EM

Italiens anderer Weg

Von Daniel Börlein
Italiens Nationalcoach Prandelli und die Routiniers Pirlo und Buffon (v.l.)
© Getty

Die Europameisterschaft in Polen und der Ukraine ist in diesem Sommer das große Highlight des Fußball-Jahres. SPOX befasst sich im Vorfeld der Endrunde intensiv mit den Teilnehmern und liefert zu den Top-Nationen eine umfassende Analyse. In Teil vier der Serie steht Italien im Fokus. Die Squadra Azzurra setzt unter Cesare Prandelli auf Variabilität im Mittelfeld und einen Fixpunkt. Die Zeiten des Catenaccio scheinen vorbei.

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Es waren ernüchternde Endrunden, die die italienische Nationalmannschaft bei den vergangenen beiden Turnieren hinlegte. In Österreich und der Schweiz 2008 qualifizierte sich das Team des damaligen Nationaltrainers Roberto Donadoni mit Mühe und nur dank der Schützenhilfe der Niederlande fürs Viertelfinale und scheiterte dort an Spanien.

Zwei Jahre später, bei der Weltmeisterschaft in Südafrika, lief es noch schlechter. Als Titelverteidiger blieb die Squadra Azzurra in der Gruppenphase ohne Sieg und schied erstmals seit 1974 schon in der Vorrunde aus. Daran konnte auch Weltmeister-Coach Marcello Lippi nichts ändern.

Zwei Jahre später reist Italien nun erneut mit einem neuen Coach zu einer Endrunde. Unter Cesare Prandelli will man es deutlich besser machen als zuletzt. Und dafür geht Italiens Nationalcoach einen etwas anderen Weg als viele seiner Kollegen.

Das Mittelfeldsystem

Die inzwischen vom Großteil praktizierte Doppelsechs im Mittelfeld, auf die auch fast alle EM-Teilnehmer setzen, gibt es bei Prandelli nicht. Auch lässt der Coach der Azzurri, anders als die vermeintlichen EM-Top-Favoriten, mit zwei statt nur mit einem echten Stürmer spielen.

Während Mannschaften wie Deutschland, Niederlande und Frankreich also auf ein 4-2-3-1-System bauen, agiert Italien in einem 4-3-1-2, in dem vor allem das Mittelfeld dafür verantwortlich ist, dass das komplette System auch tatsächlich funktioniert.

Eine Sache ist dabei ganz zentral: Das Verhalten der beiden Akteure im Halbfeld. Denn was auf dem Papier nach einer Dreierkette vor der eigenen Abwehr und damit ein bisschen nach Catenaccio aussieht, ist in der Praxis weit mehr als das.

Ein zentraler Mittelfeldspieler wird dabei flankiert von je einem Nebenmann im linken und rechten Halbfeld. Auf einer Linie agiert dieses Trio nur dann, wenn der Druck des Gegners hoch und der Ball schon in der italienischen Hälfte ist.

Der Vorteil: Durch die Anordnung als Dreierreihe ist Italien in der Lage, die gegnerischen Flügelspieler schnell doppelt zu besetzen, ohne gleichzeitig das eigene Zentrum zu entblößen. Besonders Mannschaften mit starken Dribblern können dadurch wirkungsvoller verteidigt werden.

Arbeitet die Squadra Azzurra hingegen schon in der gegnerischen Hälfte gegen den Ball, schiebt der ballnahe Halbfeldspieler eine Position weiter nach vorne auf Höhe des eigenen offensiven Mittelfeldspielers. Dort wird dann aggressiv gegen den Ball gespielt. Der ballferne Halbfeldspieler rückt dagegen ein und verstärkt das Zentrum.

Bei eigenem Ballbesitz schieben die beiden Halbfeldspieler einiger Meter nach vorne - je nach Spielsituation auf eine Höhe mit dem eigenen zentralen, offensiven Mittelfeldspieler. Von der defensiven Dreierkette ist dann nichts mehr zu sehen. Stattdessen entsteht im italienischen Mittelfeld eine Raute, bei längeren Ballbesitzzeiten sogar eine offensive Dreierreihe hinter den beiden Spitzen.

Was auffällt: Die Übergänge zwischen den vermeintlichen Systemen im italienischen Spiel sind extrem fließend. Setzen die beiden Spieler in den Halbpositionen ihre Vorgaben gut um, kann sich das Mittelfeld innerhalb weniger Momente (und abhängig vom Spielgeschehen) von einer defensiven Dreierreihe mit einem Zehner davor in eine Raute bis hin zu einer offensiven Dreierreihe mit einem Sechser dahinter verwandeln.

Teil 2: Der Fixpunkt

Teil 3: Die Offensivabläufe

Teil 4: Die Gefahren