Vom Artisten wachgeküsst

Von Susanne Schranner
Die Spurs haben momentan allen Grund zu Jubeln - hier beim Auftaktsieg gegen Liverpool
© Getty

Nach vielen Jahren, in denen die Tottenham Hotspur nur selten mit grandiosen Leistungen überzeugen konnten, startete der Verein mit vier Siegen in die neue Saison und sieht die Konkurrenten plötzlich aus ungewohnter Perspektive - von oben.

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Juli 2009: Die Spieler der Spurs recken die Arme in die Luft, Kapitän Robbie Keane waltet seines Amtes und nimmt die Trophäe in Empfang. Ausgelassen wird gejubelt und gefeiert. Sogar Champagner fließt.

Dabei haben die Engländer nur die sogenannte Barclays Asia Trophy 2009 gewonnen, ein Turnier an dem Hull City, West Ham United und der chinesischen Super League Klub Beijing Guoan teilnahmen.

Zeit der großen Erfolge ist vorbei

Längst hat man gelernt, sich mit den kleinen Erfolgen zufrieden zu geben, denn die erfolgreiche Zeit Mitte des letzten Jahrhunderts ist längst Vergangenheit. Damals konnte man als erste britische Mannschaft den Europapokal der Pokalsieger gewinnen.

In der Gegenwart kommt der Verein aus dem oberen Mittelfeld der Premier League nicht heraus, bestes Saisonresultat der letzten Jahre war Platz fünf in der Saison 2006/07. Dazu kommt der Ligapokalsieg 2008.

Überraschung zum Saisonstart

Zum Saisonstart hatten die Klubchefs regelmäßig viel Geld in eine runderneuerte Mannschaft investiert, ein deutlicher Leistungsanstieg war jedoch auch mit Stars wie Berbatov, Modric oder Keane nie zu erkennen.

Auch diese Saison hatten sich die Fans wieder auf die alltägliche Tristesse im Mittelfeld eingestellt. Und obwohl die ganz große Transferakrobatik ausblieb, war der Saisonstart so gut wie schon lange nicht mehr.

Mit vier Siegen in vier Spielen stehen die Spurs momentan auf Platz zwei der Tabelle - gleich hinter Chelsea.

Die Tabelle der Premier League

"Artist" Redknapp verändert das Spiel

Die Spurs starteten furios in die neue Spielzeit. Mit einem 2:1 gegen den FC Liverpool warnte man die Liga bereits vor. Der Favorit wurde früh unter Druck gesetzt und in die Defensive gezwungen.

Selbst durch den zwischenzeitlichen Ausgleich ließ sich Tottenham nicht aus der Ruhe bringen, sondern blieb gefasst und angriffslustig. Coach Harry Redknapp hat es geschafft, seiner Mannschaft eine positive Einstellung einzuimpfen und ihr den Glauben gegeben, auch mit den Großen der Liga mithalten zu können.

Ihm bei seiner Arbeit zuzusehen sei "wie bei einem Artisten, der eine Reihe von großen Tellern auf langen Stäben balanciert", schrieb der "Guardian".

Souveränität geht verloren

Nach einem 5:1-Kantersieg gegen Hull City, in dem Jermain Defoe mit drei Toren begeisterte und der zwischenzeitlich sogar die Tabellenführung bedeutete, wurde es spielerisch wieder etwas ruhiger um den Klub.

Zwar konnte man sich mit zwei weiteren Siegen gegen West Ham United und Birmingham (jeweils 2:1) durchsetzen und auch im Ligapokal mit 5:1 gegen Zweitligist Doncaster gewinnen, jedoch verlor die Mannschaft in beiden Premier-League-Spielen die anfangs gezeigte Souveränität.

Wadenbeinbruch bei Modric

Überschattet wurde der glanzlose Sieg gegen Birmingham von einer schweren Verletzung von Spielmacher Luka Modric. Der Kroate wird den Spurs aufgrund eines Wadenbeinbruchs mindestens sechs Wochen lang fehlen.

"Es war kein allzu hartes Foul, aber es tat schrecklich weh und ich war mir noch im gleichen Moment sicher, dass irgendetwas kaputt war. Das schlimmste Gefühl ist, dass ich weiß, dass ich sowohl meinem Verein, als auch meinem Land eine Weile von der Seitenlinie aus zuschauen muss", so Modric über seine Verletzung.

Niko Kranjcar kommt als Ersatz

Nach Ledley King, Jonathan Woodgate, Michael Dawson, Heurelho Gomes und Jermaine Jenas vergrößerte sich das Lazarett im Kader somit auf bereits sechs Spieler.

Auch aufgrund dieser Tatsache entschlossen sich die Klub-Verantwortlichen, noch einmal auf dem Transfermarkt tätig zu werden und verpflichteten kurz vor Ende der Transferperiode Modric' Landsmann Niko Kranjcar. Der Mittelfeldspieler wechselte für rund drei Millionen Euro vom Ligakonkurrenten FC Portsmouth an die White Hart Lane.

Crouch: "Der Trainer hat einen Grund nachzudenken"

Freuen konnten sich die Fans auch über das erste Ligator von Peter Crouch für die Spurs. Der englische Nationalspieler hatte sich bereits bei seinen Kurzeinsätzen von der Bank und mit seinem Tor im Ligapokal gegen Doncaster für einen Einsatz von Beginn empfohlen.

Noch hat es dafür nicht gereicht, bei den bisherigen Leistungen des 2-Meter-Hünen wird Redknapp jedoch kaum um eine Nominierung für die Startelf herum kommen.

"Der Trainer hat mir gesagt, dass wir eine Menge Optionen im Spiel nach vorne haben und wenn etwas nicht läuft, kann ich Veränderung in die Partie bringen. Trotzdem würde ich natürlich lieber von Beginn an spielen und hoffentlich habe ich dem Trainer jetzt einen Grund gegeben, darüber nachzudenken", sagte der Stürmer.

"Redknapp macht einen wirklich guten Job"

Redknapp wird von den Fans gefeiert und auch Jamie Redknapp, ehemaliger Profi bei Tottenham und Sohn des Trainers lobt dessen Arbeit: "Er macht momentan einen wirklich guten Job."

Redknapp Junior geht sogar noch einen Schritt weiter: "Wenn er noch etwas mehr Zeit bekommt, kann er dem Team helfen, die Big Four zu stürmen."

Neues Selbstvertrauen bei den Spurs

Dementsprechend selbstbewusst gibt sich auch Crouch: "Es wäre eine Überraschung, wenn irgendjemand in die Big Four eindringt. Aber wenn es jemand schafft, dann wir."

Audere est Facere (lat.: Es zu wagen ist es zu tun) lautet passenderweise auch das Motto des Vereins. Bei so viel Selbstvertrauen kann in der Liga eigentlich nichts mehr schief gehen.

Die Großen der Liga kommen

Wie die Mannschaft den Ausfall von Modric kompensieren wird, bleibt abzuwarten. Die nächsten Gegner werden den zeigen, wohin der Weg der Spurs in dieser Saison führt. Denn diese lauten: Meister Manchester United und Chelsea.

Sollte man auch diese Partien gewinnen, werden an der White Hart Lane vielleicht schon bald ganz andere Trophäen in die Luft gestemmt.

Wo landen die Spurs am Ende? Der Tabellenrechner zur Premier League