FC Bayern München vor Duell mit Manchester City: Die Defensive ist der große Trumpf!

Von Justin Kraft
Matthijs de Ligt
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Vor dem Duell mit Manchester City in der Champions League ist sich Thomas Tuchel vom FC Bayern München sicher, dass es Phasen des Leidens geben wird. Gut für ihn, dass die Defensive des FCB aktuell in Topform ist. Trotzdem gibt es auch in der Abwehr noch Details, die der Trainer anpassen muss. Eine Analyse.

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Gut gelaunt präsentierte sich Thomas Tuchel auf der Pressekonferenz des FC Bayern München vor dem Champions-League-Kracher mit Manchester City. Dabei gab er die eine oder andere Anekdote zum Besten.

"Ich habe mal das Vergnügen gehabt, mit Johan Cruyff zu sprechen", erzählte der Coach. Dieser habe ihm von einem Stürmer berichtet, "den sie nie in den Griff bekamen mit Barcelona. Bis sie irgendwann gesagt haben, wir decken den jetzt nicht mehr. Und dann hat er aufgehört, Tore gegen sie zu schießen." Ausprobieren werde er das in Bezug auf Erling Haaland aber eher nicht.

Den Norweger aus dem Spiel zu nehmen, wird eine von vielen Aufgaben sein, die die Bayern-Defensive am Dienstagabend zu lösen hat. Da trifft es sich gut, dass sich nicht nur die Innenverteidiger des Rekordmeisters in absoluter Topform befinden, sondern auch das Team insgesamt erhebliche Sprünge im Defensivbereich gemacht hat.

Matthijs de Ligt
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FC Bayern München: Restverteidigung wird zum Bollwerk

Sowohl im Pokalspiel als auch am Wochenende hatte der SC Freiburg seine Gelegenheiten. Bayern hatte ein paar Ballverluste zu viel in seinem Spiel nach vorn und rannte so in den einen oder anderen Konter. Gefährlich wurde es allerdings selten. Ein Grund dafür ist die überragende Form der Innenverteidiger. Dayot Upamecano, Benjamin Pavard und Matthijs de Ligt scheinen bereit zu sein für das, was sie am Dienstagabend in Manchester erwartet.

Pavard verteidigte in den ersten beiden Spielen unter Tuchel die rechte Abwehrseite und gewann dort viele wichtige Zweikämpfe. Am Wochenende räumte er gemeinsam mit de Ligt in der Innenverteidigung alles ab, was auf ihn zurollte. Der Franzose läuft in München fast schon chronisch unter dem Radar. "Er wird manchmal ein bisschen unterschätzt", sagte Tuchel jüngst: "Er kann sich auf extrem hohem Niveau anpassen. Er geht in der individuellen Betrachtung manchmal unter, für uns ist er aber super wichtig."

Genauso wie Upamecano, der zuletzt mehr in den Mittelpunkt rückte, weil er seine individuellen Fehler abstellen konnte. Neben seiner enormen Zweikampfstärke glänzt der 24-Jährige vor allem im Spielaufbau. Der Datenanbieter Opta misst unter anderem, wie viele Meter ein Spieler in Richtung gegnerisches Tor allein mit Pässen für sein Team gewinnt - die Statistik wird progressive Distanz genannt. Im Bayern-Kader ist Upamecano der mit Abstand beste Feldspieler - mit 545 Metern pro 90 Minuten. Pavard (467), Hernández (437) und de Ligt (427) folgen. Der ehemalige Leipziger geht im Spielaufbau am meisten Risiko, hat mit 90,4 Prozent aber dennoch eine starke Passquote.

Auch bei den progressiven Metern mit dem Ball am Fuß hat er den Bestwert aller Bayern-Spieler - 327 Meter trägt er den Ball pro 90 Minuten in Richtung gegnerisches Tor. Darunter sind teilweise Dribblings, die an Lucio erinnern.

Und dann ist da eben noch de Ligt, der zuletzt immer mehr zum Abwehrchef wurde. Der Niederländer hat im Spielaufbau noch Luft nach oben, gewinnt defensiv aber viele wichtige Zweikämpfe. Seine Rettungsaktion im Rückspiel gegen Paris Saint-Germain war ein mindestens genauso großes Highlight seiner bisherigen Saison wie das Traumtor, das er am Wochenende beim SC Freiburg erzielte. Der 23-Jährige ist spätestens seit der Rückrunde angekommen in München und hält den Defensivladen zur Not auch alleine dicht.

Bei Standards sind die drei Verteidiger ebenfalls eine Waffe, wie die ersten drei Tuchel-Spiele zeigten. In allen drei Partien wurden die Münchner vor allem bei Ecken gefährlich. Dort trafen sich die drei meist am Elfmeterpunkt, um dann in alle Richtungen auszuschwärmen. Mit Erfolg. Das 2:0 bereitete de Ligt mit einer Kopfballverlängerung vor, die 1:0-Führung im Pokal erzielte unter der Woche Upamecano. Gerade in K.-o.-Spielen können Standards eine wichtige Rolle einnehmen.

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FC Bayern München: Das ganze Team verteidigt stabil(er)

Der ganz große Tuchel-Effekt ist das aber noch nicht. Schließlich haben die Bayern auch unter Julian Nagelsmann über weite Strecken der Saison gut verteidigt. In 56 Prozent aller Pflichtspiele blieben die Bayern unter einem erwartbaren Gegentor, was ein Indikator dafür ist, dass sie nicht viele Großchancen zuließen.

In 77 Prozent aller Pflichtspiele lag der Wert bei 1,5 oder weniger. Dass die Münchner gegen die starke Offensive von Paris Saint-Germain kein Gegentor kassierten, ist also kein Zufall. Wenngleich es dafür in einigen Situationen etwas Glück brauchte.

Von Tuchels Ansatz, das Positionsspiel der Bayern zu stabilisieren, könnte auch die Defensive weiter profitieren. Denn durch die taktisch größere Disziplin halten Spieler wie Joshua Kimmich ihre Position im Mittelfeld deutlich häufiger als zuvor. Das wiederum führte zumindest in den beiden Spielen gegen Freiburg zu einem überwiegend griffigen Gegenpressing. Die Konteranfälligkeit wurde bereits unter Nagelsmann abgebaut, könnte unter Tuchel aber noch weiter abnehmen.

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FC Bayern München: Probleme im ballfernen Raum - zu viele Standards gegen sich

Ein Problem, das die Bayern bereits unter Hansi Flick hatten und das bis heute nicht ausreichend behoben werden konnte, ist die Verteidigung des ballfernen Raums. Zwar kassieren die Münchner in dieser Saison nicht mehr so oft das Trademark-Gegentor, das unter dem heutigen Bundestrainer immer wieder fiel: Verlagerung auf den ballfernen Flügel, der komplett blank ist. Dafür ist man vor allem bei Flanken anfällig.

Der zweite Pfosten war bei Nagelsmann immer wieder Thema, doch eine Lösung fand er nicht. Zu oft schleichen sich Spieler außerhalb des Sichtfelds der Verteidiger weg und stehen dann entweder im Rückraum oder am zweiten Pfosten frei.

Eine der größten Qualitäten von Erling Haaland ist es, aus dem Sichtfeld seiner Gegenspieler zu verschwinden und daraus seinen Vorteil zu ziehen. Die Münchner müssen in solchen Situationen nicht nur individuell hellwach sein, sondern sich auch besser absprechen. Das gilt aber nicht nur für die Abwehrkette.

Die beiden Gegentore im Pokal wurden durch individuelle Fehler von Kingsley Coman und Jamal Musiala verursacht. Den ersten Treffer des BVB verschuldete Serge Gnabry, weil er Jude Bellingham im Strafraum foulte. Die Mittelfeldspieler stellen sich um den und im eigenen Strafraum oft nicht klug an. Bayern verschenkt aktuell zu viele Standards, vor allem aber auch Elfmeter.

FC Bayern München, Eintracht Frankfurt, Bundesliga, Leon Goretzka, Jamal Musiala, Serge Gnabry
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FC Bayern München: Zwei offene Fragen

Trotz allem haben die Bayern in den letzten Wochen aber mehrfach bewiesen, dass sie defensiv mittlerweile sehr stabil sein können. Nur das gilt für Manchester City ebenso. Die Cityzens bestritten sogar rund 73 Prozent ihrer Pflichtspiele mit weniger als einem erwartbaren Gegentor. Die Herausforderung könnte für die Münchner also kaum größer sein.

Zwei Fragen muss Tuchel vor dem Duell mit den Skyblues allerdings noch klären. Erstens: Spielt Leon Goretzka wieder? Und wenn ja, wer weicht dafür? Jamal Musiala machte seine Sache in Freiburg gut, gab dem Spiel der Bayern vor allem in Ballbesitz viele Elemente, die mit Goretzka im Pokal noch fehlten. Allerdings ist der gebürtige Bochumer ein herausragender Zweikämpfer, was gegen ein von Guardiola trainiertes Team wohl wichtiger sein könnte. Mit Ballbesitzwerten jenseits der 60 Prozent ist jedenfalls nicht zu rechnen.

Musiala könnte seinen Platz dann wiederum in der Offensive finden, wo er sich wohl vor allem mit Thomas Müller und Serge Gnabry duellieren würde. Als der 20-Jährige im Pokal vergangene Woche eingewechselt wurde, spielte er für wenige Minuten als Mittelstürmer. Tuchel sah sich das allerdings nur wenige Minuten an, ehe er ihn ins Mittelfeld verschob.

Die zweite offene Frage ist jene nach der Grundausrichtung. Der FC Chelsea spielte unter Tuchel meist mit einer Dreier- beziehungsweise Fünferkette. Angesichts der Formstärke der Innenverteidiger wäre das zumindest für das Auswärtsspiel auch eine Option. Dagegen spricht, dass der 49-Jährige bisher noch nicht an der Viererkette gerüttelt hat. Womöglich hätte er sich das mindestens einmal angesehen, würde er damit gegen City planen.

Stattdessen ging Tuchel eher pragmatisch vor. Sein Ziel war es, die Abläufe zunächst möglich simpel zu halten, um den Spielern wieder Selbstvertrauen zu geben. "Uns allen fehlt ein wenig die Leichtigkeit", analysierte er dementsprechend vor dem Duell mit City. Ein Systemwechsel könnte den Rhythmus stören. Andererseits führen die schwankenden Offensivleistungen vielleicht dazu, dass der Trainer die vorhandenen Stärken im Abwehrverbund weiter verstärken will - insbesondere mit Blick auf das, was Manchester City im Angriff aufbietet.

Gegen Paris Saint-Germain profitierten die Bayern von der Dreierkette. Ausgeschlossen ist eine solche Umstellung nicht, wenngleich Tuchel keine Einblicke geben wollte. Mit dem FC Chelsea gewann Tuchel drei der vier Duelle mit Guardiolas City. Zweimal blieb er dabei zu Null. Als er Trainer von Borussia Dortmund war, holte er sich eine 1:5-Klatsche in München ab. Die darauffolgenden Duelle mit den Bayern endeten nach 90 Minuten jeweils 0:0. Tuchel weiß also, wie man die Offensive einer Guardiola-Mannschaft einschränken kann. Jetzt wird es darauf ankommen, das auch mit dem FC Bayern zu schaffen.

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