Willkommen in der Realität: Die Probleme von Real Madrids Supertalent Eduardo Camavinga

Von Justin Kraft
Eduardo Camavinga wechselte 2021 von Stade Rennes zu Real Madrid.
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Eduardo Camavinga wird im Champions-League-Kracher zwischen Paris Saint-Germain und Real Madrid wohl keine große Rolle für die Königlichen spielen. Obwohl seine Saison gut begonnen hat, sitzt er jetzt häufig auf der Bank. Was ist passiert?

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Als Eduardo Camavinga im vergangenen Sommer bei Real Madrid vorgestellt wurde, hieß Florentino Perez den erst 18-Jährigen mit großen Worten willkommen: "Er hat sich von kleinauf darauf vorbereitet, ein großer Fußballer zu werden und eines Tages das Trikot von Real Madrid zu tragen", sagte der Präsident der Königlichen: "Ich hoffe, es ist der Anfang einer großen Karriere bei Real Madrid mit reichlich Erfolgen."

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Der Franzose wurde von mehreren Topklubs umworben, auch die Bayern sollen interessiert gewesen sein. Letztendlich entschied sich Camavinga aber für die Königlichen, die rund 30 Millionen Euro an Stade Rennes zahlten. Sein neues Trikot wiegt nicht nur deshalb schwer. Schon viele Talente scheiterten daran, ihr ganzes Potential zu entfachen. Druck, große Tradition, enorme Konkurrenz und eine Erwartungshaltung, die insbesondere für junge Spieler gefährlich sein kann.

Camavinga schien das alles zunächst aber kaum zu beeindrucken. Schon bei seiner Vorstellung hatte er durchgehend ein breites Lächeln im Gesicht. Und mit genau dieser Freude feierte er auch seinen Einstand: Am 4. Spieltag wurde er in der 66. Minute für Eden Hazard eingewechselt. Es dauerte keine sechs Minuten, da traf er erstmals für Madrid - wenn auch nur zum wenig bedeutenden 5:2-Endstand.

Real-Experte: "Er muss sich immer noch an Real gewöhnen"

Bedeutender war sein Auftritt drei Tage später in der Champions League: Gegen Inter Mailand kam er zehn Minuten vor dem Ende für Luka Modric. In der 89. Minute bekam er nach einem Tiefenlauf den Ball hoch zugespielt. Eine kleine Berührung mit dem Fuß reichte, um ihn zu Rodrygo weiterzuleiten. Der Brasilianer erzielte das goldene Siegtor.

Zwei Spiele, zwei Einwechslungen, zwei direkte Torbeteiligungen - ein Traumstart für Camavinga. Doch seitdem hat sich das Blatt gewendet. In 23 Einsätzen stand Camavinga lediglich neunmal in der Startelf, 858 Pflichtspielminuten sind im Kader nur Platz 17. An einem Tor war er seit seinem Assist gegen Inter nicht mehr beteiligt und die wenigsten seiner Einsätze dauern länger als 25 Minuten.

Der AS erklärte Carlo Ancelotti die Situation seines Spielers im Dezember wie folgt: "Er muss lernen und Erfahrung auf seiner Position sammeln." Und weiter: "Jeder Tag, an dem er mit Modric, Kroos und Casemiro trainiert, ist ein Plus für ihn."

Das sieht auch das Umfeld des Klubs so. Jorge Castro Picon ist Real-Madrid-Korrespondent für SPOX und GOAL. Er hat eine einfache Begründung dafür, dass Camavinga nicht so oft spielt: "Er muss sich immer noch an den Spielstil von Ancelotti und die Anforderungen bei Real Madrid gewöhnen. Er ist 19 Jahre alt und man erkennt deutlich, dass er Dinge verbessern muss."

Kroos, Modric, Casemiro: Kein Vorbeikommen für Camavinga

Vor allem "taktisch, technisch und in der Entscheidungsfindung" habe der Franzose noch viel Luft nach oben. Statistiken belegen das: Gerade im Passspiel ist Camavinga in nahezu allen Bereichen schwächer als seine namhafte Konkurrenz bei Real. Im Vergleich zu Toni Kroos (95), Luka Modric (74,7) und Casemiro (67,4) spielt er in der spanischen Liga nicht nur weniger Pässe pro 90 Minuten (64,6), sondern erzeugt mit diesen auch weniger Torgefahr.

Nur 4,04 seiner Zuspiele erzeugen hochgerechnet auf 90 Minuten einen vertikalen Raumgewinn von rund 10 Metern. Dass Kroos (10) und Modric (5,87) ihm hier überlegen sind, war absehbar. Aber auch Casemiro (5,2) ist hier vor ihm.

Es gibt zudem eine Statistik, die misst, wie oft ein Spieler an Aktionen beteiligt ist, die zu einem Schuss führen. Auch hier zieht Camavinga mit einem Wert von 1,6 pro 90 Minuten gegen Kroos (4,01), Modric (3,29) und Casemiro (2,15) klar den Kürzeren.

Camavingas Stärken helfen Real schon jetzt

Das ganz nüchterne Fazit lautet also: Das Supertalent ist noch nicht weit genug, um einem dieser drei Größen in Madrids Mittelfeld den Platz streitig zu machen. Doch Fakt ist auch, dass dieser Vergleich zum jetzigen Zeitpunkt aus mehreren Gründen nicht ganz fair ist. Zunächst ist da der Erfahrungs- und Altersunterschied zu nennen. Aber auch der Spielrhythmus ist entscheidend.

Camavinga hat aber auch jetzt schon Qualitäten, die andere im Kader so nicht haben. "Er ist sehr kraftvoll", sagt Picon: "Sein physischer Zustand ist unglaublich. Er ist ein guter Box-to-box-Spieler und hat die Fähigkeit, anderen den Ball wegzunehmen." Damit kann er Real Madrid schon jetzt helfen und es erklärt womöglich auch, weshalb er als Joker momentan wertvoller ist. Diese Power will in der Schlussphase eines Spiels niemand verteidigen oder bespielen müssen.

Seine Aggressivität lässt sich ebenfalls mit Zahlen belegen: Kein anderer bei den Königlichen setzt Gegenspieler so oft unter Druck wie Camavinga (30,9-mal pro 90 Minuten). Dieser Wert sucht sogar im europäischen Vergleich seinesgleichen. Selbst Dauerzweikämpfer Casemiro (17,2) ist hier weit hinter ihm.

In dieser Statistik unterliegt Modric Camavinga

Allerdings sollte diese Statistik nicht allein für sich stehen. Die Erfolgsquote des Brasilianers ist mit rund 40 Prozent nämlich deutlich höher als die des Neuzugangs (25 Prozent). Camavinga hat sich in dieser Saison trotz vieler Kurzeinsätze schon sechs gelbe Karten geholt. Manchmal übersteuert er und will zu viel. Dann bricht er aus dem taktischen Grundkonzept aus und öffnet Räume für den Gegner, die erfahrenere Spieler so nicht öffnen würden.

Es muss aber gar kein Nachteil sein, dass der 19-Jährige im Starensemble der Madrilenen noch keinen festen Platz gefunden hat. Gerade weil er viele verschiedene Qualitäten mitbringt, kann er von Ancelotti auch dann eingesetzt werden, wenn seine drei Konkurrenten im Mittelfeld spielen.

Insbesondere Camavingas Läufe mit Zug zum gegnerischen Tor sind fast immer brandgefährlich. Mit 2,98 versuchten Dribblings pro 90 Minuten und einer Erfolgsquote von 70,6 Prozent kocht er selbst Modric ab (2,24 und 68,8 Prozent).

Eduardo Camavinga
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Von Kroos und Modric lernen, um sie dann zu überholen

Was Camavinga jetzt am dringendsten braucht, sind Zeit und Geduld. "Er ist ein wirklich guter Junge und Real Madrid ist sehr glücklich mit ihm. Er versucht jeden Tag, sich zu verbessern und zu tun, was Ancelotti von ihm verlangt", sagt Real-Experte Picon: "Der Klub ist sicher, dass er mal einer der besten auf seiner Position wird."

So leichtfüßig der damals noch 18-Jährige in sein Abenteuer bei den Königlichen gestartet ist, so schnell ist er in der Realität angekommen. Trotzdem ist es für ihn ein guter Zeitpunkt, um sich bei Real Madrid nach und nach zu entwickeln.

Noch kann er von Kroos (32) und Modric (36) lernen. Gleichzeitig befinden sich beide aber in einem Alter, wo sie jedes Jahr neu bewerten müssen, wie lange sie ihre Karriere noch fortführen. Lange wird Camavinga demnach wohl nicht mehr warten müssen, bis sich einedie neue, große Chance für ihn ergibt.

 

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