"Ich würde nicht von Betrug reden"

SID
Lange Gesichter bei Oliver Roggisch (r.) und seinen Teamkollegen
© Getty

In seiner Kolumne für SPOX blickt Abwehrchef Oliver Roggisch auf das bittere Aus der deutschen Mannschaft in der Hauptrunde der WM in Kroatien zurück. Der 30-Jährige gibt zu, unmittelbar nach der Niederlage gegen Dänemark mit Ärger und Wut gekämpft zu haben. Doch am Tag danach sieht die Welt schon wieder anders aus. 

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Liebe Handball-Fans,

ich weiß ehrlich nicht, wie ich anfangen soll. Was war das denn bitte für ein Tag! Da läuft einfach mal komplett alles gegen einen. Wahnsinn! Den 27. Januar kann man schön aus dem Kalender streichen.

Wenn ich diese Kolumne relativ zeitnah nach dem Spiel gemacht hätte, wäre sie ein bisschen anders ausgefallen als jetzt. Ihr versteht alle sicher, warum. Ich war so geladen.

Ich bin nach Spielschluss nicht in die Kabine und nicht durch die Mixed-Zone, weil ich zu diesem Zeitpunkt kein Interview hätte geben sollen. Es gehen einem so viele Dinge durch den Kopf. Du hast alles gegeben und bist so enttäuscht, dass du erstmal in ein Loch fällst.

Ich habe mich zurückgezogen und versucht, mich selbst zu finden. Ich bin in die Aufwärmhalle, um irgendwelchen Konfliktsituationen sofort aus dem Weg zu gehen. Dort habe ich ein paar Worte mit unserem Co-Trainer Martin Heuberger gewechselt und konnte mich etwas herunterfahren.

Am Abend haben wir das Spiel zwischen Polen und Norwegen angeschaut. Das war der letzte Nackenschlag und noch mal doppelt bitter. Spätestens dann war Zeit, ins Bett zu gehen.

Kein Schiedsrichter pfeift absichtlich so

Jetzt sieht die Welt wieder ganz anders aus. Ich möchte eines klarstellen: Ich würde nicht von Betrug reden. Ich glaube nicht, dass ein Schiedsrichter absichtlich so pfeift. Es ist natürlich bitter, wenn derjenige, der es falsch sieht, denjenigen überstimmt, der es richtig gesehen hat. So war das in der Szene gegen Dänemark mit Jogi Bitter.

Ich will aber die Schiris dennoch in Schutz nehmen. Sie haben in einer Stresssituation falsch reagiert und Fehler gemacht. Wenn sie daraus lernen, ist alles okay. Wir haben nämlich auch viele Fehler gemacht.

Aus dem Affekt heraus haben sich bei uns die Emotionen gegen die Referees kanalisiert, aber es war übertrieben. Mit ein bisschen Abstand muss man sagen, dass wir drei Matchbälle hatten, um ins Halbfinale einzuziehen. Wir haben keinen genutzt. Wir müssen uns an die eigene Nase fassen, dass wir es in den entscheidenden Phasen nie geschafft haben, die Big Points zu machen.

Keine Angst mehr beim nächsten Mal

Aus diesen Fehlern müssen wir lernen, dann ist mir für die nächsten Turniere nicht bange. Wir haben in jedem Spiel Vollgas gegeben. Jeder konnte danach guten Gewissens in den Spiegel schauen. Wir sind nahe dran, insofern bin ich auch gar nicht so unzufrieden.

Erfahrung kann man nicht lernen. Ich bin mir sicher, dass uns diese negative Erfahrung weiterbringen wird. Gerade für die jungen Spieler, die ihr erstes Turnier gespielt haben, war es wichtig zu sehen, dass die Gegner hier auch nur mit Wasser kochen. Die werden im nächsten Turnier keine Angst und keinen Respekt mehr haben und mit viel mehr Selbstvertrauen an die Sachen rangehen.

Jeder hat gezeigt, dass er zurecht im Kader war. Es war beeindruckend zu sehen, wie Martin Strobel auf der Mitte agiert hat. Wie ein Lars Kaufmann gegen Dänemark ins kalte Wasser geworfen wurde und sensationell gespielt hat. Das stimmt mich positiv für die Zukunft.

"Werden uns nicht hängen lassen"

Wer denkt, dass wir uns im Spiel um Platz fünf hängen lassen, denkt im Übrigen falsch. Wir hatten bei der letzten EM im Spiel um Platz drei gegen Frankreich einen unrühmlichen Auftritt, so was wird uns nicht passieren.

Wir werden uns noch einmal voll reinhauen. Vor allem für die Fans in Deutschland, bei denen wir uns bedanken wollen. Wir haben sehr wohl mitbekommen, dass wieder eine riesige Euphorie entstanden ist.

Wäre die WM jetzt zu Ende, wäre es sehr schlecht, aber wenn wir mit dem fünften Platz noch einen versöhnlichen Abschluss schaffen, kann man einigermaßen gut auf das Turnier zurückschauen.

Natürlich wird ein bisschen Wehmut dabei sein, wenn es am Wochenende dann um den Titel geht, wir aber nicht dabei sind. Dafür aber die Polen, die wir so klar weggeputzt haben. Na ja, ich gönne es ja meinen polnischen Mannschaftskollegen von den Rhein-Neckar Löwen. Den Titel werden aber Kroatien und Frankreich unter sich ausmachen. Das wird ein enges, geiles Spiel werden. Ich gebe zu, von einem Finale gegen Kroatien in Kroatien habe ich geträumt.

Schade, dass wir es nicht gepackt haben.

Bis zum nächsten Mal

Euer Oliver Roggisch

Oliver Roggisch, 30, spielt seit 2007 bei den Rhein-Neckar Löwen. Der 1,99 m große Kreisläufer und Abwehrspezialist startete seine Karriere beim TuS Schutterwald, bevor es ihn zu Frisch Auf Göppingen zog. Weitere Stationen waren TuSEM Essen und der SC Magdeburg. Mit der Nationalmannschaft wurde er 2007 Weltmeister. Mehr Infos zum SPOX-Kolumnisten gibt's unter http://www.oliver-roggisch.de/.

Alle Ergebnisse der WM in Kroatien