Raketenstart ohne Landung

Von Benjamin Wahlen
Bei der WM 1998 stellte er einst sogar David Beckham in den Schatten - Michael Owen
© getty

Michael Owen galt als das größte Talent des englischen Fußballs nach Bobby Charlton und David Beckham. Jetzt hat er seine Fußballschuhe im Alter von 33 Jahren an den Nagel gehängt. Von Liverpool bis Stoke, von Träumen ohne Titel, von Twitter und Pferden - die ungewöhnliche Karriere des Michael O.

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Am 01. August 1996 betritt Michael Owen erstmalig die Bühne des bezahlten Fußballs. Roy Evans, der damalige Trainer des FC Liverpool, beruft den Stürmer im Alter von 16 Jahren aus dem Jugendinternat der Reds in die erste Mannschaft.

Sieben weitere Monate dauert es, bis Owen in seinem Premier-League-Debütspiel sein erstes Profi-Tor erzielt. Fortan gehört Owen zu den gefährlichsten Goalgettern der Liga, wird 1998 und 1999 Torschützenkönig in Englands höchster Spielklasse.

In den beiden Folgejahren führt er den FC Liverpool zu Titeln im UEFA-Pokal, dem FA-Cup und dem UEFA Super Cup. Owen wird 1998 zu Großbritanniens Sportler des Jahres und 2001 gar zu Europas Fußballer des Jahres gewählt.

Natürlich wird auch Nationaltrainer Glenn Hoddle schnell aufmerksam und beruft "St. Michael" im Februar 1998 erstmals in den Kader der englischen Nationalmannschaft, für die Owen im Mai 1998 zum ersten Mal trifft.

Auf den Zetteln Europas

Es dauert nicht lange, bis an der Anfield Road zahlreiche hochdotierte Angebote für Owen einlaufen.

Da sich der Stürmer in Liverpool aber sehr wohl fühlt und mit einem großzügigen Vertrag ausgestattet ist, gelingt es Real Madrid erst 2004 ernsthafte Wechselgedanken bei Owen zu wecken. Auch beim FC Liverpool besteht erstmals Handlungsbedarf. Der Vertrag des Top-Stürmers läuft noch genau ein Jahr. Wenn man mit Owen nicht verlängern kann, muss man ihn in diesem Jahr verkaufen, um noch eine Ablösesummer erzielen zu können.

Die besondere Verlockung für Owen: Real-Boss Florentino Perez will damals "die besten Spieler der Welt nach Madrid holen" und baut an einem "Galaktischen Team". In den vergangenen Jahren hatten sich bereits Weltstars wie Figo, Zidane, Ronaldo und Beckham für einen Wechsel zu den Königlichen entschieden.

Als auch Owen schwach wird, schickt Real zwölf Millionen Euro plus Antonio Nunez in die Beatles-Stadt und kann den nächsten Superstar im Santiago Bernabeu vorstellen.

Verantwortliche, Experten, Medien und Fans sind sich sicher: Einer mit zahlreichen Titeln gekrönten Welt-Karriere Owens steht nichts mehr im Wege.

Auf zu neuen Ufern

Am 14. August 2004 ist es dann soweit. Spaniens Rekordmeister Real Madrid stellt Michael James Owen nach dem obligatorischen Medizincheck im Bernabeu-Stadion vor.

Dass die Königlichen große Stücke auf ihre Neuverpflichtung halten, beweist auch die Vergabe der Rückennummer. Florentino Perez übergibt Owen stolz das Leibchen mit der 11 auf dem Rücken, die früher der legendäre Alfredo di Stefano trug.

Erstmals in seiner Karriere sieht sich Owen aber nun großer Konkurrenz gegenüber, muss um seinen Platz in der Mannschaft kämpfen - und verliert. Statt gegen Barca und Co zu spielen, ringt Owen mit Fernando Morientes um den Platz hinter Raul und Ronaldo, die damals in der Form ihres Lebens kicken. Auch wenn der Engländer meist nur von der Bank kommt, erzielt er immerhin 14 Tore in 36 Saisoneinsätzen.

Fehlstart und Rückkehr nach nur einem Jahr

Die Situation in Madrid scheint aussichtslos. Die "Galaktischen" setzen nicht mehr auf Owen, der sich zudem mit andauernden Problemen in den Oberschenkelsehnen auseinandersetzen muss. Owen will keine Zeit verlieren und weg aus Madrid, wo man ihm keine Steine in den Weg legt.

Gerade auf der Insel hat man ihn natürlich nicht vergessen, und so wechselt Owen, dem unter anderem auch ein Angebot des FC Liverpool vorlag, zu Newcastle United. Die Entscheidung für die Magpies trifft allerdings nicht Owen, sondern sein Arbeitgeber Real, der nur dem 25-Millionen-Euro-Angebot von Newcastle zustimmt. Für Owen ist alles besser, als weiter in Spanien zu bleiben.

Auch "daheim" fehlt das Glück

Zurück in England will Owen seiner furiosen Karriere einen Neustart verpassen und an seine Zeit bei Liverpool anknüpfen. Seine Pechsträhne folgt ihm aber aus Spanien bis in die Heimat. Erst fällt Owen wegen einer Fraktur am rechten Mittelfuß für einige Monate aus, dann folgt der bisherige Tiefpunkt seiner Karriere bei der WM 2006.

Nationaltrainer Sven-Göran Eriksson hatte Owen zuvor, vor allem aus Mangel an Sturm-Alternativen, seit längerer Zeit wieder in Englands Kader berufen. Schon in der ersten Minute des letzten Gruppenspiels gegen Schweden verdreht sich Owen das Knie und erleidet einen Kreuzbandriss.

Er verliert seine Spritzigkeit, ist nicht mehr schneller als seine Gegenspieler, leidet an häufigen Folgeverletzungen und kommt in seinen vier Jahren bei Newcastle nur zu 71 Ligaeinsätzen. Verlassen kann Owen sich dagegen immer auf seine Vollstrecker-Qualitäten und so erzielt er auch in dieser Zeit 26 Treffer.

Treffen der Generationen

Nach vier Jahren wird sein Vertrag bei den Magpies nicht verlängert, und der ablösefreie Owen ist wieder auf Vereinssuche. Bei Manchester United kann man einen erfahrenen Backup für Wayne Rooney gut gebrauchen, weshalb Trainer Alex Ferguson Michael Owens ins Old Trafford holt.

In den beiden Folgejahren muss sich Owen nun dem unterordnen, was er mal war: Wayne Rooney ist der aufstrebende Stern am englischen Fußballhimmel, begeistert Fans, Trainer und die Medien - ein Aufeinandertreffen der Generationen.

Owen selbst war immer Rooneys großes Vorbild: "Als Michael bei der WM 1998 das Tor gegen Argentinien machte, war er die größte Figur im Weltfußball. Ich kann mich erinnern, dass ich immer Owen sein wollte, wenn wir auf der Straße gekickt haben".

Das Vorbild hat seinen Zenit aber längst überschritten, hat den Kampf um ein Comeback aufgegeben und überlässt Rooney die Bühne.

Auch in Manchester wird Owen nach seinem Vertragsende nicht mehr benötigt und wechselt ein letztes Mal. Eine ungewöhnliche Karriere soll nun bei Stoke City zu Ende gehen, wo ein häufig verletzter und formschwacher Owen nie über die Reservistenrolle hinaus kommt.

Das Ende einer Reise

Im Frühjahr 2013 gibt Owen bekannt, dass er seine Fußballschuhe nach dieser Saison an den Nagel hängen wird. Fußballschuhe in denen einst Europas Fußballer des Jahres steckte. Schuhe, die Michael Owen durch die Stadien dieser Welt trugen und mit denen er bei der WM 1998 die Aufmerksamkeit einer ganzen Generation auf sich lenkte.

Der Beginn von Michael Owens Karriere glich einem Raketenstart, die erhoffte und erwartete Landung im Fußball-Olymp blieb aber aus. Seit seinem Wechsel im Jahre 2004 umgibt den Stürmer eine große "ewiges-Talent-was-wäre-wenn"-Blase", die Owen auch bis zu seinem letzten Spiel am 19. Mai 2013 nicht mehr zerstechen konnte.

Twitter und Pferde

Während seiner vielen Verletzungen entwickelte Owen zwei Leidenschaften abseits des Fußballs. Als einer der ersten Fußballer überhaupt, war er bei "twitter" sehr aktiv. Bis heute teilt er seine Gedanken, Gefühle und Erlebnisse mit seinen Fans und Followern. Teilweise bringt er es sogar auf über 20 Einträge pro Tag, postet Bilder von sich und seiner Familie, plaudert hin und wieder sogar mal Vereins-Interna aus.

"Viele von euch sagen, dass sie mir nicht böse sind, weil ich verletzt war, aber deswegen, weil ich gegangen bin, als wir abgestiegen sind", schrieb Owen zu seinem Weggang von Newcastle und erklärte: "Der Klub hat mir nie einen neuen Vertrag angeboten, obwohl sie in den Medien behaupteten, dass sie es getan hätten."

Seine zweite Leidenschaft teilt er sich mit Ex-Trainer Sir Alex Ferguson. Beide sind ausgesprochene Pferdenarren, haben eigene Ställe und investieren viel Geld in den Pferdesport. Owen führt sogar sein eigenes Pferdeunternehmen mitsamt Rennpferden und beschäftigt eigene Trainer. Sein Top-Pferd "Brown Panther" konnte neben weiteren Turniererfolgen 2011 sogar das hochdotierte und prestigereiche Rennen in Ascot gewinnen.

"Was habe ich verpasst?"

Eins war Owen nie: Miesepeter, Neider oder Missgönner. "Was wäre wenn" und "Was würden Sie ändern"- Fragen beantwortet er immer deutlich: "Ich bin einer der glücklichsten Menschen auf der Welt, habe für Liverpool, Real Madrid und Manchester United gespielt, habe in 89 Spielen für mein Land 40 Tore geschossen. Ich habe so viel Geld verdient, dass ich nie wieder arbeiten muss. Was habe ich verpasst?"

Die riesengroße Erwartungshaltung Englands hat Owen ohnehin nicht geteilt. Vielleicht ist das auch der Grund, warum er sich nie in die Sphären der großen Weltstars einreihen konnte und am Ende seiner Karriere auf nur wenige Titel zurückblicken kann.

In wie weit Owen dem Fußballsport erhalten bleibt, ließ er bisher unkommentiert. Zunächst wolle er sich noch intensiver dem Pferdesport zuwenden und das Fundament seines Reitstalls weiter ausbauen.

Eine spätere Rückkehr zum Fußball scheint aber nicht ausgeschlossen. Die Tore Englands werden dem sympathischen Jungen aus der Kleinstadt Chester jedenfalls immer offen stehen.

Michael Owen im Steckbrief