"Man muss im Fußball recherchieren"

Von Mark Zdunnek
Hajo Seppelt führte die ARD-Recherchen zu den Dopingmethoden des Londoner Arztes Dr. Bonar
© getty

Hajo Seppelt und die ARD-Dopingredaktion haben gemeinsam mit der Sunday Times die Dopingmethoden des Londoner Gynäkologen Dr. Mark Bonar recherchiert. Auch Spitzenfußballer aus der Premier League sollen unter den Klienten sein. Im Interview mit Omnisport spricht Seppelt über Lockvögel und Whistleblower und schätzt die Reaktion der angeblich betroffenen Klubs ein.

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Frage: Herr Seppelt, Großbritannien wird offenbar von einem flächendeckenden Dopingskandal, der zahlreiche Sportarten umfasst, erschüttert. Im Mittelpunkt des Skandals soll der Londoner Arzt Dr. Mark Bonar stehen. Wie lief die Recherche?

Hajo Seppelt: Die Sunday Times hat in Kooperation mit uns sechs Monate lang an der Geschichte recherchiert. Es gab mehrere Treffen der Undercover-Reporter mit einem Lockvogel, den wir gut kannten und empfohlen hatten, auf der einen Seite und Dr. Bonar auf der anderen Seite. Bonar hat sich nach meinem Eindruck um Kopf und Kragen geredet. Es sind natürlich nur Behauptungen, die er aufgestellt hat. Allerdings werden sie durch die Tatsache stark unterfüttert, dass er diese Substanzen unserem Lockvogel verschrieben hat.

Frage: Bonar soll beispielsweise das Wachstumshormon Genotropin und das männliche Sexualhormon Testosteron verschrieben haben...

Seppelt: Gekauft wurden diese Substanzen in der Apotheke direkt neben der Klinik. Am Gewinn war er offensichtlich auch noch beteiligt. Es handelt sich also um einen Mann, der Athleten mit Dopingmitteln versorgt. Ob er die Fußballer nun auch gedopt hat oder nicht, ist bisher nur eine Behauptung und kein Beleg. Allerdings erhärtet sich der Verdacht dadurch, dass er mit einem britischen Fitnesstrainer zusammengearbeitet hat.

Frage: Was er ebenfalls vor versteckter Kamera selbst zugegeben hat?

Seppelt: Genau. Der Fitnesstrainer hat Bonar Fußballer zugeführt und wir wissen, dass es sich dabei um prominente Fußballer gehandelt haben muss. Als wir Bonar und den Fitnesscoach nach dem Ende der Recherchen kontaktiert und um offizielle Stellungnahmen gebeten haben, distanzierten sich beide von ihren Aussagen. Bonar sagte plötzlich, dass er die Behandlungen nur für medizinisch notwendig erachtet und diese deshalb durchgeführt hat. Den Fitnesscoach kannte Bonar demnach gar nicht. Beide Aussagen stehen in einem elementaren Widerspruch zu dem, was sie uns vor versteckter Kamera gesagt haben.

Frage: Wie glaubwürdig schätzen Sie Bonar grundsätzlich ein?

Seppelt: Ich glaube, er hat sehr versucht, sein Business zu promoten und sich wichtig zu tun. Gleichzeitig hat er auch Insiderwissen preisgegeben und so gewirkt, als ob er wüsste, wovon er redet. Er hat auch einen Bluttest mit dem Lockvogel durchgeführt und diese Medikamente verschrieben, die auf der Dopingliste stehen. Er ist offensichtlich einer, der die Grenzen überschritten hat. Er ist natürlich auch aufgrund der Aussagen des Whistleblowers, der das Ganze ins Rollen gebracht und darauf hingewiesen hat, dass dieser Arzt Athleten und nicht nur ihn selbst gedopt hat, für uns sehr glaubwürdig.

Frage: Wusste die englische Anti-Dopingagentur UKAD von den Praktiken des Dr. Bonar? Beispielweise durch den Whistleblower?

Seppelt: Die UKAD wurde von ihm informiert, stufte dessen Infos aber nicht als glaubwürdig ein. Aus deren Sicht lag keine Verletzung der Anti-Doping-Regeln vor. Ich bin sicher, dass sie diesen Fehler jetzt bereuen. Dies muss im Nachhinein sehr kritisch betrachtet werden, da die UKAD dem Arzt ermöglicht hat, sein Nebengeschäft weiter zu betreiben. Die UKAD hat nun ein massives Glaubwürdigkeitsproblem und soll dennoch weiter die internationalen Kontrollen im dopingverseuchten russischen Sport durchführen. Sie ist auch vom IOC gebeten worden, weltweit alle Dopingkontrollen im Vorfeld der Olympischen Spiele von Rio zu koordinieren. Man sollte daher bezweifeln, dass die britischen Dopingbekämpfer derzeit die richtigen Leute für diese Aufgabe sind.

Frage: Unter den gedopten Fußballern sollen auch Spieler aus der englischen Premier League sein. Unter welchen Umständen würden Sie diese öffentlich machen?

Seppelt: Es sind im Rahmen der Aufnahmen mit der versteckten Kamera Namen genannt worden, bei denen es sich zum Teil um sehr bekannte Fußballer und Sportler handelt, die den meisten Fans weltweit bekannt sein dürften. Wir sind da sehr vorsichtig und werden keinen öffentlich anschwärzen, solange die Beweislage nicht eindeutig ist - und das ist sie in diesem Fall nicht. Es gibt Behauptungen eines Arztes, der offenkundig Dopingmittel verschreibt und sich in der Szene sehr gut auskennt. Ein anderer sagt, dass er Fußballer zu ihm geschickt hat. Die Indizienkette ist also schon sehr dicht. Doch das reicht aus unserer Sicht noch nicht aus, um Namen öffentlich zu nennen.

Frage: Spieler vom FC Arsenal, FC Chelsea und Tabellenführer Leicester City sollen beteiligt sein, die Klubs haben umgehend dementiert. Wie beurteilen Sie das?

Seppelt: Arsenal, Chelsea und Leicester haben gesagt, dass es keine Verbindungen zwischen den Vereinen und diesem Arzt gibt. Das mag ja sogar richtig sein. Es geht aber um die Frage, ob Spieler ohne Wissen der Vereine mit diesem Arzt zusammengearbeitet haben. Es gibt aus unserer Sicht durchaus Gründe, dies sehr stark anzunehmen.

Frage: Wie groß werden die Auswirkungen dieser Enthüllungen auf den Fußball sein?

Seppelt: Dopingenthüllungen schaden jedem Sport, aber sie sind nötig. Wenn es sie nicht gäbe, würde die Wahrheit über den Spitzensport nicht öffentlich werden. Dass Dopingrecherchen bisher einen ziemlich großen Bogen um den Fußball gemacht haben, ist richtig. Es ist deshalb längst an der Zeit, auch dort zu recherchieren. Diese Mosaiksteinchen, die sich jetzt langsam herausbilden, auch einmal in ihrem Zusammenhang deutlich zu machen, ist die Aufgabe von Dopingrecherchen. Es ist die Zeit für Ermittlungen durch Staatsanwälte, Anti-Doping-Einrichtungen oder Journalisten.

Frage: Bis heute hält sich ja hartnäckig die Behauptung, Doping im Fußball würde nichts bringen.

Seppelt: Dass der Fußball eine dopingfreie Zone ist, glaubt doch aber sowieso niemand mehr. Erst recht, wenn man sich damit ein wenig intensiver beschäftigt. Wenn man die heutigen Laufleistungen der Athleten mit denen vor 20, 30 oder 40 Jahren vergleicht, dann sind die Unterschiede zu extrem, um zu glauben, dass Doping keine Rolle spielen kann. Das ist eine reine Ablenkung von der Realität. Ich rede nicht von großflächigem Doping im Fußball. Doch aufgrund der Hinweise und Indizien kann ich mir nicht vorstellen, dass der Fußball ein Bereich ist, in dem Doping keine Rolle spielt - auch wenn manche das behaupten möchten.

Frage: Für Sie also ein reines Märchen?

Seppelt: Ja. Man muss schlichtweg wie in allen anderen Sportarten, bei denen Kraft und Ausdauer eine nicht unwesentliche Rolle spielen, davon ausgehen, dass Doping in Betracht gezogen wird. Ich erinnere an die Fälle von Juventus Turin und Olympique Marseille aus der Vergangenheit, wo es um EPO-Missbrauch wie im Radsport gegangen ist. Es ist also absolut nicht anzunehmen, dass ausgerechnet der Fußball ein Bereich ist, wo nicht das passiert, was in anderen Sportarten aber geschieht. Gleichwohl ist die Faktenlage nicht so ausgeprägt wie in anderen Sportarten.

Frage: Gibt es Anhaltspunkte, dass beispielsweise auch in der Bundesliga gedopt wird?

Seppelt: Wenn man es leistungsphysiologisch betrachtet, gibt es sicherlich Anhaltspunkte dafür. Fakten oder Hinweise, dass bestimmte Ärzte oder Leute aus dem Umfeld von Vereinen dopen, sind uns aktuell jedoch nicht bekannt.

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