Handball-EM - DHB-Comeback nach sechs Jahren: Deshalb kann Jogi Bitter das Zünglein an der Waage sein

Jogi Bitter (r.) und Andreas Wolff bilden das deutsche Torhütergespann bei der EM 2020.
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Bei der am Donnerstag für Deutschland mit dem Spiel gegen die Niederlande (18.15 Uhr im LIVETICKER) beginnenden Handball-EM in Norwegen, Schweden und Österreich kehrt der 37-jährige Jogi Bitter nach einer halben Ewigkeit auf die ganz große Bühne zurück. Der Torhüter könnte dabei für das DHB-Team zum Schlüsselspieler werden, meint auch Henning Fritz, einer der WM-Helden von 2007, im Gespräch mit SPOX.

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4. Februar 2007, Lanxess Arena Köln. Im WM-Finale zwischen Deutschland und Polen läuft die 35. Minute, als sich der bis dato überragende Stammtorhüter Henning Fritz nach einem Tempogegenstoß der Polen an der Wade verletzt. Der gebürtige Magdeburger quält sich zur Bank, nichts geht mehr. Es beginnen die wichtigsten 25 Minuten in der Karriere von Johannes "Jogi" Bitter.

Der damals 24-Jährige erlebt, wie Polen nach einer zwischenzeitlich deutlichen DHB-Führung bis auf ein Tor herankommt. Es sind in der Folgezeit nicht zuletzt seine Glanztaten, die eine komplette Wende im Spiel verhindern und Deutschland das Happy End beim Wintermärchen sichern.

"Jogi hat uns mit seinen Paraden im Spiel gehalten", sagte Fritz unmittelbar nach dem Finale. Bis heute hat er dem 2,05-Meter-Riesen außerdem nicht vergessen, wie er sich ihm gegenüber vor und während der WM verhalten hat.

Fritz: "Bitter hat mich zu 100 Prozent unterstützt"

Fritz stand damals beim THW Kiel unter Vertrag, spielte bei den Zebras allerdings keine Rolle. Bundestrainer Heiner Brand setzte trotzdem auf den Keeper seines Vertrauens, obwohl dieser aufgrund seiner Situation beim THW zu WM-Beginn über kaum Selbstvertrauen und ebenso wenig Spielpraxis verfügte.

"Die Chemie zwischen uns hat einfach gepasst, Jogi ist nicht offensiv als Konkurrent aufgetreten", sagte Fritz im Gespräch mit SPOX: "Wenn er auf dem Feld stand, hat er alles gegeben. Und wenn er nicht auf dem Feld war, hat er mich zu 100 Prozent unterstützt. Das rechne ich ihm bis heute hoch an. Diese Fähigkeit, seinen eigenen Anteil beizutragen, sich dann aber in anderen Momenten zum Wohle der Mannschaft zurückzunehmen, sehe ich als eine große Stärke von Jogi an. Mich hat es unglaublich für ihn gefreut, als er im Finale reinkam und dann so stark gehalten hat."

Jogi Bitter: Torhüter mit den meisten Paraden in der HBL

13 Jahre später könnte Bitter erneut der Schlüssel zu einem erfolgreichen Turnier für Deutschland werden. Der gebürtige Oldenburger, der eigentlich 2011 seine DHB-Karriere beendet hatte und 2014 für zwei Einsätze in den WM-Playoffs zurückgekehrt war, erhielt neben Andreas Wolff (Vive Kielce) unerwartet den Vorzug vor Silvio Heinevetter (Füchse Berlin) und Dario Quenstedt (THW Kiel).

"Das Telefonat war kurz und knapp - ich war relativ sprachlos", erklärte Bitter, dass auch er vom Anruf von Christian Prokop überrascht gewesen sei. Doch der Bundestrainer hält große Stücke auf den Torhüter: "Ich erwarte viel von Johannes Bitter. Er hat sportlich über einen langen Zeitraum überzeugt und kann eine Mannschaft führen und pushen."

In der Tat spielt Bitter beim Abstiegskandidaten TVB Stuttgart eine starke Saison. Kein HBL-Torhüter hat aktuell mehr Paraden auf dem Konto (187), seine Gesamtquote von 27,62 Prozent gehaltener Bälle ist dagegen nicht berauschend. Das liegt allerdings auch daran, dass er beim Tabellen-16. in einer der Schießbuden der Liga und damit häufig komplett auf verlorenem Posten steht.

"Ich kann gut nachvollziehen, warum sich der Bundestrainer für Jogi entschieden hat. Es gibt einige Punkte, die für ihn sprechen. Er bringt viel Selbstvertrauen mit, weil er in Stuttgart eine überragende Saison spielt. Er hat außerdem jede Menge Erfahrung auf höchstem Niveau, aus vielen Turnieren mit der Nationalmannschaft und aus der Champions League", sagte Fritz.

Jogi Bitter (l.) und Henning Fritz (r.) wurden 2007 im eigenen Land Weltmeister.
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Jogi Bitter (l.) und Henning Fritz (r.) wurden 2007 im eigenen Land Weltmeister.

Fritz: "Bitter strahlt allein durch seine Anwesenheit Ruhe aus"

Bitter, der sein DHB-Debüt vor 18 Jahren in Balingen gegen die Schweiz feierte, hat 145 Länderspiele und knapp 550 Bundesligaspiele auf dem Buckel. Er gewann 2007 mit dem SC Magdeburg den EHF-Pokal und wurde mit dem HSV Hamburg DHB-Pokalsieger (2010), Deutscher Meister (2011) und Champions-League-Sieger (2013).

Wahrscheinlich würde der mittlerweile 37-Jährige noch immer beim HSV spielen, doch der Klub musste 2016 Insolvenz anmelden. Bitter suchte notgedrungen nach einer neuen Herausforderung. Es gab damals Kontakte zum THW Kiel, letztlich zog es den Vater von drei Söhnen aber nach Stuttgart. Bei den Schwaben ist er seit 2016 ein absoluter Führungsspieler, ohne den der Klub womöglich längst abgestiegen wäre. Genau nach einer solchen Führungsperson hat Prokop Ausschau gehalten.

"Jemand, der so viel erlebt hat wie Jogi, strahlt allein durch seine Anwesenheit Ruhe und Gelassenheit auf junge Spieler aus. Das sollte sich gerade in der Spielvorbereitung auszahlen, man kann sich als junger Spieler von einem erfahrenen Mann wie ihm eine gewisse Rückmeldung abholen", erklärte Fritz.

Handball-EM 2020: Spielplan der deutschen Gruppe

Datum und UhrzeitTeam 1Team 2Ergebnis
9. Januar, 20.30 UhrSpanienLettland
9. Januar, 18.15 UhrDeutschlandNiederlande
11. Januar, 16 UhrLettlandNiederlande
11. Januar, 18.15 UhrSpanienDeutschland
13. Januar, 18.15 UhrNiederlandeSpanien
13. Januar, 20.30 UhrDeutschlandLettland

Der 45-Jährige spielte damit auf den mit einigen unerfahrenen Spielern besetzten EM-Kader der deutschen Mannschaft an. Mit Steffen Weinhold (Fußverletzung), Fabian Wiede (Schulter-OP), Martin Strobel (nach Kreuz- und Innenbandriss noch nicht wieder bei 100 Prozent), Simon Ernst, Tim Suton (beide Kreuzbandriss) und Franz Semper (Herzmuskelentzündung) mussten gleich mehrere Akteure ihre EM-Teilnahme absagen.

Stattdessen sind Spieler wie Patrick Zieker, David Schmidt (beide TVB Stuttgart), Marian Michalczik (GWD Minden) oder Timo Kastening dabei, die auf der ganz großen Bühne einer WM oder EM bislang gänzlich unbefleckt sind.

Fritz: "Die Rollenverteilung ist aus meiner Sicht klar"

Bleibt also nur noch abzuwarten, ob das Duo Bitter/Wolff ähnlich harmonisch agieren wird wie einst Bitter/Fritz. In den beiden finalen Testspielen gegen Island (33:25) und Österreich (32:28) ergänzten sich die beiden Torhüter bereits vielversprechend. Wer die Nummer 1 und die Nummer 2 ist, lässt Prokop übrigens bewusst offen.

"Die Rollenverteilung ist aus meiner Sicht klar: Wolff ist die Nummer 1 und Bitter die Nummer 2", ist Fritz dennoch überzeugt: "Das meine ich nicht von der Leistung her, weil beide auf absolutem Weltklasse-Niveau halten können. Es ist aber wichtig, dass jeder weiß, wie seine Rolle aussieht. Und Jogi hat so viel geleistet im Handball, dass er sich nicht mehr beweisen muss."

Dabei betonte Fritz, dass es ganz entscheidend von Wolff und Bitter abhängt, ob Deutschland eine erfolgreiche EM spielen wird oder nicht. "Um bei einem Turnier wie der EM Großes zu erreichen, sind überragende Leistungen auf der Torhüterposition einfach notwendig. Wir müssen uns nur an die EM 2016 erinnern, als wir den Titel geholt haben. Da hatten wir in den entscheidenden Spielen vor allem von Wolff überragende Leistungen. Jogi hat auf jeden Fall ebenfalls das Zeug dazu, das Zünglein an der Waage zu sein", so der Weltmeister von 2007.

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