WM

Der Sündenbock aus Oberhausen

Von Uwe Morawe
Die deutsche Nationalmannschaft mit Sepp Herberger (3. v. l.) und Erich Juskowiak (2. v. l.)
© imago

Am 12. Juni beginnt die WM 2014 in Brasilien. GO!Brasil-Experte Uwe Morawe blickt für SPOX in 19 gewohnt launigen Kolumnen auf die WM-Geschichte zurück. Folge 6, die WM 1958 in Schweden: Eine irrsinnige Schiedsrichter-Ansetzung, der Zufallsweltmeister und das Karriereende des Erich Juskowiak.

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Hühnersuppe mit Eierstich. Erich Juskowiak stocherte lustlos in seinem Süppchen herum. Er konnte sich nicht daran erinnern, jemals bei einem Bankett der Nationalmannschaft einen anderen ersten Gang bekommen zu haben als Hühnersuppe mit Eierstich. Nach jedem Länderspiel. 25 Mal dieselbe klare Brühe mit Einlage. Seine Silberjubiläumssuppe. 25 war ab heute die Unglückszahl des Erich Juskowiak.

Doktor Peco Bauwens, der eitle Präsident des DFB sprach immer noch erregt auf der kleinen Bühne. Bauwens beharrte auf seinem Doktortitel, obwohl sich längst herumgesprochen hatte, dass er niemals dissertiert hatte. Der Mann hörte sich gern zackig reden. Nimmermehr in Zukunft des Verbandes werde Deutschland ein Länderspiel mit den Schweden arrangieren. Die Vorgänge von heute ungeheuerlich! Skandalös! Unverzeihlich!

Diese herausgepressten Worte drangen nur wie durch Watte ans Ohr von Erich Juskowiak, er hörte kaum zu. In aufgeheizter Atmosphäre hatte nachmittags Deutschland das Halbfinale gegen WM-Gastgeber Schweden mit 1:3 verloren. Unglücklich, unverdient und mit einem Sündenbock. Ihm, Rechtsverteidiger Juskowiak, der sich zu einem Revanchefoul hatte hinreißen lassen und die Mannschaft durch seinen Platzverweis entscheidend schwächte.

Der Zufallsweltmeister

Nach dem Schlusspfiff ließ Bundestrainer Sepp Herberger vor dem Kabinentunnel des Göteborger Stadions die abgekämpften Spieler wortlos an sich vorbeiziehen. Derart ausgebrannt hatte man Herberger noch nie gesehen. Erst dieser leere Blick verriet, wie sehr der Chef an die Möglichkeit einer Titelverteidigung geglaubt hatte. In der Öffentlichkeit hatte Herberger zuvor stets betont, dass Deutschland ein noch größerer Außenseiter sei als beim Triumph 1954.

Das Auseinanderfallen der Berner Elf, die Formschwäche und die Fälle von Gelbsucht bei den Leistungsträgern. Dazu der Rücktritt von Kapitän Fritz Walter. Als Zufallsweltmeister war Deutschland tituliert worden. In den Jahren 1955 und 1956 setzte es mehr Niederlagen als Siege. Hinzu kamen die Eskapaden von Helmut Rahn. Donnerte der doch vollalkoholisiert sein Auto in eine Baugrube und fing eine Schlägerei mit Polizisten an. Vier Wochen Gefängnis und die Verbannung aus der Nationalmannschaft waren die Folge.

Herberger hatte erkannt, ohne seine beiden Lieblinge wäre nichts zu holen. Er überredete den Fritz zum Comeback und rehabilitierte Helmut Rahn. Mit Linksaußen Hans Schäfer, dem neuen Kapitän, waren die drei Korsettstangen gefunden. Darum herum aufstrebende junge Spieler wie Horst Szymaniak und Uwe Seeler. Diese Mannschaft hatte vielleicht nicht ganz die Klasse wie 1954, doch sie hatte Seele und Moral. In allen drei Gruppenspielen wurde nach Rückstand noch gepunktet. Das Viertelfinale gegen Jugoslawien durch Disziplin und Willenskraft mit 1:0 für sich entschieden.

Juskowiak mit Kugel im Kopf

Mit diesen Tugenden kannte sich Erich Juskowiak aus. Mit 18 Jahren war er ohne soldatische Ausbildung in den letzten Tagen des 2. Weltkriegs noch verheizt worden. Steckschuss im Kopf, das Überleben ein Wunder.

Die Kugel blieb ein Leben lang in seinem Hirn, inoperabel. Kämpfen, kämpfen und die Kameraden nie enttäuschen. Lebensmotto und Spielweise als Fußballer. Bis zum heutigen Tag, bis zum verhängnisvollen Tritt in die Beine des Schweden Kurt Hamrin.

Warum ein Schiedsichter aus Ungarn?

Nicht Schiedsrichter Zsolt würde man die Schuld an der Niederlage zuweisen, der nahezu jede Situation für die Schweden entschieden hatte. Klares Foul an Helmut Rahn, kein Elfmeter. Handspiel vorm 1:1, Weiterspielen. Hamrins Ellbogenschlag in die Rippen, der zu seiner verhängnisvollen Kurzschlussreaktion führte - ohne Folgen.

Wie hatte man überhaupt einen Schiedsrichter aus Ungarn ansetzen können, nachdem die Deutschen den Stolz dieser Nation im Finale von Bern vor vier Jahren zerstört hatten?

Torwart Herkenrath würde davonkommen, obwohl er bei zwei Gegentoren patzte. Dass die schwedischen Verteidiger Axbom und Parling Fritz Walter aus dem Spiel traten und die Mannschaft praktisch zu Neunt war, als die entscheidenden Treffer fielen - eine Randnotiz.

Seite 1: Der Zufallsweltmeister und die irrsinnige Schiedsrichter-Ansetzung

Seite 2: Der Hauptschuldige und Erregung öffentlichen Ärgernisses