Odyssee in Vietnam, gestrandet auf den Färöer-Inseln: Der aufwühlende Karriereweg von Ex-Bundesliga-Profi Kevin Schindler

Von Dennis Melzer
Kevin Schindler im Trikot von Werder Bremen in der Bundesligasaison 2007/08.
© imago images

Kevin Schindler galt einst als Bremer Nachwuchshoffnung, spielte in der U-Nationalmannschaft gemeinsam mit etlichen späteren Weltmeistern. Sesshaft wurde er während seiner Karriere nur selten, erlebte teils kuriose Abenteuer am anderen Ende der Welt. Mittlerweile arbeitet er - dank eines Zufalls - als Co-Trainer auf den Faröer Inseln - SPOX und Goal erzählt er seine Geschichte.

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Hugo Almeida verlieh seiner Dankbarkeit Nachdruck, indem er gleich beide Arme ausstreckte und beide Zeigefinger auf den heranstürmenden Hünen mit den kurzen blonden Haaren richtete. Akustisch untermalt wurde die Szenerie von einem lauten Dröhnen, das Dröhnen eines Nebelhorns. Werder Bremen war soeben im Rückspiel des UEFA-Cup-Achtelfinals vor heimischer Kulisse gegen Celta Vigo in Führung gegangen.

Nachdem der Stadionsprecher Torschütze Almeida abgefeiert hatte, zollte er auch dem Vorlagengeber über die Lautsprecher Respekt: Kevin Schindler, der erst wenige Minuten zuvor eingewechselt worden war und erstmals überhaupt für die SVW-Profis auf dem Platz stand, hatte den wichtigen Treffer mit einer punktgenauen Flanke eingeleitet. "Ich wurde damals ins kalte Wasser geworfen, im positiven Sinne", erinnert er sich 13 Jahre danach im Gespräch mit SPOX und Goal. "Die erste Halbzeit gegen Celta Vigo lief nicht so gut. Als der Trainer zu mir sagte: 'Kevin, mach Dich warm', gingen mir viele Dinge durch den Kopf. Nervosität war auf jeden Fall da. Aber am Ende haben wir 2:0 gewonnen, das war ein genialer Abend."

Ein genialer Abend, der in vielen Werder-Anhängern die Hoffnung nährte, dass Schindler, das verheißungsvolle Eigengewächs, sich für höhere Aufgaben empfohlen hatte, vielleicht sogar langfristig für Freude am Osterdeich sorgen könnte. Es kam anders. Nach einer Saison im Kreise des Profi-Teams, in der Schindler es auf insgesamt 69 Minuten, verteilt auf vier Bundesliga-Spiele brachte, verließ er die Hansestadt und heuerte leihweise in einer anderen an: Rostock.

Dort entwickelte sich der damals 20-Jährige prächtig, wettbewerbsübergreifend standen nach 35 Einsätzen sechs Tore sowie 14 Vorlagen zu Buche. Trotz der formidablen Leistungen und der ansprechenden Zahlen fand Werder nach Schindlers Rückkehr aber keine Verwendung für den Offensivmann.

Kevin Schindler spielte in Deutschland unter anderem für Werder Bremen und den FC St. Pauli.
© getty
Kevin Schindler spielte in Deutschland unter anderem für Werder Bremen und den FC St. Pauli.

Schindler: Scheitern in Bremen "kann ich mir nicht erklären"

"Das kann ich mir bis heute nicht erklären", sagt Schindler und schiebt nach: "Es wurde mir klar gesagt, dass ich nach dem Jahr bei Hansa als gestandener Spieler zurückkehren soll. Es war unerklärlich, dass Bremen mich stattdessen ein zweites Mal verleihen wollte." Bezüglich seiner guten Bilanz bei Rostock erklärt er: "Unter heutigen Gesichtspunkten wären das für einen jungen Spieler sicherlich keine schlechten Zahlen. Ich wäre gerne bei Werder geblieben, bin dann aber weiter zum FC Augsburg."

In der Fuggerstadt sei es Schindler zufolge besonders im ersten halben Jahr "nicht so gut" gelaufen. Obwohl seine junge Karriere zu jener Zeit einen ersten kleinen Knick erfuhr, wurde Schindler regelmäßig in die deutsche U21-Nationalmannschaft berufen. In der DFB-Auswahl trainierte und spielte der gebürtige Delmenhorster an der Seite heutiger Superstars und Weltmeister wie beispielsweise Toni Kroos, Mats Hummels, Mesut Özil, Manuel Neuer, Jerome Boateng oder Thomas Müller.

"Es war schon abzusehen, dass diese Jungs es weit bringen werden", sagt Schindler. "Dadurch, dass ich bei Bremen nicht allzu viele Spiele gemacht hatte und andere schon etliche Bundesliga-Einsätze und internationale Erfahrung gesammelt hatten, war das für mich eine tolle Erfahrung." Neuer, Hummels und Co. seien "einfach viel präsenter" gewesen, dementsprechend habe er selbst auch zu seinen Nationalmannschaftskollegen aufgeschaut.

Schindler: "Ich dachte mir nur: 'Wow ...'

"Ich kann mich noch an einen Moment erinnern: Thomas Müller war bei der U21 zum ersten Mal eingeladen, wir saßen gemeinsam am Tisch. Ein paar Stunden, nachdem er angereist war, hieß es, er müsse zur A-Nationalmannschaft. Ich dachte mir nur: 'Wow, welch großen Stellenwert einige Spieler schon haben und wie schnell es manchmal gehen kann, ist schon Wahnsinn!'" Knapp ein Jahr später wurde ebenjener Müller Torschützenkönig in Südafrika, 2014 stemmte er gemeinsam mit vielen Ex-Mitspielern Schindlers den WM-Pokal in den Nachthimmel von Rio de Janeiro, während Schindler selbst sich beim FC St. Pauli auf die anstehende Saison vorbereitete.

"Ich habe mich damals extrem für die Jungs gefreut", sagt Schindler. "Es ist cool zu sehen, dass man mit einigen von ihnen zusammen auf dem Platz gestanden und trainiert hat." Wehmütig sei er mit Blick auf den großen Erfolg seiner einstigen Kollegen nicht: "Der eine hat eben mehr Glück, der andere weniger. Der eine hat eben mehr Talent, der andere weniger. Klar wäre es schön gewesen, dabei zu sein oder eine größere Karriere hinzulegen. Aber ich reflektiere das Erlebte jeden Tag - und das macht mich nicht traurig." Schindler sollte fortan eben noch so einiges erleben.

Nach drei Jahren: Schindler verlässt FC St. Pauli

Zur Saison 2014/15 wurde das dreijährige Kapitel bei Pauli geschlossen, Schindler zog es zu Wehen Wiesbaden. "Das hatte verschiedene Gründe. Ich war recht häufig verletzt, einige Trainer- und Managerwechsel haben sicherlich auch eine Rolle gespielt. Es gab andere Vorstellungen und dann wurde nicht mehr mit mir geplant", begründet er den Wechsel, der ganz offenkundig nicht von ihm initiiert wurde.

"Jeder Spieler, der schon einmal bei Pauli gespielt hat, weiß, was dort abgeht. Ich konnte mich mit dem Verein zu hundert Prozent identifizieren und habe mich unheimlich wohl dort gefühlt", schwärmt er rückblickend. "Ich würde sagen, dass es heute kaum noch möglich ist, sich derart mit einem Verein zu identifizieren. Es ist sehr selten, dass ein Spieler mehr als zwei oder drei Jahre bei einem Klub bleibt."

Schindlers Ziel: die USA, genauer gesagt Cincinnati. Beim zweitklassigen Cincinnati FC blieb er nur eine halbe Saison, absolvierte lediglich acht Pflichtspiele. Er blieb dennoch zunächst in den Staaten: "Ich habe in den USA gelebt und dort auch meine jetzige Freundin kennengelernt. Nach meiner Zeit in Cincinnati bin ich viel gependelt." Schindler hatte nach seinem ersten Auslandsintermezzo aber längst noch nicht genug vom Fußball.

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