BVB: Edin Terzic und die ewige Mentalitätsfrage - Borussia Dortmund hat andere Probleme

Von Justin Kraft
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Nach der Niederlage von Borussia Dortmund beim FC Bayern muss sich Trainer Edin Terzic schon wieder Mentalitätsfragen gefallen lassen. Dabei plagen den BVB ganz andere Probleme.

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Der Fußball in Dortmund ist ein einfaches Spiel: 90 Minuten, 22 Spieler und am Ende entscheidet ein Ergebnis in München darüber, ob der BVB Mentalität hat oder nicht. Nach dem 2:4 beim FC Bayern München wurden alle Debatten rund um das Team von Edin Terzic wieder auf Null gesetzt. Von "Bayern-Mentalität" (Effenberg) war zuletzt sogar die Rede.

In diesem Kalenderjahr hatte die Borussia bis zum vergangenen Wochenende noch kein einziges Bundesliga-Spiel verloren. Dortmund ist auch jetzt noch das formstärkste Team des Jahres, mit sieben Punkten vor den Bayern. Und doch ist die Enttäuschung über die deutliche Niederlage in der Allianz Arena groß.

Erste Zweifel daran, wie groß die Mentalität des BVB wirklich ist, waren einige Stunden später bereits zu vernehmen. "Aufgeben ist eine Option", titelte Sport1-Kolumnist Alex Steudel. "Wo waren die Führungsspieler?", fragte web.de. Dabei sind die Probleme der Dortmunder anderer Natur.

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BVB: Edin Terzic und die Leistungsschwankungen

Edin Terzics größte Qualität ist womöglich die Kommunikation. Einerseits ist der besondere Draht zu spüren, den er mit seinen Spielern aufbauen kann. Andererseits schafft er es auch medial sehr oft, die richtigen Worte zu finden. "Es wäre albern, wenn ich jetzt hier sage, dass die ersten Minuten richtig gut waren", analysierte er direkt nach dem Spiel bei Sky.

So groß die Hoffnung im Umfeld des BVB auch war, so absehbar war es, dass es in München nur dann etwas zu holen gibt, wenn der FC Bayern unter seinem Leistungslimit spielt. Terzic hat das nie so klar formuliert, aber auch er wusste jederzeit, dass der Lauf seines Teams durch viele Faktoren begünstigt wurde und man längst nicht so weit war, wie es von außen gern dargestellt wurde. "Wir werden nicht zulassen, dass die Stimmung zu gut wird", sagte er beispielsweise im Februar nach sieben Siegen am Stück.

Das ist ihm gut gelungen. Dortmund blieb fokussiert, konzentriert und wuchs an seinen Siegen. Je länger die Serie anhielt, desto souveräner agierte das Team auch auf dem Platz. Terzics Entscheidung, mit Emre Can einen zweikampfstarken Sechser hinter zwei spielstarken Mittelfeldspielern aufzustellen, löste ein grundsätzliches Problem der Hinrunde. Dortmunds Ballbesitzspiel wurde dadurch etwas besser. Jude Bellingham und Julian Brandt entwickelten sich zu Ankerpunkten im 4-3-3. Auch die Rückkehr von Marco Reus half dabei, dass der Ballvortrag des BVB zielstrebiger, aber auch variabler wurde.

In den vergangenen Jahren ließ Dortmund zu viele Punkte liegen, weil ihnen gegen tiefstehende Gegner zu wenig einfiel. Die Umstellung half, wenngleich sie das Problem nicht komplett beheben konnte. In Duellen mit stärkeren Teams tat sich der BVB fast schon ungewohnt schwer. Gegen Leverkusen (0,9), Chelsea (1,5 und 0,8), Leipzig (1,2) und Bayern (1,5) reichte es nur zu durchschnittlich 1,18 Expected Goals pro Spiel. Darunter waren zwei Elfmeter. Aus dem Spiel heraus ging jeweils wenig.

Auf der anderen Seite ließ der BVB defensiv gegen diese Mannschaften viele Chancen zu. Im Schnitt wären 2,04 Gegentore erwartbar gewesen. Dortmund hatte vor allem gegen Leverkusen, Leipzig und im Hinspiel gegen Chelsea eine ordentliche Portion Glück, die dabei half, diese Spiele zu gewinnen. Die Leistungsschwankungen waren nach wie vor da, die Ergebnisse aber stimmten.

Zu Recht wurde damals auch die Mentalität hervorgehoben. Nico Schlotterbeck oder Can, die mehrfach kurz vor dem Einschlag des Balles retteten oder Gregor Kobel, der abgesehen von seiner Leistung in München eine überragende Saison spielt, sind gute Beispiele. Zu wenig wurde allerdings darüber geredet, dass es qualitativ nicht reichen wird, wenn man über diese individuellen Leistungen hinaus nicht auch als Team stärker wird.

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BVB: Reicht dieser Kader für den eigenen Anspruch?

Dementsprechend sollte die Frage lauten, wie dieser Kader realistisch eingeschätzt werden kann - und welchen Anspruch man daraus formuliert. Auf einzelnen Positionen sind die Dortmunder auf dem Papier gut besetzt. Auf den offensiven Flügelpositionen beispielsweise oder auch in der Innenverteidigung. Selbst im Achterraum gibt es diverse spielstarke Optionen, die man in der Vergangenheit nicht immer hatte. Gleichwohl bleiben der Sechserraum, die Sturmzentrale und die Außenverteidigerpositionen ein Thema.

Im defensiven Mittelfeld durchlief Can zuletzt eine klare Leistungssteigerung. Im Zweikampf war er deutlich stabiler, seine Fehler im Aufbauspiel nahmen ab. Auch deshalb, weil Terzic ihn durch das Abkippen zwischen die Innenverteidiger aus den engen Zonen raushielt. Gerade der FC Bayern hat aber immer wieder aufgezeigt, dass Can nicht die beste Lösung für die Zukunft ist. Immer wieder ließ er sich von den Münchnern aus dem Zentrum ziehen und öffnete so den Sechserraum. Auf diesem Niveau hat Can große Probleme damit, Spielsituationen richtig zu antizipieren und sich dementsprechend zu positionieren.

Auf den defensiven Außenbahnen hat Dortmund ebenfalls große qualitative Probleme. Dass Marius Wolf als einer der Durchstarter in der aktuellen Saison gilt, ist mit Blick auf einen Großteil seiner Leistungen gerechtfertigt. In den meisten Partien ist der 27-Jährige eine solide Option für den BVB. Wenn der Auftritt des DFB-Teams gegen Belgien und das Spiel gegen den FC Bayern am Wochenende aber eines gezeigt haben, dann, dass Wolf mit Gegenspielern dieser Qualität defensiv schlicht überfordert ist und auch offensiv nicht mehr das zeigen kann, was ihn zuletzt in der Bundesliga so stark gemacht hat.

Spieler wie Can und Wolf wären optimale Kaderspieler für Borussia Dortmund. Dass sie aktuell aber nicht nur Stammspieler, sondern auch noch Leistungsträger sind, sagt dann doch einiges über die grundsätzliche Qualität von Spielern wie Salih Özcan oder Thomas Meunier aus. Auch wenn Letzterer zuletzt häufig verletzt fehlte. Um ernsthaft über die Meisterfrage diskutieren zu können, braucht der BVB nicht mehr Mentalität, sondern mehr Qualität. Die Frage allerdings ist, ob das tatsächlich der Anspruch des BVB ist. Oder ob die gute Saison, die sie zweifellos spielen, nicht schon das ist, was man in Dortmund eigentlich erwarten sollte. Der Traum vom ganz großen Meisterwurf hat das in den letzten Wochen etwas vernebelt.

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BVB: Qualitätsfrage auch im Trainerteam?

Vielleicht betrifft die Qualitätsfrage letztendlich auch das Trainerteam. Taktisch hat sich der BVB durchaus weiterentwickelt, aber es reicht eben nicht aus, um gegen einen angeschlagenen FC Bayern auch nur annähernd bestehen zu können. Zu groß waren die Lücken im Mittelfeld, wenn das Team nach vorn schob, zu einfach ließ man sich auskontern, weil auch das Gegenpressing wegen struktureller Mängel nicht funktionierte. Die Abstände im Zentrum waren riesig, die Flügel bei jeder Verlagerung der Münchner blank.

Eine Ausnahme war das nicht. Auch Chelsea oder Leipzig konnten diese strukturellen Mängel mehrfach aufzeigen. Die Schlussfolgerung aus alldem kann sein, dass der BVB im Konzert der ganz Großen einfach aus offensichtlichen, meist finanziellen Gründen nicht mehr mitmischen kann.

Vielleicht hat die Akzeptanz dieser vermeintlichen Realität in den letzten Jahren aber auch dazu geführt, dass man das eigentliche Potenzial nicht mehr ausschöpfen kann. Obwohl Terzic einen guten Job macht, ist es ihm und seinem Team gerade in den großen Spielen zu selten gelungen, einen funktionierenden Matchplan zu entwickeln.

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BVB: Noch alles offen - die Titelträume leben weiter

Und trotz dieser Situation ist Einordnung wichtig. Borussia Dortmund ist auch nach der fast schon obligatorischen Niederlage in München im Soll, spielt ergebnistechnisch eine überragende Rückrunde. Daraus kann man Selbstvertrauen für die nun wichtigen Aufgaben schöpfen. "Wir fahren mit einer Portion Wut nach Hause. Aber dann werden wir uns die Tabelle anschauen und sehen, es sind zwei Punkte Rückstand auf die Spitze", sagte Terzic zu Recht.

Am Mittwoch wartet das Viertelfinale im DFB-Pokal gegen Leipzig (20.45 Uhr im LIVETICKER), am Wochenende haben die Dortmunder ein Heimspiel gegen Union Berlin. Diese beiden Spiele werden viel mehr über den Zustand des BVB aussagen als das Auswärtsspiel beim FC Bayern. Gewinnen sie beide Spiele, sieht die Welt schon wieder anders aus. Zumal die Chancen auf einen Titel im Pokal nach dem Aus der Bayern riesig sind. Sollte Dortmund allerdings verlieren, wird es wieder lauter. Die kommenden zwei Spiele können die gesamte Saison kippen. Es sollte aber auch nicht vergessen werden, dass die Saison im vergangenen Winter vielerorts bereits abgeschrieben wurde.

Fußball ist eben ein recht simples Spiel in Dortmund: Wie gut die Mentalität ist, hängt davon ab, ob sie gewinnen oder verlieren. Der reine Blick auf die Ergebnisse reicht aber nicht aus. Wer die letzten Wochen und Monate aber aufmerksam verfolgt hat, dürfte nicht überrascht sein, dass das Team doch etwas fragiler ist, als zuletzt angenommen wurde. Mentalität sollte beim BVB aber kein Problem sein. Was nun gegen Leipzig und Union unter Beweis gestellt werden kann und muss.

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