WM

Der Sündenbock aus Oberhausen

Von Uwe Morawe
Die deutsche Nationalmannschaft mit Sepp Herberger (3. v. l.) und Erich Juskowiak (2. v. l.)
© imago
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Nein, der Hauptschuldige am deutschen Ausscheiden war einzig und allein Erich Juskowiak. Jeder würde das so sehen. Konnte er keinem verübeln. Tat Juskowiak ja auch selber, wie er hier saß und in der Hühnersuppe rührte.

Der hagere Bauwens salbaderte immer noch. Man werde Zeichen setzen und als erster Halbfinalist der WM-Geschichte das Schlussbankett der FIFA boykottieren, soviel stehe fest. Juskowiak kannte die Gepflogenheiten des DFB. Gleich würde die Rede des Präsidenten enden und damit seinen Gang aufs Schafott einläuten. Es war so weit...

Doktor Peco Bauwens änderte die Tonlage: "Abschließend möchte ich noch den Sportskameraden Juskowiak auf die Bühne bitten. Diese Ehrennadel des Deutschen Fußball Bundes möge Sie auf ewig an Ihr silbernes Jubiläum anlässlich Ihres 25. Länderspiels für Deutschland erinnern."

Erich Juskowiak schob seinen Stuhl nach hinten, richtete sich auf und setzte unter eisigem Schweigen den ersten Schritt in Richtung Podium.

Frieden nicht gefunden

Herberger redete drei Tage lang kein Wort mit Juskowiak. Erst ein Telefonat mit seiner Frau Eva stimmte ihn um, ein Gespräch zu suchen, das folgendermaßen abgelaufen sein soll: "Erich, ich verzeihe Ihnen unter einer Bedingung: wir ziehen einen Strich unter die Sache und sprechen nie mehr darüber bis an unser Lebensende."

Das ist Wiederaufnahme und Verstoßung zugleich. Zwar absolvierte Juskowiak anschließend noch sechs weitere Länderspiele, doch den inneren Frieden fand er nie wieder. Kurz nach seinem Karriereende wurde er wegen Erregung öffentlichen Ärgernisses - scheinbar Exhibitionismus - zu einer Haftstrafe auf Bewährung verurteilt.

Darüber schämte sich Juskowiak derart, dass er jeglichen Kontakt zur Fußballszene abbrach. Anfang der 80er Jahre ließ sich Juskowiak von der "Bild" überreden, bei einer inszenierten Versöhnung mit Kurt Hamrin mitzumachen.

Was sonst noch wichtig war:

  • Im sechsten Anlauf hatte die FIFA endlich ein taugliches WM-Format gefunden. Vier Vierergruppen, jeder gegen jeden, und danach K.o.-System. Bis auf die WMs 1974 und 1978 mit ihren unsinnigen zweiten Gruppenphase spielt man dieses Format mit zwischenzeitlichen Modifikationen bis heute.
  • Zum einzigen Mal konnten sich alle vier britischen Verbände England, Wales, Schottland und Nordirland qualifizieren. Pech für Wales, dass man beim knappen 0:1 im Viertelfinale gegen Brasilien auf seinen besten Mann, den "Gentle Giant" John Charles verzichten musste. John Charles ging nach der WM zu Juventus Turin und gilt bis heute als der einzige Spieler, der auf den drei Positionen Innenverteidiger, defensives Mittelfeld und Mittelstürmer absolute Weltklasse verkörperte.
  • Die Weltmeisterschaft wurde immer mehr zum Schaufenster für den sich beschleunigenden Transfermarkt. Wenn auch nicht immer mit Erfolg. Real Madrid verpflichteten die beiden Franzosen Raymond Kopa und Lucien Muller sowie den brasilianischen Regisseur Didi. Alle drei können sich bei den Königlichen nicht durchsetzen, weil Di Stefano keine anderen Könige neben sich duldet.
  • Frankreichs Superstürmer Just Fontaine stellte mit 13 Turniertoren einen ewigen Rekord auf. Für die Nationalmannschaft erzielte er insgesamt 30 Tore in nur 21 Länderspielen. Zwei Jahre nach der WM erlitt er einen fürchterlichen Schienbeinbruch, der seine Karriere mit nur 27 Jahren beendete.
  • Brasiliens Superstars Garrincha und Pele waren zu Turnierbeginn nicht einmal gesetzt. Sie kamen erst nach dem enttäuschenden 0:0 gegen England zum Einsatz, um im letzten Gruppenspiel gegen die UdSSR das Vorrunden-Aus abzuwenden. Pele profitierte dabei von einer Verletzung des 18-jährigen Mazzola. Der hatte im ersten Spiel gegen Österreich einen Doppelpack geschnürt und wäre wohl weiterhin gesetzt gewesen. Mazzola ging anschließend zum AC Mailand, und spielte dort unter seinem eigentlichen Namen Jose Altafini. Sein Künstlername Mazzola wäre in Italien als pietätlos empfunden worden, da er sich nach dem verunglückten AC-Turin-Kapitän Valentino Mazzola benannt hatte.
  • Garrincha hatte sich vor Turnierbeginn den Zorn von Trainer Feola zugezogen. Bei einem Vorbereitungsspiel in Italien hatte Garrincha vier Abwehrspieler plus Torwart umdribbelt und - statt den Ball ins leere Tor zu schieben - draufgetreten, um auf weitere Italiener zu warten, die er auch noch ausspielen könne.
  • Brasiliens Kapitän Bellini war der erste Spieler, der auf die heute profan anmutende Geste kam, den Pokal mit beiden Händen in die Höhe zu halten. Hatte man unglaublicher Weise zuvor nie gesehen.

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