EM

Thomas Meunier und sein unverhoffter Perspektivwechsel bei Belgien: "Müssen mit ihm leben oder sterben"

Von Stanislav Schupp
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Beim belgischen Auftaktsieg lieferte Thomas Meunier nach Einwechslung eine starke Vorstellung ab. Gegen Dänemark wird Trainer Roberto Martinez von Anfang an auf den Dortmunder setzen - weil er es muss.

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Thomas Meunier war einfach nicht aufzuhalten: Von der rechten Außenbahn zog er in die Mitte, ließ drei Gegenspieler mit einer einfachen Körpertäuschung aussteigen - selbst Mitspieler Eden Hazard ignorierte er gekonnt -, krönte seinen Sololauf mit einem perfekten Zuspiel in die Schnittstelle der russischen Abwehr auf Romelu Lukaku - und schon stand es 3:0 für Belgien.

Viele rieben sich verwundert die Augen, denn es waren Szenen, die man vom 29-Jährigen aus der abgelaufenen Saison nicht gewohnt war. Der Rechtsverteidiger zählte neben Doppelpacker Lukaku mit je einem Tor und Assist zu den Garanten des Erfolges im ersten EM-Gruppenspiel gegen Russland.

Meuniers Sahnetag hing auch mit dem nur 27 Minuten dauernden Arbeitstag von Timothy Castagne zusammen. Der Abwehrspieler von Leicester City musste nach einem heftigen Zusammenprall mit Russlands Daler Kuzyaev mit einer Gesichtsfraktur vom Feld und fällt nun für das restliche Turnier aus.

Beim anstehenden Duell gegen Dänemark (Donnerstag, 18 Uhr im LIVE-TICKER) wird Meunier für den 25-Jährigen in die erste Elf rücken. Allerdings nicht ausschließlich, beziehungsweise zwangsläufig, aufgrund seines starken Auftritts gegen die Sbornaja, sondern weil Nationaltrainer Roberto Martinez über keine andere Alternative verfügt.

Enttäuschende Saison: Meuniers Handicap vor der EM

"Meunier ist die erste und einzige Wahl", erklärt Kristof Terreur von der belgischen Tageszeitung HLN im Gespräch mit SPOX und Goal: "Belgien hat mit Castagne und ihm lediglich zwei gelernte Rechtsverteidiger im Kader, also gibt es keine Konkurrenz mehr."

Auch wenn Martinez Meunier nach dessen Leistung ein großes Lob aussprach ("Zu sehen, wie Meunier ins Spiel kommt und die Partie beeinflusst, war eine Freude"), stößt dieser Umstand in seiner Heimat auf wenig Begeisterung. "Wir müssen mit Meunier leben oder sterben", titelte die HLN nach dem Auftaktsieg. Dabei sei es unerheblich, ob er einen Fehler mache oder dem Team wie am Samstag zum Sieg verhelfe: "Wir haben keine andere Wahl."

Worte wie diese sind starker Tobak für Meunier, Unterstützung könnte er nämlich gut gebrauchen. Der Rechtsfuß hat soeben eine sportlich enttäuschende und von Verletzungen geplagte erste Spielzeit bei Borussia Dortmund hinter sich gebracht. Ab dem 18. Spieltag verlor er seinen Stammplatz bei den Westfalen und fand sich auch beim Turnierauftakt der Roten Teufel, bei denen er in der Vergangenheit meist über die volle Distanz auf dem Feld stand, nur auf der Ersatzbank wieder.

Thomas Meunier und seine "schwierigste Phase"

"Er ist ein Perfektionist. Nach der harten Saison in Dortmund hat er angefangen, zu viel nachzudenken. Das ist nie gut und das merkte man ihm auch in den Spielen an", betont Terreur. Belgien-Coach Martinez hatte auf einer Pressekonferenz jüngst von der "schwierigsten Phase, die Meunier seit seinem Abschied aus der belgischen Liga vor fünf Jahren hatte" gesprochen.

Auch medial prasselte es zuletzt heftig auf ihn ein. In der Folge entfernte Meunier alle abonnierten Social-Media-Accounts - um einerseits seinen Fokus auf das Wesentliche zu lenken und andererseits sich und seine Familie vor Hasskommentaren zu schützen. Unter anderem Anhänger von Real Madrid hatten es wegen eines Fouls im PSG-Trikot 2019, bei dem Superstar Eden Hazard eine Verletzung davontrug, auf ihn abgesehen.

Und wäre Castagnes Verletzung nicht gewesen, hätte für Meunier die EM in einer weiteren Enttäuschung geendet. "Meunier hat von Castagnes Pech profitiert, sonst hätte er bei diesem Turnier nicht viel gespielt", sagt Terreur.

Gegen Russland erzielte Thomas Meunier das zwischenzeitliche 2:0 für Belgien.
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Gegen Russland erzielte Thomas Meunier das zwischenzeitliche 2:0 für Belgien.

Warum Meunier (eigentlich) nicht in Martinez' System passt

Dass Meunier ins zweite Glied gerückt war, war nicht nur seinen jüngsten Leistungen, sondern auch seiner grundsätzlichen taktischen Ausrichtung geschuldet. Während Castagne ein gelernter Verteidiger ist, war Meunier zu Beginn seiner Karriere zunächst im offensiven Mittelfeld beheimatet.

"Er agiert nach wie vor impulsiv, stürmt gerne nach vorne und geht gewisse Risiken ein", sagt Terreur: "Diesen offensiven Instinkt kann man nicht verlieren." Meuniers Einzelleistung gegen Russland sei sinnbildlich für dessen Hang zum Risiko: "Wenn er den Ball in dieser Position verliert, könnte das in einem Gegentor enden."

Martinez sei dagegen ein Verfechter des behutsamen Spiels und nach den verletzungsbedingten Ausfällen der Säulen Kevin De Bruyne und Axel Witsel auf der Suche nach mehr defensiver Balance gewesen. "Die Abwehr ist mittlerweile in die Jahre gekommen und nicht mehr so konstant, weshalb sie mehr Stabilität benötigt", begründet Terreur.

Belgien: Meunier und sein Einfluss auf die Startelf

Vor allem Witsel sei mit Blick auf seine taktische Disziplin und Cleverness "extrem wichtig" für Martinez. Der 32-Jährige, der gegen die Dänen nur fünf Monate nach seinem Achillessehnenriss wieder zum Kader zählen wird, stehe "immer ganz oben auf der Liste des Trainers."

Nicht nur die taktische Ausrichtung, sondern auch die Nominierung der Offensivspieler hängt dabei von der Wahl des entsprechenden Außenverteidigers ab.

"Mit Castagne kann Martinez beispielsweise Eden Hazard oder Jeremy Doku davor spielen lassen, die beide nicht gerade für ihre Defensivarbeit bekannt sind", ergänzt Terreur: "Andernfalls würde man mit zu vielen offensiv denkenden Spielern spielen, die ihre defensiven Aufgaben vernachlässigen. Dadurch entstände ein zu großer Druck auf die Dreierkette."

Meunier beim BVB: Liegt es am System?

Nach dem Verlust des defensiv zuverlässigeren Castagne verfügt Martinez mit Meunier in seiner 3-4-3-Formation dafür aber über eine zusätzliche Option im eigenen Angriff. Gegen die Dänen könnte Belgien also erneut von Meuniers Offensivdrang profitieren.

Um auch in Dortmund in Zukunft für Staunen zu sorgen, wäre wohl eine Systemumstellung von Nöten. "Vielleicht hat die Ausrichtung des BVB mit einer Viererkette einfach nicht zum ihm gepasst", mutmaßt Terreur.

Thomas Meunier und die Leistungsdaten seiner Profi-Karriere

VereinSpieleToreVorlagenMinuten
FC Brügge198202215.007
Paris Saint-Germain12813229600
Borussia Dortmund33121969