EM

Italiens anderer Weg

Von Daniel Börlein
Italiens Nationalcoach Prandelli und die Routiniers Pirlo und Buffon (v.l.)
© Getty
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Der Fixpunkt

Er war der Spiritus rector der Weltmeister-Mannschaft von 2006 und womöglich sogar der beste Spieler der WM in Deutschland. Nach dem Champions-League-Sieg 2007 mit Milan wurde es allerdings etwas ruhiger um Andrea Pirlo.

Auch er vermochte Italiens schlechtes Abschneiden 2008 und 2010 nicht zu verhindern. Immer wieder plagten ihn Verletzungen. In der vergangenen Saison kam er in Mailand deshalb nur auf 17 Einsätze. Spötter schimpften, der bald 33-Jährige sei inzwischen in die Jahre gekommen. Auch beim AC Milan traute man Pirlo offenbar keine Großtaten mehr zu und ließ ihn deshalb zu Konkurrent Juventus Turin gehen.

Bei der Alten Dame blühte Pirlo allerdings wieder auf. 36 von 38 Partien bestritt er für die Bianconeri und führte das Team von Trainer Antonio Conte zur ersten Meisterschaft seit dem Manipulationsskandal 2006.

Bei Juve entwickelte sich Pirlo wieder zum Strategen vergangener Tage. Und der ist er nun auch wieder im Nationalteam. Der Platz zentral vor der Abwehr ist an ihn vergeben. Er bestimmt den Rhythmus der Squadra Azzurra wie kein anderer. Bei ihm laufen alle Fäden zusammen.

Das Erstaunliche: Obwohl er nominell der defensivste Mittelfeldspieler in der Mannschaft ist, ist er für die Offensive der entscheidende Mann. In direkte Defensivzweikämpfe hingegen ist Pirlo nur äußerst selten unmittelbar verwickelt. Im Spiel nach vorne gibt es dagegen kaum einen Angriff, an dem er nicht beteiligt ist.

In der Regel lässt er sich schon im Spielaufbau tief in die eigene Hälfte zurückfallen und bekommt den Ball von einem Innenverteidiger in den Fuß gepasst. Mit dem Ball ist Pirlo dann allerdings unberechenbar, ein wiederkehrendes Muster ist nicht erkennbar.

Mal verteilt er den Ball in die Breite, mal kurz und flach ins offensive Mittelfeld, mal spielt er schier ansatzlos den weiten Ball in die Spitze. Fast immer allerdings beschleunigt Pirlo das italienische Spiel mit seinem ersten Pass.

Und: Selbst schaltet sich Pirlo nur selten in einen Angriff mit ein. In Abschlussposition kommt er gelegentlich mal aus der zweiten Reihe. Viel häufiger verfolgt er das offensive Geschehen allerdings von seiner zentralen Position und bietet sich nach hinten immer wieder als Anspielstation an. Heißt: Selbst wenn Italien den Ball nach vorne passt, bewegt sich Pirlo regelmäßig erstmal nach hinten, um sich im Rücken des Gegners und entgegensetzt zur Spiel- und Laufrichtung Raum zu verschaffen.

Durch die Pirlo-Fokussierung im italienischen Spiel ist der nominelle Zehner im System der Squadra Azzurra weitaus weniger spielbestimmend. Italiens offensiver Mittelfeldspieler (meist Riccardo Montolivo) ist nur selten derjenige, der strategisch in Erscheinung tritt und den finalen Pass spielt. Vielmehr soll er sich ins Mittelfeldsystem einfügen, als Passempfänger im offensiven Mittelfeld zur Verfügung stehen und bisweilen auch in die Tiefe gehen.

Teil 1: Das Mittelfeldsystem

Teil 3: Die Offensivabläufe

Teil 4: Die Gefahren