Klopp-Biograf Raphael Honigstein im Interview: "Er ist mir noch sympathischer geworden"

Jürgen Klopp trainiert den FC Liverpool in der Premier League
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SPOX: Gibt es etwas, das Sie ihm auf keinen Fall zugetraut hätten?

Honigstein: Die Frage bekomme ich sehr oft gestellt. Es waren hunderte Details, die sich zu einem Gesamtbild zusammenfügten und oft etwas bestätigten, was ich schon ahnte und jetzt untermauern konnte. Wirklich überraschend war zum Beispiel die Anekdote, dass Klopp in seinem ersten oder zweiten Bundesliga-Jahr mit Mainz 05 in einer Firmenliga mitgekickt hat, wenn dort Spieler gebraucht wurden. Es war eine Internetfirma, in der Peter Krawietz aktiv war. Die Vorstellung, dass ein Bundesliga-Trainer auf einer Wiese ab und zu gegen Leute aus irgendwelchen Sparkassen spielt, hat schon was.

SPOX: Haben Sie vielleicht eine Anekdote für uns, die es nicht ins Buch geschafft hat?

Honigstein: Es gibt die Geschichte von seinem Junggesellenabschied, als er und ein paar Kumpels als Weihnachtsmänner verkleidet durch Mainz gezogen sind. Er war damals schon so bekannt, dass er eigentlich nicht weggehen konnte, deshalb die Verkleidung. Das wusste ich, aber nicht, was danach kam: Mir wurde gesagt, dass die Truppe dann nicht in einen Club kam: "Wir wollen keine zehn Weihnachtsmänner!" Aber das konnte ich leider nicht mehr sauber recherchieren.

SPOX: Hat sich das Bild von Klopp in England im Vergleich zu seinen Anfängen verändert? Sportlich wartet er ja noch auf den ganz großen Durchbruch.

Honigstein: Der Hype hat sich auf jeden Fall ein bisschen beruhigt, weil man merkt, dass es bei Liverpool vorangeht, aber nicht von null auf hundert. Er hat Liverpool eben nicht von einem Tag auf den anderen zu großen Titeln geführt und nach 20 Jahren wieder zur besten Mannschaft Englands gemacht.

SPOX: Und speziell bei den Liverpool-Fans?

Honigstein: Bei den Reds ist die Mehrheit der Fans und Entscheidungsträger im Verein immer noch schwer begeistert von ihm, die Stadt liegt ihm zu Füßen. Vielleicht war es in den ersten Jahren in Dortmund ähnlich, als es von Platz 13 auf sechs und dann auf fünf ging. Beim BVB hatte man das Gefühl: Hier passiert was. Aber von außen betrachtet hatte man im ersten Jahr die Europa League verpasst und danach knapp erreicht - damals hat ihn niemand zum besten Trainer Deutschlands gekürt. Jetzt steht er an einem ähnlichen Punkt: Man merkt, dass es funktioniert, aber dass er für ganz vorn noch Zeit braucht, vielleicht auch andere Spieler.

SPOX: Hat Klopp sich in seiner Zeit in England verändert?

Honigstein: Verändert ist das falsche Wort. Er musste lernen und lernt immer noch: Über den Fußball, über das Leben dort. Es hat sicher Zeit und Nerven gekostet, sich auf Dinge wie die fehlende Winterpause oder die andere Regelauslegung einzustellen. Ich glaube, da war er am Anfang schon ein bisschen frustriert. Aber er nimmt das an, geht damit um und kommt der Sache immer näher. Das ist ein normaler Prozess, wenn du ins Ausland gehst, das kenne ich auch von mir: Du musst Dinge automatisch anders machen und wirst dadurch auch ein anderer Mensch. Nicht im Hinblick auf den Charakter, aber man wird mit anderen Dingen konfrontiert, muss die Dinge anders angehen. Es ist ganz normal, dass er nicht so tun kann, als wäre er weiter in Dortmund und nur das Trikot hat eine andere Farbe.

SPOX: Wie sieht die Zukunft aus: Bleibt Klopp 20 Jahre in Liverpool?

Honigstein: Sein Vertrag wurde ja erst vor ein paar Monaten bis 2022 verlängert, das wären sieben Jahre. Ich könnte mir vorstellen, dass irgendwo im Hinterkopf der Gedanke da ist: Sieben Jahre Mainz, sieben Jahre Dortmund, sieben Jahre Liverpool - das wäre eigentlich ganz cool. Deswegen waren auch die Gerüchte über einen Wechsel zu Bayern total unglaubwürdig. Keine Chance, dass er im Sommer sagen würde: "Es war doch nicht so toll, ich geh' jetzt mal." Das wird in den nächsten Jahren ganz sicher nicht passieren.

SPOX: Und was wäre nach sieben Jahren Liverpool dran?

Honigstein: Ich vermute, dass nach drei erfolgreichen Zeiten bei solchen Vereinen - ich gehe davon aus, dass es auch in Liverpool erfolgreich wird - die nächste große Herausforderung eigentlich kein Verein werden kann, sondern eine Nationalmannschaft. Aber das ist nur meine These, die durch nichts Konkretes begründet ist.

SPOX: Von einem Bayern-Trainer Klopp sollte man sich also verabschieden?

Honigstein: Ich würde das nicht ausschließen, weil ich auch nicht glaube, dass er es zum jetzigen Zeitpunkt endgültig ausschließen kann. Wenn man seine bisherige Laufbahn anschaut, dann ist sie aber nicht dadurch gekennzeichnet, dass er schnelle Entscheidungen trifft und von einem Verein zum anderen springt.

SPOX: Was viele nicht wissen: Parallel zur Klopp-Biografie haben Sie auch noch ein Kinderbuch geschrieben: "Die größten Schätze aller Zeiten: Oder wie man Schätze verliert und wieder findet."

Honigstein: Das war eine lustige Geschichte, weil mich der Verlag vor dem CL-Finale in Berlin kontaktierte und mit mir über Ideen sprechen wollte. Zum Thema Fußball fiel mir damals nichts ein, aber mich faszinieren Schätze. Als Kind wollte ich eigentlich Archäologe werden. Es geht um Geschichten wie den Nibelungenschatz und El Dorado, aber es gibt auch einen Fußballschatz: der Coupe Jules Rimet, der erste WM-Pokal. Der wurde ja kurz vor der WM 1966 in England gestohlen und dann von einem Collie am Straßenrand gefunden, in Zeitungspapier eingewickelt. So war "Pickles" plötzlich der berühmteste Hund der Welt.

SPOX: Ist das nächste Buchprojekt schon in Arbeit?

Honigstein: Ja, im Mai erscheint die Autobiografie von Per Mertesacker. Der Titel - und das war seine Idee: "Weltmeister ohne Talent".

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