Arbeitstier und Zaubermaus

Von David Kreisl
Hakan Calhanoglu nach dem Sieg im Pokal gegen den HSV - seinen zukünftigen Arbeitgeber
© Getty

Hakan Calhanoglu gilt als eines der größten Talente im deutschen Fußball. Der Deutsch-Türke ist mit seinen 18 Jahren bereits ein absoluter Leistungsträger beim Karlsruher SC und wird nächste Saison beim Hamburger SV die Bühne der Bundesliga betreten. Bis es soweit ist, will er den KSC mit seinen gefürchteten Standards wieder in die 2. Liga schießen.

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Den 19. August 2012 wird Hakan Calhanoglu wohl nicht so schnell vergessen. Es war der vorläufige Höhepunkt der Karriere eines jungen Mannes, dem viele Experten und Fans eine große Laufbahn prophezeien. Vielleicht so groß, dass er einmal in die Fußstapfen seines großen Vorbilds Nuri Sahin treten kann.

Keine Woche vor besagtem Datum hatte der gebürtige Mannheimer einen Vertrag beim HSV unterschrieben - der große Traum, sich in naher Zukunft in der höchsten deutschen Spielklasse beweisen zu dürfen, ging für Calhanoglu in Erfüllung. Über zwei Millionen Euro ließen sich die Hanseaten laut Medien den Mittelfeldspieler kosten, eine stolze Summe für einen Teenager, dessen hochklassigste Erfahrung bislang 14 Spiele in der Zweiten Liga sind.

"Traum und Albtraum zugleich"

Die Verantwortlichen der Hamburger beschlossen, Hakan Calhanoglu zumindest bis zur Winterpause sofort wieder nach Karlsruhe zu verleihen, um weiter Spielpraxis zu sammeln. Dort traf er fünf Tage später, am 19. August, im DFB-Pokal auf seinen zukünftigen Arbeitgeber.

Der Youngster war vor der Partie hin-und hergerissen, ein Sieg, vielleicht sogar noch mit einem Tor von ihm, wäre "ein Traum und ein Albtraum zugleich". Tatsächlich schaffte der KSC in der Hitzeschlacht im Wildparkstadion die Sensation und gewann mit 4:2 gegen den Bundesligisten.

Calhanoglu blieb sein Tor zwar verwehrt, trotzdem spielte er eine starke Partie, leitete mit einem tollen Diagonalpass ein Tor ein und stellte in der zweiten Halbzeit die Weichen auf Sieg, als er mit einem wuchtigen Freistoß zwar an Rene Adler scheiterte, Abwehrspieler Martin Stoll den Abpraller aber zur 3:2 Führung abstaubte. Die Hamburger bekamen am eigenen Leib zu spüren, welches Juwel sie soeben verpflichtet hatten.

Seit diesem Spiel sind vier Monate vergangen und der Deutsch-Türke ist zu einer der wichtigsten Stützen der Badener geworden. So wichtig, dass die Vereinsführung nun vermeldete, dass der Drittligist seinen Nachwuchs-Star über die Winterpause hinaus bis zum Saisonende halten wird. Diese Option war mit dem HSV vereinbart: Entweder gibt man Calhanoglu bereits im Winter ab und kassiert eine zusätzliche Ablöse von 100.000 Euro, oder man verzichtet auf das Geld und behält den Spieler bis Saisonende. Den Karlsruhern dürfte die Entscheidung leicht gefallen sein.

Begehrt bei Bayern und Werder

Die enorme Begabung des zukünftigen Hamburgers zeigte sich bereits früh. Über die Mannheimer Klubs FC Turanspor, Polizei SV und SV Waldhof landete er 2009 in der Nachwuchsabteilung des Karlsruher SC. Bei der U 19 machte Calhanoglu schnell auf sich aufmerksam, in der Winterpause der Saison 2011/2012 stieß der damals 17-Jährige in der Vorbereitung zum Profikader, sein Debüt für die erste Mannschaft in der zweiten Liga feierte er am 5. Februar des Jahres.

Mit zwei Torvorlagen beim 2:1 gegen Erzgebirge Aue überzeugte Calhanoglu und gehörte von da an zum Stammpersonal. Dem Profivertrag bis 2016 und 14 Spielen mit insgesamt drei Torvorlagen folgte allerdings der erste Rückschlag: Der 18-Jährige stand mit seinem Klub am Ende der Saison auf dem 16. Platz. Nach zwei Unentschieden in den Relegationsspielen gegen Regensburg musste der KSC den bitteren Gang in die dritte Spielklasse antreten.

Während der Verein mit dem Abstieg im Mai einen sportlichen Tiefpunkt erlebte, ging der Hype um Calhanoglu erst richtig los. Der vor einem halben Jahr noch unbekannte U-19-Spieler war mittlerweile in der Bundesliga begehrt, neben den Bayern gab es offiziell Kontakt zu Werder Bremen. Die Gespräche mit den Hanseaten waren laut Calhanoglu-Berater Bektas Demirtas "sehr konkret, da befinden wir uns auf der Zielgeraden".

"Weiter als Özil in seinem Alter"

Doch die Verhandlungen zwischen Werder und dem KSC scheiterten. Gegenüber der "FAZ" meldete sich KSC-Sportdirektor Oliver Kreuzer zu Wort. Drei Millionen solle der 18-Jährige wert sein, den viele Experten "jetzt schon weiter als zum Beispiel Mesut Özil in seinem Alter" sehen. Eine Aktion, um den Preis für das Talent noch ein wenig in die Höhe zu treiben, schließlich war auch den Verantwortlichen in Karlsruhe längst bewusst, dass man Calhanoglu nicht in den eigenen Reihen halten können würde.

Denn neben den Interessenten aus der Bundesliga waren jetzt auch international Topklubs hinter Calhanoglu her. "In Heidenheim soll angeblich sogar einer von Manchester City dagewesen sein", wusste Kreuzer zu berichten. Aus der Türkei gab es Anfragen von Trabzonspor und Bursaspor.

Doch ins Ausland zieht es ihn nicht, Calhanoglu freut sich auf die Bundesliga. "Meine Familie und ich wollen in Deutschland bleiben", sagte Calhanoglu gegenüber der "FAZ", "in der Türkei müsste ich mir ein neues Leben aufbauen. Das wäre nicht einfach".

Der "Herr der ruhenden Bälle"

Mitte August machte überraschend der Hamburger SV das Rennen um das Toptalent. Dort schwärmte man nach der Vertragsunterzeichnung bis 2016 von Calhanoglu. Sportchef Frank Arnesen sprach von einem "sehr intelligenten Spieler, der trotz seines noch jungen Alters schon sehr weit in seiner Entwicklung ist".

Wie weit der junge Mittelfeldspieler fußballerisch tatsächlich schon ist, beweist er Woche für Woche im Trikot des Karlsruher SC. An der unglaublichen Serie von zwölf ungeschlagenen Spielen und neun Siegen in Folge hat Calhanoglu einen großen Anteil, aktuell stehen dem 18-Jährigen in 23 Pflichtspielen sieben Tore und elf Vorlagen zu Buche. Seine Schusstechnik und die brandgefährlichen Standards zeichnen ihn aus: Fünf direkte Freistöße und ein Elfmeter verwandelte der "Herr der ruhenden Bälle" in dieser Spielzeit, wie ihn der "Kicker" Anfang November taufte.

Calhanoglu ist trotz seiner Jugend offenbar Musterprofi. "Ich gehe nie nach Hause, wenn das Training vorbei ist. Es hat sehr lange gedauert, bis ich solche Freistöße schießen konnte", erklärt er. Für seine Schusstechnik arbeite er jeden Tag sehr hart, erzählt er der "FAZ". "Am liebsten würde er stundenlang weiterüben."

Wechsel nach Hamburg der nächste Schritt

Wenn Calhanoglu seine Einstellung behält, könnte ihm tatsächlich die große Karriere bevorstehen, die ihm von vielen Seiten prophezeit wird. Er selbst sieht seine fußballerische Zukunft im Trikot der Hamburger - und aller Voraussicht nach in dem der Türkei.

Denn obwohl der DFB schon seine Fühler nach dem jungen Mann mit der doppelten Staatsbürgerschaft ausgestreckt hat, gab dieser an, weiter für die Türkei spielen zu wollen. Calhanoglu durchlief die türkischen Jugendmannschaften seit der U 16 und bekam die Zusicherung vom türkischen Verband, dass man auch in der A-Nationalmannschaft mit ihm plane.

Die Option DFB hat Calhanoglu aber offenbar im Hinterkopf, wenn er beide Nationalteams vergleicht. "Die deutsche Mannschaft spielt einen erfolgreicheren Fußball und ist bei jedem Turnier dabei."

Das alles ist aber Zukunftsgeplänkel, der 18-Jährige hat erst einmal andere "Sorgen". In seiner letzten Halbrunde für KSC will Calhanoglu mithelfen, den Verein wieder in die Zweite Liga zu führen. Dann beginnt für ihn das Abenteuer Bundesliga, in dem er sich beim HSV gegen hochkarätige Konkurrenz im Mittelfeld durchsetzen muss.

Um den nächsten Schritt zu machen, war der Wechsel die richtige Wahl. So jemand wie Rafael van der Vaart kann dem Youngster mit der außergewöhnlichen Schusstechnik sicherlich noch einiges beibringen.

Hakan Calhanoglu im Steckbrief

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