Jogi oder doch die Türkei?

Von Benjamin Sehring
Baris Özbek wechselte 2007 von Rot-Weiss Essen zu Galatasaray Istanbul
© Imago

Baris Özbek ist einer von wenigen deutschen Spielern im Ausland - und er ist erfolgreich. Doch als Stammspieler von Galatasaray sind seine Chancen bei Jogi Löw nur gering. Riskiert der DFB, ein Toptalent zu verlieren?

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Es gibt da diesen Auftritt von Baris Özbek, Ende März im "Aktuellen Sportstudio". Schüchtern saß er im grellen Scheinwerferlicht und erzählte von der im Juni stattfindenden U-21-Europameisterschaft.

Der 22-Jährige erklärte, warum er sich für den DFB entschied und warum Deutschland die EM gewinnen wird. Die Zuschauer in Mainz klatschten begeistert, Özbek grinste über beide Backen.

Sein erster großer TV-Auftritt in seiner Heimat sollte vorerst das letzte sein, was die breite deutsche Öffentlichkeit von dem Jungen aus Castrop-Rauxel hörte. Denn nachdem ihn Moderator Wolf-Dieter Poschmann zielsicher mit "Vielen Dank, Herr Ötztürk" verabschiedete, erlebte Özbek die bisher größte Enttäuschung in seiner Karriere: Er wurde nicht für die U-21-EM nominiert.

Feldkamp: Özbek muss Thema bei Löw sein

"Wer bei Galatasaray spielt und damit auch europäisch unterwegs ist, der muss auch Thema in der deutschen Nationalelf sein. So arrogant dürfen wir nicht sein. Denn so gut sind wir nicht", macht sich Karl-Heinz Feldkamp bei SPOX für den Spieler stark.

Der 75-jährige Coach holte Baris Özbek zusammen mit dessen Kumpel Serkan Calik 2007 von Rot-Weiss Essen zu Galatasaray - trotz einiger Gegenstimmen im Verein. Aber die verstummten schnell.

Özbek kam zwar als deutscher Zweitligaabsteiger zum türkischen Spitzenverein, doch gleich in seiner ersten Saison gelang ihm der Durchbruch und hinter Abwehrlegende Servet Cetin kam er auf die meisten Pflichtspiele im Team.

Schlechte Perspektiven in der Nationalelf

Ins Blickfeld von Jogi Löw geriet er dadurch nicht. Stattdessen sollte die U-21-EM das Sprungbrett zur Nationalelf werden. Doch obwohl er noch in der Qualifikation Stamm- und Führungsspieler der Auswahl war, durften statt ihm andere springen.

Für Özbek war es die letzte Gelegenheit, sich in der U 21 für höhere Aufgaben zu empfehlen, denn mit Jahrgang 1986 ist er inzwischen zu alt für die Jugendauswahl. Und für die A-Nationalelf sehen die Perspektiven kurzfristig eher schlecht aus.

Die Konkurrenz erscheint gerade auf seiner Position im defensiven Mittelfeld übermäßig: Hitzlsperger, Khedira, Weis, Gentner und Rolfes. Dazu der zuletzt nicht berücksichtigte Torsten Frings.

Verbandswechsel in die Türkei eine Möglichkeit

Kein Wunder, dass sich Özbek seither Gedanken um seine Zukunft macht. Ein neues FIFA-Statut erlaubt dem Sohn türkischer Eltern schließlich, den Verband zu wechseln: Vom DFB in die Türkei.

Baris Özbek will sich im Moment nicht dazu äußern. Aus dem Umfeld des Spielers heißt es nur: Sollte der türkische Verband bei Baris anfragen, wolle er sich zuerst mit dem DFB in Verbindung setzen. Ein Wechsel ist also Thema.

Feldkamp: "Das kann unangenehm werden"

Doch ein Verbandswechsel wäre nicht ganz unproblematisch, schließlich entschied sich Baris Özbek schon früh für Deutschland - und schlug Einladungen der türkischen Auswahlen mehrmals aus.

"Wenn Baris von Anfang an gesagt hätte: 'Ich spiele für die U 21 der Türkei', dann wäre das kein Problem gewesen. Aber jetzt, wo alle sehen: 'Ah, bei ihm hat es nicht für die deutsche U 21 gelangt und jetzt will er für die türkische A-Nationalelf spielen', kann das unangenehm für ihn werden. Das würde ich mir von der Imagepflege dreimal überlegen", weiß Feldkamp, der einige Jahre für eine türkische Zeitung schrieb.

Über die Bundesliga in die Nationalelf?

Und Baris Özbek überlegt. Entschieden hat er sich noch nicht. Aber er weiß, dass ein Spiel für die türkische A-Nationalelf seine Länderspielkarriere in Deutschland beenden würde. Danach wäre kein Wechsel mehr möglich.

Sein ehemaliger Co-Trainer bei Galatasaray, Edwin Boekamp, rät ihm zu Geduld: "Die deutsche A-Nationalelf kommt noch zu früh für ihn. Aber um sich ins Blickfeld zu spielen, muss er in die Bundesliga wechseln. Das muss sein erster Schritt sein", sagt der heutige Co von Eintracht Frankfurt.

Boekamp selbst hätte Baris Özbek gerne in seinem Team, "allerdings ist er für Frankfurt zu teuer".

Köstner: "Diesen unbedingten Willen hat er"

Özbeks Coach aus Essener Zeit, Lorenz-Günther Köstner, traut seinem ehemaligen Spieler ebenfalls noch einiges zu. Die Nicht-Nominierung bei der U-21-EM sieht er gar als Chance.

"Er kann da noch gestärkter herausgehen, indem er sich sagt: 'Es hat nicht geklappt, also muss ich mich weiter verbessern'", so Köstner: "Diesen unbedingten Willen, diese unbedingte Leistungsbereitschaft, das alles hat er".

Auch unter Köstner verlief für Özbek bei RWE anfangs nicht alles nach Plan: "In den ersten zwei Spielen der Saison 06/07 habe ich ihn gar nicht eingesetzt. Dann habe ich ihm erklärt, dass er nur durch starke Trainingsleistung ins Team rutscht. Genau das hat er dann umgesetzt. Er war trainingsfleißig, hat Ratschläge angenommen, sie fast schon aufgesaugt", erklärt der aktuelle Coach der zweiten Mannschaft des VfL Wolfsburg.

Özbek: 20 km mit dem Bus? Dann laufe ich!

Trainingsfleiß, Engagement und ein Schuss Verrücktheit, so hat auch Özbeks Trainer aus der A-Jugend seinen ehemaligen Spieler in Erinnerung. "Wenn er mit dem Bus von Essen zurück nach Castrop-Rauxel fuhr und mit dem Training nicht zufrieden war, dann ging er zum Fahrer und sagte: 'Lass mich bitte raus, ich laufe die restlichen 20 km nach Hause.' So war der drauf", sagt Jörn Heins mit einem Schmunzeln auf den Lippen.

Dennoch musste ihn Heins in der A-Jugend auch zu Recht weisen: "Er dachte eine Zeit lang, alles ginge von alleine. Da mussten wir ihn zusammenstauchen und ihm erklären, dass der nächste Schritt kommen muss. Den hat er dann auch gemacht."

Comeback im Sportstudio?

Wie die nächsten Schritte von Özbek aussehen, wird sich zeigen. In den kommenden Wochen und Monaten kommt es zu Gesprächen mit den Verbänden, aber auch mit seinen Trainern und seinem Berater, der ihn schon seit seiner Jugendzeit begleitet.

Schließlich wird er sich wie schon 2007, als er sich für den DFB entschied, mit seinen Eltern zusammensetzen, um seine Zukunft zu besprechen.

So wird er vielleicht bald wieder im "Aktuellen Sportstudio" auftauchen, um dieses Mal über die A-Nationalelf zu sprechen. Ob unter deutscher oder türkischer Fahne, werden wir dann erfahren. Hauptsache der Moderator kennt Özbeks Namen.

Baris Özbek im Steckbrief