Boca-Hooligan Rafael Di Zeo: Der Pate in der Pralinenschachtel

Von Dennis Melzer
Rafael Di Zeo ist der berüchtigtste Hooligan Argentiniens.
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1994 wurde Barritas Ende eingeläutet. Im Zuge eines Angriffs von La-Doce-Mitgliedern auf einen Kleinbus waren zwei River-Plate-Fans getötet worden. Gleich sechs Boca-Hooligans wurde im Anschluss der Prozess gemacht, alle erhielten Haftstrafen. Auch Barrita, der während der Tat nicht vor Ort war, aber zu den Initiatoren des Ganzen gezählt haben soll, wurde zur Rechenschaft gezogen und musste ins Gefängnis. Freie Bahn für die Regentschaft Rafael Di Zeos, der das Zepter mit Barritas Verschwinden an sich riss und in der Folge gute Beziehungen zu hochrangigen Personen aus Politik, Sport und Wirtschaft pflegte.

"Früher war es schon so, dass man sich in der Hierarchie nach oben prügeln musste", weiß Ole-Journalist Grabia. "Heute läuft das über politische Seilschaften. Wer in diesem Bereich geschickt agiert, steigt auf. Wenn Di Zeo sich damit brüstet, alle Telefonnummern der Macht zu haben, dann sagt er absolut die Wahrheit. Ich habe seine Agenda mit eigenen Augen gesehen. Da bleibt einem die Spucke weg, auf welche Ebenen dieser Mann Zugriff hat. Es kommt nicht von ungefähr, dass es so schwierig ist, ihn einer Strafe zuzuführen."

Di Zeo zählte in Buenos Aires bald zur lokalen Prominenz. Boca-Fans sicherten sich Autogramme, machten Selfies mit dem La-Doce-Chef. Selbst Polizisten und andere Justizbeamte ließen sich mit ihm ablichten. Zu Heimspielen kam er nur noch in Begleitung dreier Bodyguards. Weil bei Barrabravas oftmals nicht nur Hooligans anderer Klubs zu den Rivalen zählen, sondern innerhalb der eigenen Reihen erbittert um die Vorherrschaft auf der Tribüne gestritten wird.

Wie schnell diese verlorengehen kann, musste auch Di Zeo feststellen. Stets hatte er sich mit allen möglichen Tricks um langjährige Gefängnisstrafen winden können, 2007 wurde ihm allerdings ein Ereignis aus dem Jahr 1999 zum Verhängnis. Damals hatte er im Rahmen eines Freundschaftsspiels Fans der gegnerischen Mannschaft Chacarita brutal angegriffen. Di Zeo wurde zu vier Jahren und drei Monaten verurteilt. Doch der Boss der "Zwölf" musste im Knast nicht darben. Boca-Spieler schenkten ihm einen Plasma-Fernseher für die Zelle, einige besuchten ihn, darunter auch Stürmer-Star Martin Palermo.

Nach drei Jahren wurde Di Zeo vorzeitig entlassen. Selbstverständlich drängte der langjährige "Pate" zurück in die höchste Position. Dort hatte es sich allerdings mittlerweile Mauro Martin bequem gemacht, der unter keinen Umständen bereit war, seinen Platz freiwillig zu räumen. Vielmehr entwickelte sich das Buhlen um Macht zu einem brutalen Krieg zwischen Di Zeo und Martin. Weil in den Medien ein Bild auftauchte, das Martin dabei zeigte, wie er die linke Hand zur Pistole formte und mit der rechten Hand die Kopf-ab-Geste in Richtung Di Zeos machte, wurden beide präventiv von Heimspielen ausgeschlossen.

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Carlos Tevez stößt mit Rafael Di Zeo an

Ein Jahr später kam es zur endgültigen Eskalation, als Di-Zeo-Treue auf einer Autobahn in Richtung Rosario auf Martin und seine Mannen trafen. Die Gruppen stiegen aus, beidseitig mit einem beträchtlichen Waffenarsenal ausgerüstet. Es wurde geschossen, fünf Menschen teils schwer verletzt. Darunter auch Martin, der einen Bauchdurchschuss erlitt und ins Krankenhaus eingeliefert wurde. Es war der Höhepunkt eines gewaltsamen Streits. Im Anschluss an die Vorkommnisse wurden die beiden Anführer häufig gemeinsam in der Kurve gesehen. Wie sie Arm in Arm jubelten.

Im März 2016 wurde der langjährige Boca-Superstar Carlos Tevez mit dem Vorwurf konfrontiert, sich bei den Hooligans der "Zwölf" anzubiedern. Grund dafür war ein bei Twitter aufgetauchtes Gruppenfoto, das den ehemaligen ManUnited- und Juventus-Angreifer gemeinsam mit einigen hochrangigen Mitgliedern zeigte.

Auch Di Zeo und Martin waren mit von der Partie, stießen mit Tevez an. "Das Foto ist keine Fälschung", gestand Tevez damals im Gespräch mit FOX, relativierte aber: "Ich habe aber keine Beziehung zu den Barras. Ich war mit ihnen zusammen, kurz nachdem ich zu Boca gekommen war. Sie haben mich gefragt, ob ich mit zu dem Haus eines Kumpels kommen kann, um ein paar Fahnen zu unterschreiben."

Boca-Präsident Daniel Angelici spielte das Foto ebenfalls herunter.  Das sei "entstanden, weil er sicherlich eine Menge Events hatte", begründete der Juniors-Boss halbherzig. Ein paar Monate später gelangten heikle Aufnahmen an die argentinische Presse. Di Zeo sprach über einen "Pakt bis in den Tod", den er angeblich mit Angelici geschlossen habe. "Er setzt uns ein und wir setzen ihn ein", hieß es in der geleakten Tonspur. Außerdem würden nur er selbst, sein Bruder Fernando und Mauro Martin mit dem Präsidenten sprechen.

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Krawalle vor dem Finale der Copa Libertadores 2018

Zwar kam der Krieg zwischen Di Zeo und Martin zum Erliegen, die Gewalt im argentinischen Fußball schrieb jedoch erst Ende vergangenen Jahres ein nächstes trauriges Kapitel. Im Finale der Copa Libertadores trafen die Boca Juniors ausgerechnet auf den verhassten Kontrahenten River Plate. Der Mannschaftsbus war gerade auf dem Weg zu El Monumental, dem Stadion der Millonarios, wo das Rückspiel ausgetragen werden sollte.

Plötzlich wurde er von River-Plate-Anhängern attackiert. Steine flogen, ließen Scheiben bersten. Tränengas drang ins Innere. Aus der Gästekabine drangen später schockierende Bilder an die Öffentlichkeit. "Ich kann nicht mehr sehen, ich brenne", war von einem Spieler zu hören, andere hatten mit Schnittwunden zu kämpfen. Zunächst wurde der Anstoß um eine Stunde verschoben, kurz darauf entschied man, am nächsten Tag spielen zu lassen. Weil die Boca Juniors sich weigerten, folgte zunächst die Absage.

Was also tun, um den Wettbewerb abzuschließen? Der südamerikanische Verband guckte sich das 10.000 Kilometer entfernte Madrid als Ersatz-Austragungsort aus. Um der Gewalt, der Korruption aus dem Wege zu gehen. Viele werteten den Schritt ins Santiago Bernabeu als Einknicken vor den kriminellen Kräften im eigenen Land. Kritiker der Kommerzialisierung des Fußballs sahen sich bestätigt, brachte das kurzfristige Brimborium der Stadt Madrid einen ordentlichen Batzen Geld ein. Di Zeo, eigentlich auf einer Liste von 800 Menschen geführt, die nicht nach Madrid reisen durften, mietete sich ein Hotelzimmer in bester Madrider Lage.

Eine Richterin hatte das Verbot gestürzt, weil keine Rechtsgrundlage bestehe, Di Zeo nicht in die spanische Hauptstadt reisen zu lassen. Nur ein Zufall oder ein weiteres Beispiel, wie unterwandert die Behörden in Argentinien von einflussreichen Hooligans sind? Das Leben ist wie eine Schachtel Pralinen - und in der berühmtesten aller Pralinenschachteln weiß man sogar, was man kriegt: Kriminelle an den Hebeln der Macht. 

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