"Ganz Europa ist auf Deutschland neidisch"

Von Interview: Haruka Gruber
Ivan Rakitic (M.) will sich mit dem FC Sevilla für den internationalen Wettbewerb qualifizieren
© Imago

Der Start beim FC Sevilla verlief sensationell, dann wurde Ex-Schalke-Star Ivan Rakitic von Schmerzen und teaminternen Problemen gestoppt. Jetzt kündigt er Großes an. Doch Spaniens Finanznöte könnte Folgen haben - und zu einem Wechel des kroatischen Nationalspielers führen...

Cookie-Einstellungen

SPOX: Sie kündigen an, dass Spanien in dieser Saison den "wahren Ivan Rakitic" sehen wird. Wie sieht denn der wahre Ivan Rakitic aus?

Ivan Rakitic: Wie der Rakitic in der Rückrunde 2010/11, direkt nach dem Wechsel von Schalke nach Sevilla. Ich war spielbestimmend, sehr effektiv - und saß nicht auf der Bank. Jetzt, nachdem mein Mittelfußbruch komplett verheilt ist und ich keine Schmerzen mehr spüre, bin ich überzeugt, eine super Saison zu spielen. Die Leistungen bei der EM machen mich zuversichtlich.

SPOX: Welche Probleme gab es im Vorjahr? Sevilla wechselte den Trainer, lag zwischendurch auf dem 17. Platz und beendete die Saison als enttäuschender Neunter. In den Wirrungen bestritten Sie zwar 36 von 38 Liga-Spielen, wurden jedoch 17 Mal nur eingewechselt.

Rakitic: Es war eine schwere Zeit und ich musste Erfahrungen machen, die ich vorher nicht kannte. Ich habe auf allen Ebenen sehr viel gelernt: über mich selbst und grundsätzlich über das Fußball-Geschäft. Es kam sehr viel zusammen. Ich verpasste wegen des Mittelfußbruchs die Vorbereitung und fand nicht in die Saison, parallel passte es im Team nicht. Die Hierarchie und die Stimmung stimmten nicht, es kamen viele Kleinigkeiten hinzu. Jetzt zeigt alles in die richtige Richtung. Es tut uns sehr gut, dass Michel unser Trainer bleiben durfte und seine Arbeit fortsetzen kann.

SPOX: Beim 2:1-Auftaktsieg gegen Getafe spielten Sie90 Minuten durch und gehörten mit einer Torvorlage und einem Lattentreffer zu den auffälligen Akteuren. Dennoch wird spekuliert, dass Sie noch abgegeben werden könnten.

Rakitic: Das Transferfenster wird erst am 31. August geschlossen, von daher gehört es dazu, den Kopf oben zu halten und sich alles anzuhören.

SPOX: Hamburg und Lokomotive Moskau mit Ihrem früheren kroatischen Nationalcoach Slaven Bilic fragten an. Am heißesten soll der Kontakt zu Spartak Moskau sein, das vom ehemaligen Valencia-Trainer Unai Emery trainiert wird. Sie wissen vom Interesse?

Rakitic: Ich weiß, dass ich nach meinem ersten Halbjahr in Spanien einen guten Ruf genieße, entsprechend ehrt mich das. Wobei ich betonen möchte, dass ich in Sevilla sehr glücklich bin und alles passt. Daher wäre es mir am liebsten, meinen Vertrag bis 2015 erfüllen zu können.

SPOX: Obwohl sich der spanische Fußball von Barca und Real Madrid abgesehen in einer wirtschaftlichen Notlage befindet und kaum mehr investiert wird?

Rakitic: Natürlich macht sich jeder Profi Gedanken. Dass so viele Spanier in die Bundesliga wechseln, ist kein Zufall. Dennoch glaube ich, dass die meisten Vereine ihre Lektion gelernt haben und sie auf dem Weg der Besserung sind. Auch wenn es mehr Abgänge als Zugänge gab: In der Primera Division ist weiterhin eine riesige Qualität vorhanden. Außerdem besitzt Spanien etwas, was man nicht kaufen kann: Hier wird der Fußball gelebt. Daran wird sich niemals etwas ändern.

SPOX: Dennoch die Nachfrage: Blickt Spanien neidisch auf die florierende Bundesliga?

Rakitic: Nicht nur Spanien, ganz Europa ist neidisch auf Deutschland. Wir traten im Sommer zu einem Test in Mönchengladbach an - und selbst bei einem Vorbereitungsspiel war es offensichtlich, wie viel weiter die Bundesliga-Klubs sind. So eine Organisation ist in Spanien undenkbar.

SPOX: Klingt, als ob Sie mit Wehmut auf die Bundesliga zurückblicken.

Rakitic: Ich habe die dreieinhalb Jahre auf Schalke genossen, daher ist die Bundesliga immer eine Option. Es wäre eine Ehre, irgendwann wieder in der Bundesliga zu spielen.

SPOX: Spanien hat Deutschland bei allen finanziellen Problemen jedoch eines aktuell voraus: Die Fähigkeit, wichtige Spiele zu gewinnen. Woran liegt das?

Rakitic: Jugendförderung ist in Spanien fest verwurzelt - und das seit vielen Jahren und in allen Sportarten. Von klein auf werden Talente durchgängig gefördert und mit einer Philosophie aufgezogen, die sich in allen Mannschaftssportarten erkennen lässt, egal ob im Fußball, im Basketball oder im Handball.

SPOX: Wie bewerten Sie aus der Entfernung die Diskussion um die fehlende Winner-Mentalität des DFB-Teams nach der EM?

Rakitic: Die Nationalmannschaft wird dem Land noch sehr viel Freude bereiten, sie ist noch lange nicht am Höhepunkt angelangt. In Spanien werden das DFB-Team, aber auch der FC Bayern und Dortmund sehr geachtet. Das kommt nicht von ungefähr.

SPOX: Kroatien hat eine starke EM gespielt und sich ebenbürtig mit Spanien und Italien gezeigt, trotzdem ist Ihr Team unglücklich in der Vorrunde ausgeschieden. Ist Kroatien auf dem Weg zu einer Topnation?

Rakitic: Um das sagen zu können, müssen wir es mal in ein Finale schaffen. So einfach ist das. Wir sind auf einem sehr guten Weg, das stimmt. Und wir machen sehr viel richtig. Gleichzeitig wäre es der größte Fehler zu glauben, dass wir schon etwas erreicht hätten, nur weil wir gegen Spanien und Italien gut aussahen. Die beiden Mannschaften standen im Finale, wir mussten vorzeitig in den Urlaub. Nicht aus Zufall, sondern weil wir zu viele Fehler begangen haben. Daher bin ich nicht zufrieden.

SPOX: Sie selbst überzeugten bei der EM - und waren dennoch die tragische Figur. Wäre Ihr Kopfball gegen Spanien nicht von Iker Casillas sensationell pariert worden, hätte womöglich Kroatien und nicht Spanien im Viertelfinale gestanden.

Rakitic: Ich brachte einige schlaflose Nächte hinter mich und analysierte die Szene sehr oft. Der Kopfball war nicht schlecht, allerdings war er nicht gut genug. Punkt. Das muss man so knallhart sagen. Ich bin sicher, dass ich ihn beim nächsten Mal reinmachen werde. Aber solche Erlebnisse wie gegen Spanien gehören zur Entwicklung dazu und machen mich stärker.

Ivan Rakitic im Steckbrief

Artikel und Videos zum Thema