Frank Zöllner vom VfL Bochum im Interview: "Beim BVB war die Menschlichkeit abhandengekommen"

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Moment mal: Sie haben als gebürtiger Dortmunder mit Schalke verhandelt?

Zöllner: Ich hatte schon einen unterschriftsreifen Vertrag von Rudi Assauer vorliegen und wollte auch zusagen. Als wir uns trafen, beide übrigens im Jogginganzug, sah ich, dass in dem Vertrag gar keine Zahlen enthalten waren. Rudi meinte nur: "Dat trägste hinterher ein, dat is' mir egal. Wir wollen dich haben." (lacht) Als ich den damaligen BVB-Manager Michael Meier informierte, sagte er, ich könne doch nicht kündigen, sie werden mich nicht gehen lassen. Das ging dann hin und her. Am Ende habe ich beim BVB zu besseren Bezügen verlängert, obwohl es mir gar nicht darum ging.

Haben die Spieler heutzutage eigentlich ein vielfach größeres medizinisches Wissen als zu früheren Zeiten?

Zöllner: Natürlich. Heutzutage erschrickt man beinahe, wie professionell die Spieler in dieser Hinsicht oder auch beim Thema Ernährung sind. Früher wurde geraucht und getrunken. Das war im Vergleich zu heute brutal, wie man damals als Profi lebte. Früher hatten wir auch ganz andere Diagnostiken. Da konnte man an einer Hand abzählen, wie oft im Jahr ein MRT oder eine Computertomographie gemacht wurden. Heute sind die Spieler schon in den Nachwuchsleistungszentren durchgängig mit medizinischen Themen konfrontiert und auch entsprechend informiert, was die Pflege des eigenen Körpers angeht.

Nach fast 20 Jahren verließen Sie die Borussia Ende 2009. Aus privaten Gründen, "der Familie zuliebe", wie es laut BVB-Mitteilung hieß. Direkt im Anschluss heuerten Sie beim VfL Bochum an. Wie ist es zu diesem schnellen Wechsel in die Nachbarstadt gekommen?

Zöllner: Ich wohne in Dortmund-Lütgendortmund, das ist quasi an der Grenze zu Bochum. Bis zum VfL sind es sieben Kilometer, zum BVB-Trainingsgelände nach Brackel dauerte es teils 45 Minuten. Dazu kam, dass unter Jürgen Klopp häufiger zweimal pro Tag trainiert wurde. Dazu die Aufenthalte im Hotel vor den Heimspielen, die Auswärtsspiele sowieso - da warst du jedes Mal erst spät zu Hause und hast deine Familie vier, fünf Tage quasi überhaupt nicht gesehen. Und darunter hat sie gelitten, auch wenn mich meine Frau in all den Jahren immer super unterstützt hat.

Hatten Sie in all den Jahren zuvor einmal eine Phase, in der Sie am liebsten hinschmeißen wollten?

Zöllner: Nein. Ich weiß aber noch, dass wir unsere Tochter bekamen, kurz bevor wir 1995 ins Trainingslager nach Brasilien gereist sind. Damals saß ich neben Heiko Herrlich, mit dem ich mich erst kürzlich wieder über genau diese Situation unterhalten habe. Er meinte, er wisse noch genau, wie nervös ich war und nur an meine Tochter gedacht habe. Damals sagte ich zu ihm: "Boah, jetzt wird's aber komisch." Die Euphorie bei mir war damals irgendwie etwas gebremst. Ich dachte aber, dass sich zu Hause trotzdem alles irgendwie regeln würde.

Wenn dieses Gefühl erstmals 1995 auftrat, haben Sie aber noch lange ausgehalten.

Zöllner: Ja, noch 13 Jahre. Ab ungefähr 2008 merkte ich schließlich, dass sich unbedingt etwas ändern muss. Einmal kam ich nach Hause und traf auf meine weinende Tochter. Ihr Freund hatte sich offenbar von ihr getrennt - und ich wusste nicht einmal, dass sie einen hatte! Oder solche Episoden wie unter Kloppo, der manchmal spontane Besprechungen am Abend einberief, so dass sich der Feierabend verzögerte und man sich vorab gar nicht mehr bei der Familie melden konnte, um Bescheid zu sagen. Irgendwann wollten die Kinder kaum noch mit mir reden. Da habe ich gesagt: Jetzt ist Schluss.

Seit 2010 ist Frank Zöllner beim VfL Bochum beschäftigt.
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Seit 2010 ist Frank Zöllner beim VfL Bochum beschäftigt.

Wie lange trugen Sie letztlich den Wechselgedanken in sich?

Zöllner: Entscheidend war vor allem der Anruf von Heiko Herrlich. Ich wusste von nichts, er wollte sich eigentlich nur auf einen Kaffee treffen. Dann setzte er mir aber den Floh mit dem VfL ins Ohr. Das ergab dann auch schnell Sinn, denn er bot an, dass ich vor den Heimspielen zu Hause schlafen könne. Die internationalen Spiele fielen hier auch weg. Am Ende war ich Feuer und Flamme. Ich hatte nur die Befürchtung, dass mich der BVB nicht gehen lassen würde.

Wie reagierte man bei der Borussia, überrascht?

Zöllner: Ich habe es Aki Watzke und Michael Zorc auf der 100-Jahr-Feier 2009 mitgeteilt und direkt danach schriftlich per Einschreiben gekündigt. Zorc war sauer, weil wir auch privat befreundet waren und 20 Jahre lang zusammengearbeitet haben. Ich habe eine hohe Meinung von ihm, aber leider nahm er meine Kündigung wohl irgendwie persönlich. Der Kontakt ist seitdem so gut wie abgebrochen. Wieso ich denn nichts gesagt hätte, man könne doch alles regeln, meinte er damals. Ich musste aber einfach raus, es ging nicht mehr. Ich sah in Bochum die Möglichkeit, wieder deutlich mehr Zeit mit meiner Familie verbringen zu können. Einen Tag vor Weihnachten unterschrieb ich in Zorcs Büro den Auflösungsvertrag. Wir haben beide geheult wie die Schlosshunde.

"Ich brauche den langsamen Entzug", haben Sie damals gesagt und für vier Jahre beim VfL unterschrieben. Am 1. Januar feierten Sie zehnjähriges Dienstjubiläum in Bochum...

Zöllner: Ich habe den Schritt ab der ersten Sekunde nicht bereut und würde ihn heute genauso wieder gehen. Ich wollte mich nach den vier Jahren selbständig machen, weil ich dachte, das würde mir eh alles zu stressig. Doch das Familienleben hat die gewünschte Wendung genommen. Jetzt bin ich schon seit zehn Jahren hier und die Kinder sind fast aus dem Haus. Daher war es immer ein leichtes, sich mit dem VfL über eine Vertragsverlängerung zu einigen.

Sie sind jetzt 52 Jahre alt. Wie lange wollen Sie noch im Fußball bleiben?

Zöllner: Planlos geht der Plan los. (lacht) Mein Vertrag läuft zum Jahresende aus. Ich könnte mir eine Verlängerung gut vorstellen, aber das hängt auch von der Situation des Vereins ab. Wir stecken aktuell im Abstiegskampf. Momentan haben wir in Anführungszeichen den Luxus, dass drei Physiotherapeuten sowie zwei Athletik- und Reha-Trainer angestellt sind. Ich könnte den Verein daher verstehen, wenn er an diesen Stellen einkürzen möchte. Ich bin vom Gefühl her eher pessimistisch, aber warte entspannt ab, was sich ergibt.

Inwiefern unterscheidet sich denn die Arbeit in Bochum von der in Dortmund?

Zöllner: Sie macht mir hier mehr Spaß, auch weil es verhältnismäßig klein ist und sehr familiär zugeht. Geschäftsstelle und Profiabteilung sind eng beisammen, hier kennt jeder jeden. Und vor allem habe ich genügend Zeit zum Arbeiten, weil sie mir auch die nötige Zeit dazu geben. In Dortmund musste man teilweise Leuten Rede und Antwort stehen, warum Spieler X noch nicht fit sei, und die dann noch freche Forderungen stellten, was dafür zu tun sei. Dadurch entwickelten sich auch Vorurteile der medizinischen Abteilung gegenüber.

Was waren das denn für Leute?

Zöllner: Gelegentlich kamen beispielsweise vermeintliche Experten von außen vorbei. Einmal war ein Physiotherapeut da, der eine negative Schwingung in der Kabine ausgemacht hatte und meinte, man müsse nun irgendwelche Steine hinlegen und Pflaster anbringen, um das zu bereinigen. Das war manchmal richtig irre. Beim BVB waren für mich der Spaß und die Menschlichkeit immer mehr abhandengekommen, nachdem Michael Meier 2005 gehen musste.