WM

Stumpfe Spitzen

Von SPOX
Italiens Sturmhoffnungen: Antonio Cassano und Mario Balotelli
© getty

Italien hat bei der WM noch nicht überzeugt. Ein Grund dafür sind auch die schwachen Leistungen seiner Angreifer bisher. Längst laufen die Debatten, ob Trainer Cesare Prandelli die vier richtigen Stürmer mit zur WM genommen hat. Vor dem "Endspiel" gegen Uruguay (ab 18 Uhr im LIVE-TICKER) wächst die Sehnsucht nach den guten alten Zeiten. Und die Tifosi fordern eine mutigere Taktik.

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Ein Vergleich der Squadra Azzurra mit der deutschen Nationalmannschaft verbietet sich oft. In diesem Fall verbietet er sich sogar voll und ganz: Italien gehört zu jenen Mannschaften bei der Weltmeisterschaft, die aus einem profunden Reservoir an Angreifern wählen können.

Mario Balotelli und Antonio Cassano hat Trainer Cesare Prandelli dabei, dazu Ciro Immobile und Lorenzo Insigne. Es gibt nur wenige Teams bei der WM, die quantitativ und qualitativ ähnlich stark besetzt sind.

Aber Italien hat ein dickes Problem: Seine Stürmer treffen das Tor nicht. Balotellis Kopfstoß gegen England bildet vor dem entscheidenden Gruppenspiel gegen Uruguay die Ausnahme. Den zweiten Treffer steuerte mit Claudio Marchisio ein Mittelfeldspieler bei.

Konkurrenz mit besseren Statistiken

Der Gegner am Dienstagabend im Estadio das Dunas in Natal hat seine bisherigen drei Tore auf seine beiden gefährlichsten Angreifer verteilt, Luis Suarez und Edinson Cavani. "Ich sehe keine zwei anderen Spieler wie diese beiden in einem anderen Team", hatte Prandelli schon vor dem Turnier gesagt.

Und die restlichen vermeintlichen Titelkandidaten? Neymar (Brasilien, vier Tore), Karim Benzema (Frankreich, drei), Arjen Robben (Niederlande, drei), Robin van Persie (Niederlande, drei), Thomas Müller (Deutschland, drei), Leo Messi (Argentinien, zwei).

Längst toben in der Heimat die Debatten, ob Prandelli, der bisher über jegliche Kritik erhaben war, wirklich die vier richtigen Angreifer mit nach Brasilien genommen hat. Luca Toni, Weltmeister von 2006 und mittlerweile 37 Jahre alt, war mit in der Verlosung. Toni hatte in der abgelaufenen Serie-A-Saison 20 Tore erzielt und war damit zweiter der Torjägerliste hinter dem Neu-Dortmunder Immobile.

Kein Toni, Di Natale, Rossi

Toni aber durfte ebenso wie Antonio di Natale nicht zu den Fitnesstests Anfang April anreisen. Prandelli wollte im Hinblick auf die Aufgaben nach der WM einen Umbruch im Angriff. Da passen ein 37- und ein 36-Jähriger nicht mehr zum Konzept. Der dritte Härtefall war Guiseppe Rossi vom AC Florenz.

Der flog erst kurz vor der Abreise nach Brasilien aus dem vorläufigen Kader. Stattdessen setzte Prandelli auf Cassano - den einzigen Ü-30-Angreifer der Squadra.

Balotelli ist mit 32 Länderspielen noch so etwas wie ein alter Hase. Der machte sich mit seiner Ankündigung, einen Kuss von Queen einzufordern, so er denn das entscheidende Tor gegen Costa Rica erzielt, nicht nur in England zum Gespött. "Danke für nichts, Balotelli", rief ihm die Yellow Press hinterher.

Immobile (drei) und Insigne (sechs) stehen erst am Anfang ihrer Karriere in der Squadra Azzurra. Besonders an Insignes Nominierung entzünden sich mittlerweile die Diskussionen. Mit der Empfehlung von nur drei Saisontoren schaffte es Napolis Stürmer in den Kader.

Kritik von Prandelli

Das ernüchternde 0:1 gegen Costa Rica verstärkte die Zweifel nochmals. Mit Balotelli, Cassano und Insigne warf Prandelli drei Angreifer ins Rennen. Alle drei blieben auf ihre Weise blass. Balotelli vergab einige dicke Gelegenheiten, während Cassano und Insigne trotz üppiger Spielzeit nie so richtig Bindung zu den Mitspielern fanden.

"Cassano und Insigne haben uns gegen Costa Rica leider kaum die erhofften Impulse geben können", musste Prandelli zugeben. Wie ein Bumerang kamen die Einwechslungen auf den 56-Jährigen zurück. Im 4-3-2-1 verlor sich Balotelli lange als einzige Spitze.

Nach dem Rückstand und mit zunehmender Spieldauer warf Prandelli einen Offensivspieler nach dem anderen ins Getümmel und hatte am Ende inklusive dem offensiven Alessio Cerci vier Angreifer auf dem Platz - aber im Mittelfeld außer Andrea Pirlo kaum noch jemanden, der diese Armada auch vernünftig hätte einsetzen können.

"Bring Ciro!"

Eine einschneidende Korrektur im Angriff könnte ihren Ursprung ausgerechnet ganz weit hinten haben: In der Abwehr. Prandelli wird gegen Uruguay auf die bewährte Dreierkette umstellen, auch weil mit Daniele de Rossi ein wichtiger Spieler im defensiven Mittelfeld wegen einer Wadenverletzung auszufallen droht.

Die beiden juvenilen Matteo Darmian und Mattia de Sciglio, der in den ersten beiden Spielen noch angeschlagen gefehlt hatte, sollen über die Außenpositionen Dampf machen. Das füllt zum einen die Dreier- in der Rückwärtsbewegung in eine Vierer- oder Fünferkette auf und bringt in der Offensive die Option der guten alten Flanken mit sich.

Die in der Abwehr "eingesparte" Position wird im 3-1-4-2 im Sturm aufgefangen. Balotelli bleibt gesetzt, neben ihm rechnen die Experten mit Ciro Immobile. Für den Torschützenkönig der Serie A sollte das erste große Turnier auch zur großen Bühne werden. Der Transferpoker um seinen Wechsel von Torino nach Dortmund wurde rechtzeitig vor dem Turnierstart beendet, die volle Konzentration auf Brasilien gelegt.

Und dann: Kein Startelfeinsatz bisher und lediglich 17 Minuten Einsatzzeit. Der "echte Krieger" steht vor der großen Bewährungsprobe seiner noch jungen Karriere. "Bring Ciro!", forderte "Tuttosport" Nationaltrainer Prandelli auf. "Gegen Uruguay geht es um die WM, es wäre einfach nur absurd, auf seine Tore zu verzichten."

Prandelli wollte sich noch nicht endgültig festlegen, ließ aber schon eine gewisse Tendenz durchblicken. "Ciro ist ein moderner Angreifer, der in die Tiefe gehen kann, der im Strafraum einen Torriecher hat..."

Erinnerungen an Rossi und Schillaci

Wehmütig blicken die Tifosi derzeit auf jene Zeiten zurück, da Italien bei WM-Turnieren noch große Torjäger ins Rennen schicken konnte. Paolo Rossi wurde 1982 Torschützenkönig, Toto Schillaci acht Jahre später bei der Heim-WM ebenfalls. Das Land der Rossis, Schillacis, Altobellis oder Rivas hegt die Sehnsucht nach mehr Gefahr im Angriff.

Denn selbst wenn es gegen Uruguay, wo den Italienern ein Remis zum Einzug ins Achtelfinale genügt, noch reichen sollte - spätestens in der K.o.-Runde sind machen auch die Angriffsreihen oft den Unterschied.

Nun aber zunächst die Urus. "Wir müssen eine großartige Partie spielen. Wir brauchen ein heißes Herz und einen kühlen Kopf", forderte Gigi Buffon.

Und für Prandelii, der nach dem Untergang bei der letzten WM auf Marcello Lippi folgte und seitdem fast nur den Weg nach oben kannte, wird es "das wichtigste Spiel meines Lebens! Es ist mit keiner anderen Partie zu vergleichen."

Italien: Spiele, Trainer, Kapitän