WM

Spanien-Bezwinger Schweiz verliert gegen Chile

Von Philipp Dornhegge / Christian Bernhard
Mit seinem Kopfballtreffer sicherte Mark Gonzalez Chile drei wichtige Punkte gegen die Schweiz
© Getty

Chile hat im Kampf ums Achtelfinale in der Gruppe H einen wichtigen Schritt gemacht. Nach dem Auftaktsieg gegen Honduras feierten die Südamerikaner auch gegen die Schweiz ein 1:0.

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Vor 34.872 Zuschauern im Nelson-Mandela-Bay-Stadium in Port Elizabeth erzielte Mark Gonzalez in der 75. Minute nach schöner Flanke von Esteban Paredes das Tor des Tages.

Nachbetrachtung: So komisch es klingen mag: Chile war gegen die Schweiz ähnlich dominant wie gegen Honduras. Auch in der halben Stunde vor Behramis Platzverweis brachten die Eidgenossen kein Bein auf den Boden und erspielten sich keine Torchance. Das lag nur bedingt am schwachen Angriff um Frei und N'Kufo, sondern vielmehr an der ungemein lauffreudigen und kampfstarken Elf von Coach Marcelo Bielsa.

Alle Spieler waren permanent unterwegs, rochierten viel und stellten die Schweizer Abwehr immer wieder vor Probleme. Bezeichnend, dass neben Carmona und Isla mit Jara (10,75km) ausgerechnet ein Abwehrspieler die meisten Meter abspulte, obwohl die Dreierkette doch vermeintlich beschäftigungslos war.

Aber die Schweiz kann sich kaum Vorwürfe machen. Nach zugegeben verschlafener Anfangsphase wurde sie mit dem unberechtigten Platzverweis praktisch um die Möglichkeit gebracht, sich häufiger in der Offensive in Szene zu setzen. Mit zehn Mann wollte die Nati lieber einen Punkt sichern, als in Konter zu laufen.

Aber selbst die knappe Niederlage ist kein Beinbruch: Gewinnt man gegen Honduras mit zwei Toren Vorsprung, ist man auf jeden Fall im Achtelfinale dabei. Der Dank dafür geht ausgerechnet an Chile, das zu reihenweise Chancen kommt - nimmt man die bisherigen Partien zusammen, haben die Südamerikaner nun 42 Mal aufs Tor geschossen -, sich aber den Vorwurf gefallen lassen muss, dass es fahrlässig mit ihnen umgeht. Insbesondere Sanchez und Paredes hätten das Ergebnis gegen die Schweiz deutlicher gestalten müssen. Auch im ersten Gruppenspiel waren drei oder vier Treffer locker möglich.

Verliert Chile gegen Spanien, hätten drei Teams - Spaniens Sieg gegen Honduras vorausgesetzt - sechs Punkte, die Südamerikaner aber auf jeden Fall ein schlechteres Torverhältnis als die Schweiz. Ein Remis gegen Spanien wiederum würde sowohl Chile als auch Hitzfelds Team zum Weiterkommen reichen.

Reaktionen:

Ottmar Hitzfeld (Trainer Schweiz): "Es ist natürlich sehr bitter und schade, dass wir das Spiel nach großem Kampf verloren haben. Es war ein großer Nachteil, mit zehn Spielern verteidigen zu müssen gegen laufstarke und kampfstarke Chilenen. Mit einem Punkt wären wir natürlich sehr glücklich gewesen. Über den Schiedsrichter gibt es nicht viel zu sagen. Die einen sollen auf dem Fußballfeld pfeifen, die anderen am Strand."

Marcelo Bielsa (Trainer Chile): "Mir kam es so vor, als wären wir die ganze Zeit im Ballbesitz gewesen. Leider ist uns nur ein Tor gelungen. Wer auf diesem Niveau so lange mit einem Mann mehr spielen kann - da hätte die Partie anders ausgehen müssen. Aber am Ende war sogar ein Unentschieden möglich. Trotzdem denke ich, dass es am Ende ein verdienter Sieg war."

Mark Gonzalez (Chile): "Das ist fantastisch, was hier passiert ist. Was gibt es Schöneres, als zu gewinnen und das entscheidende Tor zu schießen. Jetzt können wir vom Achtelfinale träumen."

Der SPOX-Spielfilm:

Vor dem Anpfiff: Hitzfeld baut sein Team auf drei Positionen um: Von Bergen darf nach Senderos' Fußverletzung von Beginn an ran, Frei und Behrami melden sich zurück. Dafür müssen die Leverkusener Barnetta und Derdiyok weichen. Bei den Chilenen muss Bielsa den verletzten Valdivia ersetzen. Für ihn läuft der zuletzt angeschlagene Suazo auf, zudem spielt Jara links in der Dreierkette, Isla rückt deshalb für Millar ins Mittelfeld.

10.: Doppelchance für Chile: Vidal prüft Wolfsburg-Keeper Benaglio mit einem satten Schuss von links aus 20 Metern. Der Schweizer Keeper faustet den Ball aus dem Strafraum, dort steht zentral Carmona und zieht erneut ab. Wieder ist Benaglio zur Stelle und pariert zur Ecke. Diese bringt nichts ein.

31., Rot für Behrami: Krasse Fehlentscheidung des Schiedsrichters, der den Schweizer wegen eines vermeintlichen Ellbogenchecks gegen Vidal vom Platz stellt.

55.: Riesen-Bock von Grichting, der sich von Sanchez den Ball an der Strafraumgrenze abluchsen lässt. Der Angreifer stürmt von halbrechts auf Benaglio zu, aber der Wolfsburg-Keeper hält den Schuss ins lange Eck.

75., 1:0, Gonzalez: Valdivia schickt Paredes steil. Der Einwechselspieler geht auf rechts bis zur Grundlinie durch und bringt die Flanke über den herausstürmenden Benaglio in die Mitte. Am zweiten Pfosten steigt Gonzalez hoch und köpft den Ball per Aufsetzer ins kurze Eck.

89.: Nächster Hochkaräter! Paredes setzt sich gegen von Bergen durch, zieht nach innen und setzt den Ball aus neun Metern am Tor vorbei.

90.: Traumangriff der Schweizer: Bunjaku setzt Derdiyok mit der Hacke im Strafraum ein. Der Leverkusen-Stürmer kommt am Elfmeterpunkt völlig frei zum Abschluss, schiebt den Ball aber am linken Pfosten vorbei.

Fazit: Ein hochverdienter Erfolg der starken Chilenen, die der Schweiz nur eine echte Torchance gestatteten, sich selbst aber etliche gute Möglichkeiten erspielten. Der Sieg fiel fast noch zu niedrig aus.

Der Star des Spiels: Alexis Sanchez (SPOX-NOTE 2). Keine Frage, der Dribbler muss an seinem Abschluss arbeiten, in einigen Szenen hätte er früher abspielen können. Aber seine Eins-gegen-Eins-Stärke war auch gegen die Schweizer Gold wert, er übte permanenten Druck auf die Viererkette aus. Ziegler und Grichting hatten alle Hände voll zu tun, den Flügelstürmer einigermaßen in Schach zu halten.

Für die SPOX-User war Diego Benaglio der "Man of the Match"

Die Gurke des Spiels: Alex Frei (SPOX-NOTE 5). Dem Kapitän war seine mangelnde Fitness anzumerken. Klar, die Schweiz spielte nur eine halbe Stunde mit elf Mann. Aber auch in dieser Zeit kamen die Eidgenossen nicht einmal gefährlich in die Nähe des chilenischen Strafraums. Frei hatte nur eine Handvoll Ballkontakte, seine Pässe und Ballkontrolle waren mangelhaft - zu wenig für eine Schnittstelle zwischen Mittelfeld und Sturm. In der 42. Minute wurde Frei aus taktischen Gründen für Barnetta geopfert.

Die Pfeife des Spiels: Khalil Al Ghamdi. Der Saudi zückte in einer an sich fairen Partie schon in der ersten Hälfte vier Mal die Gelbe Karte. In der 31. Minute überspannte er den Bogen dann komplett, als er Behrami wegen einer vermeintlichen Tätigkeit Rot vom Platz schickte. Damit beeinflusste er das Spiel entscheidend, denn nach einer viel versprechenden Anfangsphase war der Rest des Spiels zerfahren. Eine weitere schlechte Schiedsrichterleistung bei diesem Turnier.

Analyse: Die Chilenen nahmen von Beginn an das Heft in die Hand und dominierten den Ball. Die Schweiz stand anfangs längst nicht so tief wie noch gegen Spanien, konnte ihre Angreifer bei eigenem Ballbesitz aber kaum in Szene setzen.

Die Südamerikaner verhinderten, trotz ihrer offensiven Spielweise, in Konter des Gegners zu laufen, weil gerade das Mittelfeld ein enormes Laufpensum abspulte. Mit ihrer quirligen Art und der schnellen und technisch sauberen Spielweise sind die Chilenen bislang durchaus zu den attraktivsten Teams des gesamten Turniers zu zählen.

Die Eidgenossen dagegen igelten sich vor allem nach dem Platzverweis hinten ein und hätten sich gut mit dem Unentschieden anfreunden können. In der Tat brachen sie zwischenzeitlich einen WM-Rekord, weil sie 559 Minuten in Folge kein Gegentor aus dem Spiel kassiert hatten.

Dass die Serie nicht weiter ausgebaut werden konnte, lag vor allem am nicht nachlassenden Offensivwirbel der Chilenen, dem sich die Schweiz irgendwann ergeben musste. Letztlich hatte sie sogar Glück, dass es nicht noch mehr Gegentreffer gab. Den alten Rekord hielt übrigens Italien, das zwischen dem 17. Juni 1986 und 3. Juli 1990 550 Minuten lang keinen Gegentreffer kassiert hatte.

Chile - Schweiz: Daten zum Spiel