Boca-Hooligan Rafael Di Zeo: Der Pate in der Pralinenschachtel

Von Dennis Melzer
Rafael Di Zeo ist der berüchtigtste Hooligan Argentiniens.
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Rafael Di Zeo ist der berüchtigtste Hooligan Argentiniens. Ein Krimineller, der verehrt wird wie ein Star - und Kontakte nach ganz oben hat.

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"Das Leben ist wie eine Schachtel Pralinen - man weiß nie, was man kriegt", philosophierte der gleichermaßen sympathische wie trottelige Forrest Gump einst auf seiner Holzbank. Ein Zitat, das Filmgeschichte schrieb und auf die eine oder andere Situation sicherlich zutreffen mag. Es gibt allerdings eine ganz besondere Pralinenschachtel, bei der man sehr wohl weiß, was man bekommt.

Das Estadio Alberto Jacinto Armando, Heimstätte der Boca Juniors, das den meisten Menschen unter dem Namen "La Bombonera" (die Pralinenschachtel) geläufiger sein dürfte, steht für Fußball-Fanatismus, unverwechselbare Fankultur, herausragende Stimmung - kurz gesagt für Leidenschaft, die ihresgleichen sucht. Es steht aber auch für Gewalt, für Korruption. Kriminalität, die den argentinischen Fußball immer wieder in ein dunkles Licht hüllt.

Ein Protagonist dieser Schattenwelt ist La Doce, die größte Hooligan-Gruppierung des Hauptstadtklubs: La Doce, zu deutsch die Zwölf. In Anlehnung an den zwölften Mann, für den sich Fußball-Fans aufgrund ihres Engagements und der unermüdlichen Unterstützung auf den Rängen traditionell symbolisch halten. Das Kollektiv ist aber nicht nur der zwölfte Mann auf der Tribüne, sondern hat auch außerhalb des Stadions erheblichen Einfluss, mischt sich erfolgreich in politische Prozesse ein, ohne eine ideologische Agenda zu verfolgen. Die einzige Marschroute, die die berüchtigte Barrabrava, so werden argentinische Fan-Bewegungen mit Hang zur organisierten Kriminalität genannt, verfolgt, ist Gewinnmaximierung.

"Der Hauptunterschied zu den europäischen Hooligans ist wahrscheinlich, dass diese sich wegen menschlicher Idiotien prügeln, weil der andere eben für einen anderen Klub ist", sagte Gustavo Grabia, Redakteur bei der Sportzeitung Ole, vor mehr als zehn Jahren in einem Interview mit dem österreichischen Fußballkultur-Magazin Ballesterer. 

"In Argentinien gibt es ebenfalls traditionelle Rivalitäten, doch bei der Gewalt im großen Stil geht es praktisch immer um Geschäfte", erklärte Grabia weiter und schob nach: "Ein schönes Beispiel für diese Verbindung ist das Verhalten der Barrabravas von Boca in den 80er-Jahren. Einmal unterstützten sie mit Transparenten und Schlachtgesängen die Radikalen, das nächste Mal waren sie für die Peronisten, einmal für die Menem-Leute, das nächste Mal für deren Gegner. Von Konsequenz keine Spur, außer in die Richtung, von wo gerade die Scheine angeweht kamen."

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Rafael Di Zeo führte La Doce an die Macht

La Doce erinnert in seinen Strukturen tatsächlich viel mehr an ein Unternehmen als an einen Fanklub, der ein paar seiner selbstkreierten T-Shirts, Schals oder Mützen an die Frau oder den Mann zu bringen versucht, um die Finanzierung der nächsten Choreo zu gewährleisten. La Doce kontrolliert den Ticketverkauf, streicht Schutzgeld bei der Verteilung von Parkplätzen rund um das Stadion ein. Wer nicht bereit ist zu zahlen, der müsse angeblich um sein Gefährt fürchten. Auch der Drogenhandel auf der Tribüne wird von den Mitgliedern reguliert. Spieler und Funktionäre treten gerüchteweise viel Geld ab, um von den Boca-Hooligans mindestens geduldet zu werden.

Diese unterstanden jahrelang einem Mann, ohne dessen Schaffen es nie zu einer derartigen Entwicklung bei Boca gekommen wäre: Rafael Di Zeo, der von argentinischen Medien nicht selten mit dem Paten, also der fiktiven Filmfigur Don Vito Corleone verglichen wird. Di Zeo kommt zwar nicht mit schickem Anzug samt Rose im Knopfloch daher, sondern zeigt sich gern in Boca-Trikot, -Polo oder -Trainingsanzug. Ganz abwegig ist der Vergleich mit dem Mafiaboss allerdings nicht, denn Di Zeo hat absolut nichts gemein mit dem Bild des prügelnden, pöbelnden, biertrinkenden Fußball-Prolls.

Vielmehr fühlt sich der mittlerweile 57-Jährige bei der Hautevolee wohl. Früher arbeitete er als Angestellter der Stadt Buenos Aires und war mit einer Polizistin zusammen, mit der er im noblen Apartment seiner Mutter wohnte. Sein Stammlokal sei das El Corralon in Puerto Madero gewesen, heißt es. Eines der teuersten Restaurants der ganzen Stadt.

Ein Lebemann, der aber immer wieder ins Visier der Behörden geriet. 2003 wollte die Polizei den Boca-Anführer beispielsweise festnehmen, machte sich auf den Weg zu dessen Wohnung. Di Zeo, vermutlich von den Nachbarn vorgewarnt, entkam mit einer spektakulären Flucht-Aktion, indem er sich an Bettlaken aus dem zehnten Stock zum nächsten Balkon seilte und dann Etage für Etage hinunterkletterte.

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50.000 Pesos, 10.000 gefälschte US-Dollar und zwei Revolver

Belastendes Material war er auf die Schnelle allerdings nicht mehr losgeworden. So fanden die Polizisten in Di Zeos Wohnung 50.000 Pesos in Bar, 10.000 gefälschte US-Dollar sowie Fake-Ausweise und zwei geladene Revolver. 45 Tage musste Di Zeo dafür ins Gefängnis, zudem wurde er mit einem landesweiten Stadionverbot sanktioniert, das nur wenige Tage nach seiner Freilassung aufgehoben wurde. Seine Rückkehr in die Bombonera wurde von den Medien derart hochstilisiert, als habe Diego Armando Maradona, der übrigens ein gutes Verhältnis zu Di Zeo pflegt, höchstselbst sich die Ehre gegeben, in sein altes Wohnzimmer zurückzukehren.

Doch, wie kam es dazu, dass Di Zeo eine derart steile Karriere bei den Barrabravas hinlegte? Jahrzehntelang hatte Jose Barrita alias "El Abuelo", der wiederum seinen Vorgänger Quique "El Carnicero" unter Androhung von Gewalt abgelöst hatte, die Geschicke bei La Doce geleitet. Barrita, dessen Spitzname auf Deutsch "Großvater" bedeutet, sorgte hauptsächlich aufgrund von Konflikten mit verfeindeten Barrabravas für Furore.

Vor allem die Rivalität zwischen La Doce und den führenden Hooligan-Gruppen von Stadtkonkurrent River Plate schaukelte sich unter Barritas Ägide weiter hoch. Erst als die Brüder Rafael und Fernando Di Zeo das Vertrauen des Alten gewannen, mehr und mehr in die Chefriege vordrangen, änderte sich die Ausrichtung. La Doce entwickelte sich weiter, avancierte vom Zusammenschluss plumper Krawallmacher zu einem wirtschaftlich denkenden Konstrukt.

Neben Verstrickungen in Drogenhandel und Erpressung bat Di Zeo beispielsweise eine Art Kurs für andere Fanclubs an, in dem gelehrt wurde, wie man den eigenen Verein bestmöglich unterwandern kann. Kolumbianer kamen, ebenso mexikanische Hooligans. Selbst die als rechtsextrem geltende Ultra Sur von Real Madrid reiste nach Südamerika, um sich wertvolle Tipps bei La Doce abzuholen. Di Zeo verglich seine zweifelhafte Bildungseinrichtung mit einer der elitärsten Universitäten überhaupt: "Boca ist das Harvard in der Welt der Barra."

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