirgendwo auf dem Court richtig gut - laut Cleaning the Glass sind sie aus der Mitteldistanz immerhin durchschnittlich, aber mehr auch nicht. Ihre effektive Wurfquote ist die viertschlechteste in der NBA. Und sie haben trotzdem die siebtbeste Offense! Wie kann das sein?

Mitchell Robinson ist bei den Knicks für Offensiv-Rebounds zuständig.
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Das "Geheimrezept" der New York Knicks: ...

Vereinfacht gesagt ist die miese Quote nicht so schlimm, weil die Knicks mehr werfen als ihre Gegner. Sie gewinnen das Possession Game: New York dominiert am offensiven Brett und leistet sich sehr wenige Turnover, zudem geht kaum ein Team häufiger an die Freiwurflinie. Die Knicks bringen die Mathematik so quasi auf ihre Seite, obwohl fast jedes andere Team besser darin ist, den Ball aus dem Feld in den Korb zu befördern.

Wenn man etwas tiefer unter die Haube schaut, wird klar, dass die Knicks aktuell sehr viel aus limitierten Möglichkeiten herausholen. Nach Jahren der Suche haben sie endlich eine Starting Five gefunden, die gemeinsam funktioniert und immer besser darin wird, die eigenen Vorteile zu nutzen.

Das Lineup aus Jalen Brunson, Quentin Grimes, R.J. Barrett, Julius Randle und Mitchell Robinson (gemeinsames Net-Rating: +11,6) ist groß, kräftig und athletisch und spielt auch so. Die Knicks spielen ohne viel Schnörkel, vielmehr überpowern sie ihre Gegner häufig - es ist eher Moshpit-Basketball als Wiener Walzer.

Robinson und Hartenstein: Männer fürs Grobe

Robinson ist dabei ein Schlüsselspieler. Der Center ist nicht nur der designierte Ringbeschützer (und hier mittlerweile einer der Besseren seines Fachs), er verschafft seinem Team auch vorne unheimlich viele Extra-Chancen. Teils ist er der Rim-Runner, noch häufiger wartet er im Dunker Spot auf Anspiele oder Fehlwürfe seiner Mitspieler.

Mit Robinson auf dem Court rebounden die Knicks 32 Prozent ihrer eigenen Fehlwürfe - eine monströse Zahl. Robinson selbst holt über 16 Prozent dieser Fehlwürfe, der einzige Starter, der mehr davon einsammelt, ist Steven Adams. Die Knicks können es sich zumeist leisten, mindestens ihren Big Man das offensive Brett "crashen" zu lassen, weil sie kaum Ballverluste begehen und sich so recht wenige Fastbreak-Möglichkeiten für den Gegner ergeben.

Auch Robinsons Backup Isaiah Hartenstein hat offensiv primär diese Rolle (seine offensive Rebound-Rate von knapp 14 Prozent ist ebenfalls enorm). Das ist ein bisschen schade, wenn man seinen Impact als Playmaker der Second Unit bei den L.A. Clippers noch vor Augen hat - Hartenstein kann mehr, als er in New York zeigen darf.

Aber aktuell will Thibodeau seine Bigs nah am Korb sehen. Was natürlich auch mit dem restlichen Personal des Teams zusammenhängt.

Jalen Brunson spielt bei den Knicks eine überragende Saison.
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Knicks: Drive-and-Kick als Lebensmotto

Die Knicks haben keinen klassischen Pick'n'Roll-Maestro und nutzen dieses Play vergleichsweise selten, dafür haben sie diverse willige und fähige Driver. Randle und Brunson sind die häufigsten Initiatoren von Offense und beide nehmen nicht zwingend erst einen On-Ball-Pick, um ihr Matchup zu attackieren.

Beide können das auch durchaus - es gibt nicht selten Possessions, in denen im Halbfeld gar kein Pass gespielt wird. Nicht aus Zufall begehen die Knicks so wenige Turnover; sie passen nicht viel, auch bei den Assists stehen sie weit hinten. Das liegt aber nicht daran, dass sie eigensinnig sind - vielmehr kommen sie mit wenigen Pässen ans Ziel.

Wohlwollend betrachtet sind die Knicks zielstrebig. Nur die OKC Thunder verzeichnen pro Spiel mehr Drives, und das beschränkt sich nicht nur auf Brunson und Randle. Barrett hat das grüne Licht, Grimes oder Immanuel Quickley ebenfalls. Sie alle können attackieren, sie alle stecken auch bereitwillig auf die Bigs durch oder spielen den Kickout-Pass, wenn sie nicht selbst zum Abschluss kommen.

Jalen Brunson überragt bei den New York Knicks

In der Regel sind beide Ecken besetzt und dort warten Spieler, um entweder Eckendreier zu nehmen oder Closeouts zu attackieren. Dabei befinden sich keine elitären Shooter im Kader. Kein Knick trifft 40 Prozent von der Dreierlinie, mit Ausnahme von Brunson ist auch niemand in der Nähe dieser Zahl.

Brunson ist indes ein Spieler, der eigentlich lieber innerhalb der Linie agiert und eher ungern Spot-Up-Dreier nimmt. Das ist allerdings sein gutes Recht, da er im Zweierland so stark ist - er ist der vielleicht einzigartigste effiziente Scorer der Liga. Obwohl er klein ist, wirkt auch er oft, als könnte er seinen Gegenspieler überpowern. Oder anderweitig hochnehmen ... er findet immer einen Weg, immer ein bisschen Platz, um den Wurf loszuwerden.

Brunson hat stets die Kontrolle, wenige Spieler haben diese Kombination aus Fußarbeit, Kreativität und Touch bei allen möglichen schwierigen Würfen. Der Vertrag, der im Sommer noch teils belächelt wurde, sieht jetzt schon aus wie ein Schnäppchen - und die Mavs werden sich wohl noch sehr lange ärgern, dass sie diesen Spieler haben ziehen lassen.

Brunson setzt seinen in Dallas gestarteten Trend fort, sich in jeder Saison weiter zu verbessern. Er hat seinen Output in fast allen Kategorien hochgeschraubt - und er ist noch nicht damit fertig. Der Januar ist bisher sein klar bester Monat bei den Knicks.

Jalen Brunson: Seine Statistiken in New York

MonatSpielePunkteTrue Shooting%AssistsUsage%
Oktober618,2557,222,1
November1622,560,16,326,9
Dezember1218,2526,727,3
Januar831,660,25,331,2
Julius Randle ist insgesamt noch besser als in seiner All-NBA-Saison.
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Der beste Julius Randle seit ... immer

Aber noch einmal zum Thema Spacing. Randle nimmt die meisten Dreier im Team und trifft immerhin genug davon, dass er draußen ernst genommen werden muss. Er ist zwar nicht auf dem Niveau seiner All-NBA-Saison, als er 41 Prozent traf, aber es reicht, zumal die aktuelle Rolle als Nicht-Mehr-Alleinunterhalter ihm besser zu liegen scheint.

Randle nimmt zwar immer noch jede Menge schwierige Würfe und wird daher nie ein übermäßig effizienter Scorer sein, aber die Balance ist viel besser als im Vorjahr. Er attackiert oft und gerne und trifft den Zweier besser als in jeder seiner bisherigen Knicks-Saisons, dazu holt er die meisten Freiwürfe seiner Karriere.

Randle ist fast immer kräftiger und/oder schneller als sein Gegenspieler und nutzt das endlich entsprechend; viele lange Zweier hat er für bessere Abschlüsse in der Nähe vom Korb eingetauscht. Er ist auch defensiv wieder engagierter - genau wie Brunson könnte (und sollte?) er die Knicks in Kürze beim All-Star Game in Salt Lake City repräsentieren.

Quentin Grimes: Die Offenbarung

ABER, jetzt wirklich nochmal zum Thema Spacing. Aktuell ist der Schwierigkeitsgrad sehr hoch für das, was die Knicks und insbesondere Brunson und Randle offensiv machen. Beide sind "tough shot maker", aber es wirkt so, als wären sie relativ nah am Maximum dessen, was mit dieser Spielweise und diesem Personal erreichbar ist.

Das Spacing ist immer noch nur mäßig und ein Thema, das in etwaigen Playoff-Serien auf jeden Fall zum Vorschein kommen würde. Deshalb ist die Entwicklung insbesondere der beiden Wing-Starter so wichtig, zumal sowohl Grimes als auch Barrett ansonsten viele Fähigkeiten mitbringen, die sich super mit Brunson und Randle ergänzen.

Grimes ist ohnehin eine kleine Offenbarung. Der 22-Jährige verpasste den Saisonstart, mit ihm als Starter kam (nach einer kurzen Eingewöhnung) die "Wende". Seine Energie, sein Drive und seine Defense ergänzen das Team sehr gut, auch er hat den Durchstecker auf Robinson schon gemeistert. Und er trifft 40 Prozent seiner Eckendreier, ist also auf einem guten Weg, ein fast idealer Komplementärspieler zu werden.

R.J. Barrett setzt das Auf und Ab in seiner Karriere auch in dieser Spielzeit fort.
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Der komplizierte Fall des R.J. Barrett

Bei Barrett ist die Sache etwas komplizierter, zumal die Erwartungen beim einstigen Nr.3-Pick andere sind. Er unterschrieb im Sommer einen 100+-Mio.-Dollar-Vertrag, er ist vereinfacht gesagt auch der Spieler, der NICHT für Donovan Mitchell getradet wurde (obwohl gewissen Berichten zufolge Grimes das Zünglein an der Waage war).

Er ist gleichzeitig immer noch ein etwas frustrierender Spieler. Der Wurf stagniert, dafür ist er aus dem Zweierbereich zumindest etwas effizienter geworden. Es gibt immer wieder Spiele, in denen er gezielt Mismatches attackiert, den Ball am Laufen hält, Freiwürfe zieht, grundsätzlich aussieht wie jemand, der weiß, was er tut. In anderen Spielen oder Szenen wirkt er konfus, seine Quoten sind insgesamt erneut ziemlich schlecht.

In der jetzigen Form ist Barrett kein idealer Fit neben den anderen Startern. Er ist gleichzeitig auch erst 22 und zeigt regelmäßig sein Potenzial, es bleibt also eine interessante Frage, ob die Knicks ihm weiter Zeit geben oder ihn lieber mit anderen Assets in einem potenziellen Superstar-Trade verschachern wollen.

New York Knicks: Endlich mal Spielraum

Die Knicks haben generell Spielraum, traditionell lechzt die Franchise nach großen Namen, weshalb auch weiterhin jeder potenziell verfügbare Star mit ihnen in Verbindung gebracht werden wird. Mitchell wurde es offensichtlich nicht - vielleicht wird es jemand anderes. Solange kein Top-10-Spieler im Kader steht, kann und wird das Front Office danach suchen.

Für den Moment hat New York etwas anderes geschafft, vor allem dank des Brunson-Deals: Die Knicks sind wieder respektabel. Das klingt nicht nach viel, ist aber viel wert bei einem Team, das seit 2013 bloß ein einziges Mal eine positive Bilanz hatte. Zumal es diesmal auf einem etwas stabileren Fundament zu stehen scheint.

Vergangene Saison schien das Ende der Fahnenstange (mal wieder) erreicht zu sein. Und jetzt? Vielleicht spielen die Knicks momentan ein Stück über ihren Möglichkeiten, sie würden auch keinem der Top-Teams im Osten in den Playoffs Angst einjagen. Aber sie sind ein recht junges, recht gutes Team mit Optionen. Man darf gespannt sein, was sie daraus machen.

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