Cristiano Ronaldo ist zurück: Seine Nominierung könnte für Portugal ein schlimmer Fehler sein

Von Mark Doyle
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Cristiano Ronaldo ist eine lebende Legende. Aber gehört der 38-Jährige wirklich noch in Portugals Nationalmannschaft?

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Dass Cristiano Ronaldo weiterhin in der portugiesischen Nationalmannschaft spielt, ist keine Überraschung. Eine der ersten Amtshandlungen des neuen Trainers Roberto Martínez war schließlich ein Treffen mit dem Superstar in Saudi-Arabien.

Der Spanier war von Anfang gewillt, Ronaldo in seine Pläne Richtung EM 2024 einzubeziehen. Einige andere Kandidaten auf den nach der WM vakanten Trainerposten sollen zu diesem Thema eine andere Meinung gehabt haben.

Die Frage ist nun, ob Ronaldo in der neuen Ära der Seleccao noch eine Hauptrolle einnehmen soll.

Angesichts der Qualität der Gegner in dieser Woche - Portugal empfängt am Donnerstag Liechtenstein und reist am Sonntag nach Luxemburg - ist es wahrscheinlich egal, wer in der Startelf steht. Portugal dürfte beide Partien problemlos gewinnen.

Objektiv betrachtet kann der Stoßstürmer der Portugiesen im Moment allerdings nur Gonçalo Ramos heißen.

Gonçalo Ramos: Der aufgehende Stern am Stürmerhimmel

Ronaldo mag noch in Saudi-Arabien seine Tore markieren. Ramos aber glänzt auf einer ungleich größeren Bühne. Zuletzt schoss der Benfica-Star seine Mannschaft mit einem Doppelpack gegen Club Brügge ins Viertelfinale der Champions League.

Insgesamt hat er in dieser Saison 24 Tore in 36 Spielen für die beeindruckende Mannschaft von Roger Schmidt erzielt. Mit seinen 21 Jahren ist Ramos die Zukunft des portugiesischen Fußballs. Um ihn sollte die prächtig besetzte Offensive Portugals künftig aufgebaut werden.

Nicht zuletzt die Weltmeisterschaft hat dies auf beeindruckende Weise bewiesen. Nachdem er Ronaldo im Achtelfinale gegen die Schweiz in der Startformation abgelöst hatte, lief Ramos mit einem Dreierpack heiß. Drei Tore in einem K.o.-Spiel, das war zuvor in Portugal einzig dem legendären Éusebio gelungen - im Jahr 1966.

Ramos lieferte auch noch einen Assist und das alles, nachdem er vor dem Spiel in Lusail nur 33 Minuten Länderspielerfahrung gesammelt hatte.

Auch große CR7-Fans dürften da realisiert haben: Der Stern ihres Idols verblasst, während ein neuer aufgeht.

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Die zerstörte Beziehung zwischen Ronaldo und Santos

Eine Runde weiter gehörte Ramos auch zu jener Truppe, die gegen das Überraschungsteam aus Marokko den Kürzeren zog. Die Hauptrolle in Doha nahm aber trotzdem Ronaldo ein. Nach dem Abpfiff des Spiels im Al-Thumama-Stadion stürmte er in den Tunnel und lieferte eine letzte Kostprobe der Gereiztheit, die er bereits in den Wochen zuvor zur Schau gestellt hatte.

Vor allem der Kollaps der Beziehung zwischen dem Torjäger und Trainer Fernando Santos sorgte in Portugal für große Überraschung. Bezeichnend: Ronaldo war einer der wenigen Spieler, die sich nach der Entlassung nicht öffentlich beim langjährigen Erfolgscoach bedankten.

Ronaldos Schweigen zum Abschied seines Trainers kam überraschend. Santos hatte dem Angreifer während seiner Amtszeit stets eine lange Leine und viel Einfluss gewährt. Man denke nur an Ronaldos Auftritt als Assistenztrainer während des erfolgreichem EM-Endspiels 2016 gegen Frankreich.

Zeitweise hieß es, dass Santos und sein Kapitän so eng zusammenarbeiteten, dass Ronaldo ein Mitspracherecht bei der Zusammenstellung des Kaders hatte.

Ronaldo: Bankdrücker im Verein und in der Nationalelf

Zu Beginn der Endrunde in Katar war das Verhältnis zumindest in der Öffentlichkeit noch intakt. Santos setzte auf Ronaldo und bot ihn sogar im letzten Gruppenspiel gegen Südkorea, als Portugal bereits das Ticket für das Achtelfinale gelöst hatte, auf. Alle anderen Leistungsträger dagegen bekamen eine Verschnaufpause. Und warum? Weil Ronaldo immer spielen, Tore schießen und Rekorde brechen will. Eben so, wie er es während seiner gesamten Laufbahn getan hat.

Diesmal aber lagen die Dinge anders. Nach zwei unterdurchschnittlichen Auftritten gegen Ghana und Uruguay war offensichtlich, dass dem Routinier Zeit zum Durchatmen eigentlich gut getan hätte. Santos setzte offensichtlich zudem darauf, dass Ronaldo sich nach einigen Wochen auf der Bank von Manchester United in Form spielen würde.

Stattdessen wurde dieser nur noch schlechter und trug sogar zum Ausgleichstreffer Südkoreas im Education City Stadium bei. Die Entscheidung von Santos, ihn Mitte der zweiten Halbzeit auszuwechseln, wirkte wie ein Akt der Barmherzigkeit.

Doch Ronaldo sah das ganz und gar nicht so. "Ihr habt es immer so verdammt eilig, mich auszuwechseln", sagte er zu sich selbst, als er das Spielfeld verließ.

Santos, der die TV-Aufnahmen nicht gesehen hatte, verteidigte zunächst seinen Kapitän. Doch nachdem sein Sohn ihm das Video per WhatsApp übermittelt hatte, reagierte er auf die einzige Art und Weise, die ihm möglich war: Er setzte Ronaldo auf die Bank.

Verdienste statt Leistungen

In gewisser Weise hatte Ronaldos Aufmüpfigkeit Santos einen Vorwand geliefert, den angeschlagenen Stürmer rauszunehmen. Und sein Nachfolger Martínez hätte das unbefriedigende WM-Ende nun nutzen können, dem Ronaldo-Zirkus in der Nationalmannschaft endgültig ein Ende zu setzen.

Der ehemalige belgische Nationaltrainer erklärte öffentlich, dass er bei der Kaderzusammenstellung "nicht auf das Alter achtet". Das ist fair. Wenn man gut genug ist, sollte das Alter ja auch keine Rolle spielen.

Es war jedoch bezeichnend, dass Martínez, nachdem er Ronaldo erstmals berufen hatte, die "Erfahrung" des 38-Jährigen hervorhob und nicht dessen Qualitäten als Torjäger.

Das blieb in der portugiesischen Presse nicht unbemerkt. Zum ersten Mal in seiner Karriere macht es den Anschein, dass es Ronaldo mehr wegen seiner früheren Leistungen als wegen seiner aktuellen Fähigkeiten in Portugals Aufgebot geschafft hatte.

Sowas soll in der Vergangenheit schon vorgekommen sein. Dann meist mit dem Ziel, dass der routinierte Ex-Star den Mentor für seine jüngeren Nachfolger gibt. Dass diese Rolle CR7 jedoch nicht liegt, war zuletzt bei ManUnited gut zu beobachten.

In den letzten Jahren gab es vermehrt Stimmen, die meinten, Portugal spiele ohne Ronaldo besseren Fußball und sei im Angriff nicht so statisch. Für Ronaldo dagegen sprach immer noch, dass er seine Gegenspieler in Furcht und Schrecken versetzte. Dieser Faktor ist nun abhanden gekommen.

Vielmehr hat die WM gezeigt, dass Bruno Fernandes der neue Anführer dieser Mannschaft ist.

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Bruno Fernandes: Portugals neuer Leader

In der Tat gab es innerhalb der portugiesischen Mannschaft zwei Grüppchen: Ronaldos kleiner Freundeskreis und der Rest der Mannschaft, angeführt von Fernandes und Unterstützern um Ruben Días und Bernardo Silva.

Die Frage ist nun: Wie benimmt sich Ronaldo, wenn er auf und neben dem Platz keine Hauptrolle mehr einnehmen soll? Martínez Hoffnung dabei scheint klar: Ronaldo fügt sich, die EM 2024 bringt das Happy End und Ronaldo kann in den Sonnenuntergang reiten.

Ronaldo ist ebenfalls immer davon überzeugt, einen weiteren Titel für sein Land holen zu können. Er war aber auch davon überzeugt, dass ihm die europäischen Spitzenklubs nach dem provozierten Abgang von ManUnited die Türe einrennen.

Das passierte bekanntermaßen nicht und CR7 reagierte, indem er sensationell die Zusammenarbeit mit seinem langjährigen Berater Jorge Mendes beendete - weil der nicht in der Lage gewesen war, einen Transfer zu Chelsea oder Bayern München zu organisieren.

Respektlosigkeit gegenüber Cristiano Ronaldo?

Ronaldo beharrt darauf, dass er nicht nur der beste Spieler Portugals, sondern der Welt ist. Er betonte das noch vor einigen Wochen im Rahmen seiner Vorstellung bei Al-Nassr. Damit einher geht auch das Selbstverständnis, stets zu spielen. Neben sportlichen gibt es aber auch noch wirtschaftliche und politische Faktoren. Ronaldos Bedeutung für den portugiesischen Verband (PFF) ist riesig. Eine Mannschaft mit dem fünfmaligen Ballon-d'Or-Sieger ist immer besser zu vermarkten!

In dem Zuge muss man sich allein die Tatsache vor Augen führen, dass Ricky Regufe, Ronaldos Berater und ehemaliger Nike-Manager, 20 Jahre lang als Berater Teil der Nationalmannschaft war.

Es geht jedoch nicht nur um Macht, sondern auch um Respekt. Eiserne Ronaldo-Fans verteidigen ihr Idol tapfer in den Sozialen Netzwerken und auch Ronaldos Schwester und seine Lebensgefährtin Georgina Rodriguez posten munter drauflos, wenn ihnen Entscheidungen gegen CR7 nicht passen.

Diese Nebenkriegsschauplätze im Seifenopernstil sind vielen Anhängern ein Dorn im Auge. Nüchterne Diskussionen sind kaum möglich. Stellt man Ronaldos Form infrage, beschmutzt man gleich das Lebenswerk eines der besten Spieler aller Zeiten. Dieses Schwarz-Weiß-Denken vergiftet die Atmosphäre und macht es Mitspielern und Trainern nicht leichter.

Ronaldo wird zurecht verehrt nach allem, was er für seine Nationalmannschaft und sein Land geleistet hat. Aber irgendwann kommt der Zeitpunkt, an dem es weitergehen muss.

Martínez hat sich dagegen entschieden, zumindest vorläufig. Und diese Entscheidung könnte seine gesamte Amtszeit bestimmen.

EM-Qualifikation: Die Spiele am Donnerstag

UhrzeitHeimGast
16 UhrKasachstanSlowenien
20.45 UhrItalienEngland
20.45 UhrNordmazedonienMalta
20.45 UhrDänemarkFinnland
20.45 UhrSan MarinoNordirland
20.45 UhrPortugalLiechtenstein
20.45 UhrBosnien-HerzegowinaIsland
20.45 UhrSlowakeiLuxemburg
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