"Anders als alle anderen, die wir je hatten": Gedion Zelalem war ein Supertalent beim DFB und bei Arsenal - heute spielt er in der 2. niederländischen Liga

Von Ryan Tolmich / Patrik Eisenacher
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Gedion Zelalem schien einst für die Weltspitze bestimmt. Auf dem Weg dorthin ging für den ehemaligen deutschen Junioren-Nationalspieler jedoch eine Menge schief.

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Sommer 2014. Die New York Red Bulls empfingen in einem Testspiel den FC Arsenal, es sollte Thierry Henrys letztes Spiel werden. Der Franzose erhielt naturgemäß den lautesten Applaus von den Fans. Abgesehen von Henry hieß der Spieler, der die meiste Aufmerksamkeit auf sich zog, Gedion Zelalem. Ein Talent, das vielen auch aus dem FIFA-Karrieremodus bekannt sein dürfte.

Zelalem war damals gerade 17 Jahre alt und ein aufstrebender Star der Arsenal-Akademie. Er stand im Mittelpunkt eines Nationen-Tauziehens zwischen Äthiopien, Deutschland und den Vereinigten Staaten. An diesem Tag gab es in der Red Bull Arena Schilder, die ihn aufforderten, sich für die US-Nationalmannschaft zu entscheiden. Auch der DFB wollte ihn für seine U-Auswahlteams.

Als Deutschland am vergangenen Samstag die USA 3:1 schlug, stand Zelalem, heute 26 Jahre alt, aber bekanntlich weder auf der einen noch auf der anderen Seite im Kader. Einst war er ein hoch angesehenes Talent bei Arsenal, ein deutscher Jugendnationalspieler und von den USA begehrt.

Was ist also aus Gedion Zelalem geworden, dem einstigen Toptalent und künftigen Arsenal-Star, der damals als der nächste Cesc Fàbregas gehandelt wurde?

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Gedion Zelalem: Start in Berlin bei der Hertha

Der in Berlin als Sohn äthiopischer Eltern geborene Zelalem erlernte das Fußballspielen in Deutschland und spielte schon in jungen Jahren in der Nachwuchsabteilung von Hertha BSC. 2006, im Alter von neun Jahren, kam er mit seinem Vater dann in die USA, nachdem seine Mutter im Jahr zuvor verstorben war. Er zog in die Region von Washington und etablierte sich schnell als aufsteigender Stern.

In dieser Zeit entdeckte ihn der ehemalige Arsenal-Außenverteidiger und damalige Scout Daniel Karbassiyoon, der die Gunners davon überzeugte, dem jungen Amerikaner eine Chance zu geben und ihm ein Probetraining anzubieten. Daraus wurde schnell der feste Verbleib in London.

"Es war surreal", sagte Zelalem 2019 MLSSoccer.com. "Ich habe die Spieler der ersten Mannschaft gesehen, ich war beeindruckt. Ich sah Arsène Wenger und war überwältigt. Ich konnte meinen Augen nicht trauen. Ich dachte, ich würde in einem Film leben."

Zelalem war ein Gunner, und er schien für große Taten bereit zu sein.

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Früher Durchbruch beim FC Arsenal

Zelalem spielte zunächst in der U17-Auswahl Arsenals, wechselte aber schon im April 2013 zur U21, obwohl er erst 16 Jahre alt war. Im Juli 2013 trainierte Zelalem dann sogar mit den Profis auf der Asienreise, was angesichts seiner mangelnden Erfahrung überraschend war.

Zu diesem Zeitpunkt begannen die Vergleiche. Die Erwartungen an den jungen Mittelfeldspieler, der als der nächste Fàbregas gehandelt wurde, waren hoch. "Er ist ein Spieler mit einem guten Auge und einer guten Technik. Dazu ist er sehr beweglich", sagte Wenger 2014 gegenüber Sports Illustrated. "Er will den Ball immer zurückerobern. Er ist also die Art von Spieler, die für die Vereinigten Staaten von Nutzen sein könnte. Er ist in gewisser Weise der Spielertyp, der den USA bei der Weltmeisterschaft gefehlt hat."

Der Franzose führte aus: "Er ist ein potenzieller Nationalspieler, ganz sicher. Aber in den nächsten zwei oder drei Jahren wird er zeigen müssen, dass er die mentalen Qualitäten hat, um dieses Potenzial auszuschöpfen. Das ist es, was für ihn jetzt auf dem Spiel steht. Wenn er körperlich wächst - er ist ja schlank - und seine Mentalität weiterentwickelt, hat er das Potenzial, ein Top-Profi zu werden."

Bei Arsenal stieg er weiter auf und stand im September jenes Jahres im Profikader, durfte dann auf der Bank sitzen - bevor eine unglückliche Verletzung sein mögliches Debüt in der Premier League verzögerte. Im folgenden Jahr kam er erstmals für die Profis zum Einsatz, als er Alex Oxlade-Chamberlain beim FA-Cup-Sieg gegen Coventry City ersetzte.

Wenig später unterzeichnete er dann auch einen neuen Vertrag in Nordlondon. Seine Zukunft auf Vereinsebene war geklärt, aber die Gerüchte über seine Länderspielkarriere begannen gerade erst.

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Deutschland und die USA werben um Gedion Zelalem

Es gibt nur wenige Dinge, die US-amerikanischen Fußballfans mehr Spaß machen, als vermeintliche Wunderkinder vorherzusagen. 2014 war das schwieriger als heute, wo einige US-Stars in den besten Vereinen der Welt spielen.

Die amerikanischen Fußballfans waren begeistert von der Vorstellung, dass ein bei Arsenal ausgebildeter Star ihr Mittelfeld für die nächsten Jahre anführen würde. Aus diesem Grund wurde von dem Moment an, als Zelalem auf der Bildfläche erschien, das volle Programm aufgefahren.

Dabei hatte Deutschland aber noch die Oberhand. Nachdem er bereits das Angebot aus Äthiopien abgelehnt hatte, spielte Zelalem von 2012 bis 2013 mehrfach für die deutschen Jugendmannschaften. 2012 trainierte er bereits mit der U15-Nationalmannschaft der USA, durfte aber nicht spielen - da er zwar ein US-Einwohner, aber noch kein Staatsbürger war.

Diese Möglichkeit eröffnete sich jedoch 2014, als bestätigt wurde, dass sein Vater beabsichtigte, die US-Staatsbürgerschaft zu beantragen, die aufgrund des Child Citizenship Act von 2000 auch für seinen Sohn gelten würde. Im Sommer 2014, an jenem Tag in der Red Bull Arena, hielt sich Zelalem jedoch bedeckt: "Im Moment versuche ich nur, in die erste Mannschaft von Arsenal zu kommen", sagte er. "Es sind beides großartige Länder. Die USA sind auf dem Vormarsch. Deutschland ist bereits ein großartiges Land. Für welches Land ich mich auch entscheide, es wird eine gute Wahl sein."

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Arsenal verleiht Gedion Zelalem

Im Dezember 2014 wurde dann bekannt, dass Zelalem die US-amerikanische Staatsbürgerschaft angenommen hatte. Kurz darauf gab Sunil Gulati, der damalige Präsident des Verbands, bekannt, dass man sich um Zelalem kümmern werde.

Im Jahr 2015 wurde Zelalems Status schließlich bestätigt, als er trotz seines Alters von nur 18 Jahren mit der U20-Nationalmannschaft an der U20-Weltmeisterschaft 2015 teilnahm. In dem damaligen Sommer bestritt er fünf Spiele, die USA kamen bis ins Viertelfinale. "Gedion ist einfach der technisch versierteste Spieler, den ich je in der Jugendnationalmannschaft hatte", sagte der ehemalige U20-Nationaltrainer Tab Ramos. "Er ist sehr gut am Ball und kann sich aus Schwierigkeiten befreien. Ich habe damals jemanden gesehen, der wirklich etwas Besonderes war und anders als alle anderen, die wir je hatten."

Nach zwei Einsätzen für Arsenal in den Jahren zuvor wurde Zelalem 2015/16 an die Rangers ausgeliehen, da die Gunners mehr Körperlichkeit in seinem Spiel sehen wollten. Im Jahr darauf wechselte er zu VVV Venlo in die Niederlande, wo er im Offensivbereich reifen konnte. Zwischenzeitlich wurde er auch mit Borussia Dortmund in Verbindung gebracht. Zelalem war ein aufsteigender Stern, und die Welt schaute zu.

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Eine Verletzung mit Folgen

2017 sollte Zelalem seine zweite U20-Weltmeisterschaft spielen. In jenem Sommer stand er an der Spitze eines US-Teams, zu dem auch die künftigen WM-Teilnehmer Tyler Adams, Cameron Carter-Vickers, Josh Sargent und Luca de la Torre gehören sollten. Doch leider war das Turnier für Zelalem zu Ende, bevor es begonnen hatte.

Am 22. Mai riss sich Zelalem im ersten US-Spiel gegen Ecuador (3:3) in der 34. Minute das Kreuzband. Damit war das Turnier für Zelalem beendet und ein langer Weg der Genesung begann.

Zelalem hatte große Probleme mit der Blessur. Einige Monate nach seiner vermeintlichen Genesung teilte ihm ein Spezialist mit, dass er eine zweite Operation benötigen würde.

Es sollte fast anderthalb Jahre dauern, bis Zelalem wieder für die Jugendmannschaft Arsenals auf dem Platz stand. Im Frühjahr 2019, als sein Vertrag nur noch wenige Monate lief, durfte Zelalem die Gunners ablösefrei verlassen. Er entschied sich für Sporting Kansas City und die MLS.

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Gedion Zelalem: Keinen Erfolg in der MLS

Zelalem verbrachte die nächsten vier Spielzeiten in den USA. Der Mittelfeldspieler kam in der ersten Saison neunmal zum Einsatz. Doch Sporting KC entschied sich schließlich, seinen Vertrag nach der Saison 2019 nicht zu verlängern.

Danach landete Zelalem bei New York City FC. In seiner ersten Saison erhielt er nur einen einzigen MLS-Einsatz. 2021 und 2022 lief das einstige Supertalent 20-mal auf, ohne jedoch sonderlich zu begeistern.

Nach der Saison 2022 löste NYCFC Zelalems Vertrag auf, weil dieser sich nicht weiterentwickelt hatte.

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Woran scheiterte Gedion Zelalem?

Der Zeitpunkt, an dem sich Zelalems Karriere zum Schlechten wendete, lässt sich genau bestimmen: der Tag, an dem sein Kreuzband riss. Damals wurde er noch von einigen großen europäischen Vereinen gescoutet. Auch wenn er nie bei Arsenal spielen würde, schien es so, als ob Zelalem für große Dinge bestimmt war.

Und dann kam diese U20-Weltmeisterschaft. Nach seiner schweren Knieverletzung war Zelalem nie mehr derselbe und konnte sich nie zu dem Spieler entwickeln, der er hätte sein können.

Dennoch ist nicht alles auf diese eine Verletzung zurückzuführen. Im Nachhinein zeigt sich, dass es einige Aspekte in Zelalems Spiel gab, die ihn wahrscheinlich daran gehindert hätten, ein Weltklasse-Mittelfeldspieler zu werden. Er verfügte weder über die körperliche Präsenz, um als defensiver Mittelfeldspieler zu spielen, noch über die nötige Disziplin und Schnelligkeit.

Auf der anderen Seite fehlte ihm aber auch die Kreativität und der Torriecher, um eine erstklassige Nummer 10 zu werden.

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Gedion Zelalem: Hoffnung für die Zukunft

Dennoch ist dies kein Nachruf auf Zelalems Karriere. Nein, der Mittelfeldspieler ist immer noch auf dem Weg in den Profifußball. In den letzten Jahren hat er endlich das gefunden, was ihm all die Jahre gefehlt hatte: Er blieb verletzungsfrei und fand einen Verein, der auf ihn zählt.

Am Deadline Day des Wintertransferfensters 2023, dem 31. Januar, unterschrieb Zelalem bei Den Bosch in der zweiten niederländischen Liga, wo er inzwischen so etwas wie ein Stammspieler ist.

"Wir wollten die Auswahl im Mittelfeld ein wenig vertiefen. Gedion ist ein Spieler, der Qualität und Erfahrung in mehreren Bereichen mitbringt", sagte der technische Direktor des Vereins, Yousuf Sajjad, ein ehemaliger Arsenal-Scout. "Gedion hat bereits in den Niederlanden gespielt, als er in jungen Jahren von Arsenal ausgeliehen wurde. Seitdem hat er sich als Mensch und als Spieler weiterentwickelt."

Der 26-jährige Zelalem könnte in dieser Saison zum zweiten Mal in seiner Karriere die Marke von 1.000 Spielminuten überschreiten, nachdem er in der Eerste Divisie bereits in allen neun Spielen des Vereins zum Einsatz kam. Am 4. Oktober bestätigte der Verein, dass die Option auf eine Vertragsverlängerung mit Zelalem bereits gezogen wurde und er somit bis 2025 an den Verein gebunden ist.

Es mag nicht so gelaufen sein, wie viele erwartet hatten, denn Zelalem spielte am Ende weder für Arsenal noch für Deutschland oder die USA. Aber er versucht es weiterhin und scheint endlich an einem Ort zu sein, an dem er seine Karriere nach all den Jahren wieder aufbauen kann.

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