Die Sommermärchen-Romantik ist vorbei

Von Für SPOX.com in Ascona: Stefan Rommel
Michael Ballack, Deutschland, Österreich, EM, Euro 2008, Europameisterschaft
© Getty

Ascona - Es ist ein schmaler Grat zwischen Selbstsicherheit und Arroganz. Michael Ballack wandelt gelegentlich auf diesem engen Weg. Schon oft in seiner Karriere wurde dem 31-Jährigen übersteigertes Selbstbewusstsein vorgeworfen, wo eigentlich nur eine vernünftige "Mir-san-mir"-Philosophie steckt.

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In diesen EM-Tagen ist das nicht anders. Ballack muss oft Rede und Antwort stehen, besonders seit dem ernüchternden 1:2 der DFB-Elf gegen Kroatien.

In seiner Rolle als Kapitän der deutschen Nationalmannschaft wird er dabei natürlich besonders beäugt, jede seiner Bewegungen festgehalten und mit allerlei Halbwissen überinterpretiert.

Positive Angespanntheit

Vielen anderen wären nervige Interviewtermine oder die immer gleichen Fragen auf der Pressekonferenz ein unliebsames Übel. Gerade jetzt, wenige Stunden vor dem wichtigsten Spiel seit langer Zeit gegen Österreich (20.30 Uhr im SPOX-TICKER).

Ballack lässt alles über sich und seine Mannschaft ergehen. Er wirkt angespannt, sicher. Aber doch auch eloquent und fokussiert. Fast scheint es, als läge vor dem Österreich-Spiel eine neue Art der Angespanntheit über dem deutschen Team. Eine positive, wenn man den Aussagen der Beteiligten glauben darf.

Seit der Pleite gegen Kroatien erschienen neben Ballack auch beide Trainer, Philipp Lahm, Torsten Frings und Christoph Metzelder auf dem Podium. Die Fragen variierten, die Antworten weniger. Eine aber war von jedem zu hören: Am Montag kann es nur einen Sieger geben - und der heißt Deutschland.

Das Kroatien-Spiel warf Fragen auf. Fragen nach zu viel Harmonie im Team, nach der Zukunft von Joachim Löw. Was gegen die Polen noch als logische Fortführung des Sommermärchens von 2006 begann, zerstörten die frechen Kroaten und setzten damit "einen Reizpunkt", wie es Ballack nennt.

Sommermärchen-Romantik ist vorbei

Die DFB-Elf, die bei der WM quasi in ihrer eigenen kleinen Welt gespielt und gezaubert hatte, wurde von Slaven Bilic' Truppe schroff aus ihrer heilen Umgebung gerissen. Keine Sönke Wortmanns mehr, kein Schwarz-Rot-Geil, kein Sonnenschein. Mit der Sommermärchen-Romantik ist es endgültig vorbei.

"Wir haben uns zusammengesetzt - ohne die Trainer - und ein offenes Gespräch geführt", beschrieb Ballack einen redseligen Freitagabend, nachdem Joachim Löw nach dem Kroatien-Spiel "schon lauter wurde als sonst".

"Wenn man verliert, wird der Ton eben rauer. Da darf man dann nicht eingeschnappt sein, sondern redet offen darüber, was einem am anderen nicht passt."

Druck, der beflügelt

Es war die erste Aussprache seit jener Taktik und Spielsystem stiftenden Runde vor etwas mehr als zwei Jahren, als das Team im Testspiel gegen Japan wenige Wochen vor der WM (2:2) zum erfolgreichen System mit der Doppelsechs fand.

Für die meisten war es dieses Mal eine ungewohnte Situation. Alleine schon die Tatsache, nach einem verlorenen Pflichtspiel bei nächster Gelegenheit alles gleich wieder reparieren zu können, ist neu.

Zum ersten Mal überhaupt steht die Mannschaft unter dem Druck, auf eine verpatzte Partie adäquat reagieren zu müssen. Einem Druck, der offenbar aber mehr zu beflügeln als zu lähmen scheint. "Wir haben schon so oft bewiesen, dass wir damit umgehen können", sagen alle Beteiligten unisono.

Versteckte Warnung an den Gegner

Das Gute aus deutscher Sicht ist, dass man es jedem Einzelnen auch abnimmt. "Wir haben noch viel, viel Luft nach oben. Wir sind in diesem Turnier noch nicht an unsere Leistungsgrenzen gestoßen und der Druck kitzelt jetzt noch ein paar Prozent aus uns raus", sagte Ballack. Es klang wie eine versteckte, aber durchaus eindringliche Warnung an den Gegner.

Über den öffentlich im Übrigen kein Wort verloren wurde. Weder im Bezug auf die stichelnden Verbalattacken aus dem österreichischen Lager, noch auf Aufstellung oder Spielsystem des Gastgebers.

Gegen die Kroaten ging die Mannschaft mit einer ähnlich selbstbewussten Ausrichtung in die Partie. Das Ergebnis ist bekannt. Allerdings haben sich die Vorzeichen dieses Mal völlig geändert.

Der Schlendrian hat keine Chance mehr. "Wir gehen in das Spiel, als wäre es schon ein Achtelfinale. Von nun an müssen wir jedes Spiel gewinnen", verspricht Ballack. Rücksicht auf die Gepflogenheiten des Kontrahenten findet da keinen Platz.

Aber wie gesagt: Es ist ein schmaler Grat zwischen Selbstsicherheit und Arroganz.

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