Kraus aus dem Kader geschmissen

Von Florian Regelmann
Michael Kraus, Deutschland
© Getty

München - Die Bestrafung folgte wenige Stunden nach der Demütigung. Bundestrainer Heiner Brand hat nach der 26:36-Pleite gegen Frankreich im Spiel um den dritten Platz bei der Handball-EM ein Zeichen gesetzt und drei Spieler aus der Nationalmannschaft geworfen.

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Wegen fehlender Einstellung strich Brand die Rückraumspieler Lars Kaufmann und Rolf Hermann aus dem Kader. Zudem verordnete er Spielmacher Michael Kraus eine Denkpause.

"Bei den nächsten Maßnahmen werde ich Rolf Hermann und Lars Kaufmann nicht berücksichtigen. Das war einfach zu wenig. Ich habe bei ihren Einsätzen nicht erkennen können, dass sie ihre Chance beim Schopf packen wollen", begründete Brand seine unerwartete Entscheidung.

Von Michael Kraus forderte der Bundestrainer bessere sportliche Leistungen. "Er zeigt derzeit nicht einmal 30 Prozent seines Könnens, muss lernen, sich voll und ganz auf den Handball zu konzentrieren", verlangte Brand von dem 24-Jährigen, bei der WM im Vorjahr noch als bester Spielmacher des Turniers ausgezeichnet. "Da gilt auch kein WM-Bonus mehr."

Erniedrigung erster Güte

Es ist offensichtlich: Die Niederlage gegen die Franzosen hinterlässt Spuren. Schließlich war sie eine Erniedrigung erster Güte. Von Stolz war nicht viel zu sehen. Mitte der zweiten Hälfte stand auf der Anzeigetafel: Deutschland: 13, Frankreich: 27. 

Ein Spielstand, den auch Angola gegen die Franzosen hinbekommen hätte. Die Equipe Tricolore war nach ihrer Halbfinal-Niederlage gegen Kroatien mindestens genauso tief im Tal der Tränen wie Deutschland nach dem Aus gegen Dänemark.

Aber die Klasse von Nikola Karabatic und Co. verbietet es ihnen, amateurhaft die Bälle wegzuschmeißen wie es der (Turnover-) Weltmeister Deutschland in der Anfangsphase tat. Es waren schauderhafte Anspielversuche.

Letzter Eindruck bleibt

Aus deutscher Sicht ist zu hoffen, dass der letzte Eindruck auch der wichtigste der EM bleibt. Es wäre der größte Fehler überhaupt, wenn man die EM mit Platz vier im Endeffekt als Erfolg abhaken würde. Frei nach dem Motto: Man muss auch mal mit einem vierten Platz zufrieden sein.

Muss man nicht. Darf man nicht. Nicht, wenn er derart glücklich zustande gekommen ist wie dieses Mal. Selbstverständlich gibt es viele Faktoren und Gründe, die dazu beigetragen haben, dass es nicht zum Titel gereicht hat. Diese sollen und dürfen nicht unterschlagen werden.

Wäre das große Verletzungspech nicht gewesen, hätte es nicht die beschwerliche Anreise zum Halbfinale nach Lillehammer gegeben, hätte man die Schiedsrichter etwas mehr auf der eigenen Seite gehabt gegen Dänemark. Alles richtig.

Schwarzer vermisst 

Der Titel wäre dennoch nicht verdient gewesen. Deutschland muss einsehen, dass man, was die Klasse angeht, sogar eher auf Position sechs oder sieben gehört als auf Rang vier, geschweige denn Rang eins. In die Vorschlussrunde kam man nur aufgrund der Unzulänglichkeiten der Ungarn und Spanier.

Dieses Geschenk nahm die DHB-Auswahl dann auch nicht einmal an, eine 12:7-Führung gegen Dänemark wurde leichtfertig aus der Hand gegeben. Am Ende stehen vier Siegen vier Niederlagen gegenüber. Bis auf 30 Minuten gegen Schweden war das gesamte Turnier nicht überzeugend. Vor allem der Angriff lahmt gewaltig.

Das, was Deutschland teilweise im Angriff darbot, kann nicht viel damit zu tun haben, was im dicken Spielzüge-Buch geschrieben steht. "Auslösehandlungen der Nationalmannschaft" heißt der Titel, darin enthalten Angriffs-Varianten mit klangvollen Namen wie "Eros". Umgesetzt wurden sie selten.      

Es fehlt an Qualität in der Breite. Es fehlt ein absoluter Star, der allein wegen seiner individuellen Klasse mal leichte Tore ermöglicht. Es fehlt ein Leader, der auch mal laut wird. Der Rücktritt von Christian Schwarzer hat nicht nur im Abwehrblock eine riesige Lücke hinterlassen.

Zugegeben, der Tipp ist nicht besonders einfallsreich, aber ein erneutes Comeback von Schwarzer sollte ernsthaft in Erwägung gezogen werden, wenn in sechseinhalb Monaten die Olympischen Spiele in Peking anstehen.

Brand fehlen die Alternativen 

Brand konnte zum Schluss verständlicherweise gar nicht mehr hinschauen. Er konnte einem leid tun. Einer nach dem anderen meldete sich malad ab oder war außer Form. Brand vertraute zurecht der Stammmannschaft der WM, wurde aber in manchem Fall arg enttäuscht. Kraus, Kaufmann und Hermann waren nicht die einzigen.

Als Konsequenz muss er versuchen, auf allen Positionen Konkurrenz-Situationen zu schaffen. Einfach wird das nicht, es gibt nicht viele Alternativen in der Bundesliga.

Ein vierter Platz ist weit weg von einer Katastrophe. Spanien oder Polen wären froh, aber wenn Deutschland Olympia-Gold in Angriff nehmen will, muss sich einiges tun.

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