Selbstzerfleischung Deluxe

Bob Hanning (l.) und Bernhard Bauer (r.) sind sich selten einig
© imago

Beim DHB tobt ein von persönlichen Eitelkeiten geprägter Machtkampf, der auf dem Rücken des Handballs ausgetragen wird. Der künftige Präsident steht schon jetzt als Verlierer des ganzen Theaters fest. SPOX gibt einen Überblick und sprach dazu mit dem früheren Nationaltorhüter Henning Fritz.

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Was ist eigentlich passiert?

Angeführt von Württemberg und Präsident Hans Artschwager haben die Landesverbände aus Bayern, Hessen und Niedersachsen einen Antrag auf Abwahl des gesamten DHB-Präsidiums gestellt. Die "Revoluzzer" stellten sich damit auch gegen den designierten DHB-Boss Andreas Michelmann, der erst vor wenigen Wochen von einer Findungskommission als Nachfolger des zurückgetretenen Präsidenten Bernhard Bauer auserwählt wurde.

Noch ist allerdings unklar, ob der Antrag überhaupt fristgerecht eingereicht wurde. Nichtsdestotrotz verweisen die Landesverbände nicht ganz zu Unrecht auf einen DHB-Beschluss, wonach ein Kandidat für das Amt des Präsidenten nicht aus den Reihen der aktuellen Vizepräsidenten kommen soll.

Das Problem: Michelmann - amtierender Oberbürgermeister von Aschersleben - ist Vizepräsident für Amateur- und Breitensport im DHB. Warum die Findungskommission den Beschluss ignoriert oder ihr Handeln in diesem Zusammenhang nicht wenigstens gebührend erklärt hat, bleibt rätselhaft.

"Es sollte grundsätzlich darum gehen, dass wir den deutschen Handball voranbringen und ihn international wieder positiv präsentieren. Allen Beteiligten sollte es zwingend nur darum gehen, dass wir die bestmögliche Lösung für den Handball finden", forderte der frühere Nationaltorhüter Henning Fritz im Gespräch mit SPOX alle handelnden Personen zu mehr Besonnenheit auf.

Was steckt hinter dem Vorgehen der Landesverbände?

"Uns geht es nicht um einzelne Personen", sagte Artschwager, ohne genauer zu erklären, welche Motive die großen Landesverbände sonst für ihren Vorstoß haben. Wer die aktuellen Verhältnisse im deutschen Handball ansatzweise kennt, kann an Artschwagers Aussage nur zweifeln.

Dabei ist nicht Michelmann das Hauptziel der Landesverbände. Vielmehr soll Vizepräsident Bob Hanning entmachtet, aus dem DHB gedrängt und der mit den wichtigsten Funktionären in Württemberg, Bayern, Hessen und Niedersachsen eng verbandelte Bauer wieder ins oberste Amt gehievt werden.

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Die in der FAZ getätigte Aussage eines Landesverbands-Präsidenten, man müsse verhindern, dass aus dem Deutschen Handball-Bund ein Deutscher Hanning-Bund wird, führt Artschwagers Erklärung zudem ad absurdum.

Welche Vorgeschichte hat das Theater?

Als während der WM in Katar im Januar erstmals das Zerwürfnis zwischen Hanning und Bauer öffentlich wurde, hatte es intern bereits seit einiger Zeit mächtig gekracht. Bauer bat alle seine Präsidiumskollegen außer Hanning zu einer Telefonkonferenz. Das Ziel: Die Entmachtung des Managers der Füchse Berlin. Bauer erhielt dafür keine Mehrheit.

Auch beim Versuch, Heiner Brand mit einem Rentenvertrag im DHB auszustatten, konnte sich Bauer nicht durchsetzen. Im Gegenteil: Der Antrag wurde mit überwältigender Mehrheit abgelehnt - eine Backpfeife für den 64-Jährigen.

Als dann Hanning das Heft des Handelns in die Hand nahm und auf eigene Faust Stefan Kretzschmar als Frauen-Bundestrainer einsetzen wollte und dann während der WM auch noch ein nicht abgesprochenes Interview im Sportstudio gab, wurde es Bauer zu viel. Er attestierte seinem Widersacher unter anderem fehlende Teamfähigkeit und warf schließlich das Handtuch.

Wie ist Hannings Lage?

Hanning ist nicht gerade als Diplomat bekannt. Seine vorpreschende Art ist den Landesfürsten deswegen schon öfter bitter aufgestoßen.

Neben Bauer und vielen Funktionären aus den wichtigsten Landesverbänden zählt auch Heiner Brand zu den erbitterten Gegnern Hannings. Der Weltmeister-Trainer begrüßte den Antrag der Landesverbände auf Abwahl des gesamten DHB-Präsidiums "ausdrücklich" und rechnete via Sport Bild heftig mit Hanning ab.

Da die fachliche Kompetenz des 47-Jährigen aber unbestritten ist, stehen die Ligen ganz klar hinter ihm. HBL-Vizepräsident Marc-Henrik Schmedt bezeichnete Hanning jüngst als "einen der wichtigsten Motoren, die wir im deutschen Handball haben".

Auch Fritz lobte: "Er lebt 24 Stunden für den Handball und macht sich sehr viele Gedanken. Was den sportlichen Ansatz angeht, ist seine Arbeit sehr positiv zu bewerten. Die Sachen, die ihm vorgeworfen werden, sind für mich derzeit nicht wirklich zu beurteilen."

Wie geht es nun weiter?

Der DHB reagierte auf das Chaos mit der Einberufung einer außerordentlichen Sitzung seines Bundesrates. Formell dient sie der Vorbereitung des außerordentlichen Bundestags.

Wahrscheinlich ist aber nach wie vor, dass es um die Forderung des Landesverbandes Württemberg geht, - dem übrigens Bauer einst vorstand - wonach alle beim Bundestag 2013 gewählten Vizepräsidenten abgewählt werden sollen.

Bei der angekündigten "offenen Aussprache" am kommenden Samstag in Kassel dürften also die Fetzen fliegen.

Wie wird es ausgehen?

Das ist völlig unklar. Beim außerordentlichen Bundestag am 26. September in Hannover, wo ein Präsident gewählt wird, stehen sich zwei Parteien gegenüber. Die Ligen mit Hanning und Michelmann bekommen es mit den Landesverbänden und Bauer zu tun.

Die Landesverbände haben beim Bundestag die Hälfte der 120 Stimmen, die anderen 60 verteilen sich auf die Bundesligen der Frauen und Männer und auf das Präsidium. Auch die meisten Landesverbände, die den Antrag nicht unterschrieben haben, stehen hinter Artschwager und seinen Verbündeten.

"Andreas Michelmann kann ich nicht einschätzen, weil ich ihn nicht persönlich kenne. Bernhard Bauer schätze ich. Er hat nicht nur national, sondern vor allem auch international wieder ein positives Licht auf den deutschen Handball gelenkt. Er ist sehr diplomatisch und ist jemand, der den anderen Verbänden die Hand reicht. Das ist in dieser Position sehr wichtig. Der deutsche Handball ist nämlich weltweit gesehen ein wichtiger Markt. Gerade da hat er sehr, sehr positive Arbeit geleistet. Ich würde mich freuen, wenn er daran interessiert wäre, sein Amt wieder aufzunehmen", erklärte Fritz.

Sollte Hanning übrigens aus dem DHB gedrängt werden oder zurücktreten, soll Gerüchten zufolge auch Bundestrainer Dagur Sigurdsson ernsthaft über einen Amtsverzicht nachdenken.

Was bedeutet das Chaos für den Handball?

Die auch auf persönlichen Eitelkeiten basierende Selbstzerfleischung auf dem Rücken einer Sportart ist ein Desaster für den deutschen Handball. Das nach Jahren der Planlosigkeit von Bauer und Hanning mühsam zurückgewonnene Vertrauen bei Partnern und Sponsoren dürfte schnell wieder weg sein.

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Dem DHB droht ein noch größeres Führungschaos. Michelmann hat zwar bereits angekündigt, trotz der jüngsten Vorkommnisse kandidieren zu wollen. Und auch Bauer steht bereit. Doch wie soll ein Präsident - egal wie er letztlich heißt - den größten Handballverband der Welt vernünftig führen, wenn es bereits von Beginn an Gräben gibt?

"In so einer Situation ist das so, dass der zukünftige Präsident mit einem schweren Rucksack sein Amt antreten wird. Man kann es nicht allen recht machen", so Fritz.

Berndt Dugall, Vorsitzender der Handball Bundesliga der Frauen, brachte es auf den Punkt: "Der Handball wird kaputtgemacht, und egal, wie es ausgeht, das wird über einen langen Zeitraum nicht mehr zu kitten sein."

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