Manchester City im Datencheck: Wie sich die Offensive mit Erling Haaland verändert hat

Von Justin Kraft
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Erling Haaland liefert bei Manchester City beeindruckende Zahlen - und doch fordert Pep Guardiola noch mehr von seinem Starstürmer. Wie sich das Spiel der Skyblues mit dem Norweger verändert hat und welche Probleme am Ende den ganz großen Wurf kosten könnten.

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35 Pflichtspiele, 34 Tore, fünf Assists - so lautet die beeindruckende Bilanz von Erling Haaland. Alle 70 Minuten ist der Norweger direkt an einem Treffer von Manchester City beteiligt. Oder, um es mit den Worten von Pep Guardiola zu sagen: "Er kann noch besser sein."

Der Katalane spielt damit gar nicht so sehr auf die Torquote an. Die ist ihm fast schon egal. Das betonte er auch in Bezug auf das Rückspiel in der Champions League gegen RB Leipzig (ab 21.00 Uhr bei uns im Liveticker): "Es geht nicht darum, wie viele Tore wir schießen müssen, sondern nur darum, das Spiel zu gewinnen."

Bei Haaland sieht der ehemalige Trainer des FC Bayern München bereits eine kleine Verbesserung, wenn es darum geht, sich aktiv am Spiel zu beteiligen. Er möge es nicht, wenn sein Stürmer nur im Strafraum stehe, "um Tore zu schießen", erklärte Guardiola. Um Haaland gab es in dieser Saison zahlreiche Diskussionen. Begonnen hat alles damit, zu hinterfragen, ob der 22-Jährige überhaupt zum Spielstil der Skyblues passt.

Die Kritik ist durch die Vielzahl an Torbeteiligungen etwas verstummt. Doch wie hat sich das Spiel von Manchester City eigentlich verändert, seit mit Haaland ein echter Neuner da ist? Und warum ist der Neuzugang vom BVB trotz beeindruckender Zahlen noch nicht optimal eingebunden?

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Manchester City: Gefährlicher ohne Erling Haaland?

Ein Blick auf die wichtigste Zahl zeigt: Manchester City schießt mit Haaland weniger Tore. In der vergangenen Saison kam das Guardiola-Team auf 2,59 Treffer pro 90 Minuten, jetzt sind es 2,27. Eine mögliche Ursache könnte sein, dass die Offensive berechenbarer geworden ist.

Es ist ein selbstverständlicher Prozess, dass sich das Angriffsspiel einer Mannschaft automatisch darauf konzentriert, den abschlussstärksten Spieler in Szene zu setzen. Die ewige Debatte darum, ob eine homogene Offensive mit gleichwertigen Abschlussspielern besser ist als eine mit einem Schlüsselspieler, hat nun auch City erwischt.

93 Tore hat Manchester City erzielt, Haalands 34 Treffer machen 36,5 Prozent aus. Zweitbester Torschütze ist Phil Foden mit 13 Torerfolgen (13,98 Prozent). In der vergangenen Saison war Riyad Mahrez der beste Torjäger des Teams. Seine 24 Tore machten lediglich 16,44 Prozent der 146 Saisontreffer aus. Kevin de Bruyne folgte mit 13,01 Prozent (19 Tore).

Manchester City: Prozentualer Anteil der Torschützen an den Gesamttoren

Torschützen 2022/23Torschützen 2021/22
1. Erling Haaland: 34 Tore (36,5 Prozent)1. Riyad Mahrez: 24 Tore (16,44 Prozent)
2. Phil Foden: 13 Tore (13,98 Prozent)2. Kevin De Bruyne: 19 Tore (13,01 Prozent)
3. Riyad Mahrez: 12 Tore (12,90 Prozent)3. Raheem Sterling: 17 Tore (11,64 Prozent)
4. Julián Álvarez: 10 Tore (10,75 Prozent)4. Phil Foden: 14 Tore (9,59 Prozent)
5. Kevin De Bruyne: 5 Tore (5,37 Prozent)5. Bernardo Silva: 13 Tore (8,90 Prozent)
6. Bernardo Silva: 4 Tore (4,30 Prozent)6. Gabriel Jesus: 13 Tore (8,90 Prozent)

In Verbindung damit, dass City weniger Tore schießt als in der Vorsaison, ist das ein durchaus besorgniserregender Trend für Pep Guardiola. Denn auch wenn Haaland aufgrund seiner Dominanz im Zentrum eine gute Torquote liefert, kann es gerade auf hohem Niveau problematisch werden, wenn das Team zu abhängig von einem Spieler ist. Nahezu alle Punktverluste in der Premier League dienen als Beispiel dafür. Lediglich in den Partien gegen Newcastle (3:3), Aston Villa (1:1) und Everton (1:1) traf Haaland. Sowohl beim 1:1 bei Nottingham Forest als auch bei den bisher vier Niederlagen blieb er torlos. Jeweils gelang es dem Team nicht, das ausreichend aufzufangen.

Manchester City: Das sind die Probleme bei der Einbindung von Erling Haaland

Das Problem ist aber nicht, dass Haaland ein so dominanter Spieler ist. Vielmehr geht es darum, dass das Zusammenspiel und seine Einbindung nicht optimal sind. Eine von Haalands größten Qualitäten ist das Attackieren von Schnittstellen. Bei Borussia Dortmund kam er regelmäßig in Eins-gegen-eins-Situationen mit dem Torwart, weil er sich im Rücken eines Abwehrspielers klug davonschlich.

Bei Manchester City, so das Narrativ, bekommt er diese Räume schlicht nicht. Doch das stimmt nicht. Haaland macht sehr viele solcher Läufe hinter die gegnerische Abwehrkette, wird von seinen Mitspielern aber überraschend oft übersehen. Eine Analyse von The Athletic hat gezeigt, dass rund 68 Prozent dieser Läufe nicht von seinen Teamkollegen genutzt werden.

"Wir müssen ihn ein bisschen häufiger finden", sagte auch Guardiola jüngst, als er auf das Problem angesprochen wurde: "Es ist wahr, dass wir manchmal eher nach außen schauen, obwohl wir mehr auf ihn schauen müssen." Ein gutes Beispiel dafür ist die erste Spielminute gegen Tottenham - kurz nach den Aussagen des Trainers.

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Statt Haaland in die Tiefe zu schicken und für seinen starken Lauf zu belohnen, spielt Silva den Ball auf den rechten Flügel zu Mahrez. City hat das Spiel später verloren und Sky-Experte Jamie Carragher sprach davon, dass Haaland den falschen Klub im Sommer gewählt habe. Etwas weniger polemisch formulierte es Thierry Henry: "In großen Spielen können sie ihn nicht finden." City sei deshalb "ein bisschen mehr berechenbar".

Manchester City: Erling Haaland wird zu wenig eingebunden

Unter den regelmäßig eingesetzten Offensivspielern gab es in der vergangenen Saison keinen einzigen, der unter 40 Ballkontakte pro 90 Minuten hatte. Citys Spiel zeichnete sich durch hohe Flexibilität aus. Gerade im Zentrum bewegten sich die Spieler sehr viel, boten sich in den Zwischenräumen an und so gelang es den Skyblues immer wieder, Überraschungsmomente in der Spielfeldmitte zu kreieren. War die Mitte dennoch zu, konnte man auf die Flügel verlagern, wo sich Räume ergaben.

Haaland wird ebenfalls als spielmachender Neuner eingesetzt und lässt sich oft in die Zwischenräume fallen, um anspielbar zu sein oder Tempo aufzunehmen. Allerdings besteht auch hier das Problem, dass er zu selten gefunden wird. Der Norweger hat in der Premier League nur 23,4 Ballberührungen pro 90 Minuten - das ist mit Abstand der Tiefstwert. Selbst Torhüter Ederson kommt auf 35,5.

Das hat auch Einfluss auf den Spielrhythmus von Manchester City, die zu oft wie ein Handballteam um den Strafraum herumspielen, statt in die gefährlichen Zonen zu kommen. Ein Grund dafür könnte sein, dass Mitspieler einen Ballverlust fürchten, wenn Haaland angespielt wird. Laut The Athletic hat er mit 29,4 Prozent die höchste Turnover-Rate des Kaders, verliert also in Relation zu seinen Ballkontakten am häufigsten den Ballbesitz.

Damit ist Haaland eine Art Risikofaktor für das Ballbesitzspiel. Guardiola hat vor allem in den letzten Wochen wieder mehrfach betont, wie wichtig es ihm ist, Konter zu vermeiden. Auch vor dem Duell mit Leipzig warnte er vor der Umschaltstärke des Gegners. Gleichzeitig könnte die Furcht vor Kontern dazu führen, dass Mitspieler Haaland weniger einbinden und das Offensivspiel in der Folge monotoner wird.

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Manchester City: Wie geht es weiter mit Erling Haaland?

Guardiola scheint an eine Weiterentwicklung Haalands zu glauben. Es wäre voreilig, ihm nach nicht mal einer Saison zu unterstellen, er würde als mitspielende Neun nicht funktionieren. Und doch wäre es wohl aus Sicht des Katalanen eine Überlegung wert, Haalands vorhandene Stärken noch mehr zu nutzen, ihn also weniger mit Aufgaben im Mittelfeld zu betrauen, sondern dort einzusetzen, wo er am gefährlichsten ist.

Nur ist das Problem etwas komplexer. Wie die Analyse zeigt, ist Haaland nicht deshalb unzureichend eingebunden, weil er sich falsch bewegt oder zu sehr mit seiner Rolle fremdelt. Es ist eher die gesamte Teamdynamik, die noch nicht optimal funktioniert.

Woran das liegt, lässt sich nur mutmaßen. Und bei aller Kritik an der aktuellen Verfassung des Teams und am Zusammenspiel reicht eben ein Blick auf die Zahlen, um einzuordnen: Verheerend ist die Situation für Manchester City nicht. Haaland hat in seinem ersten Jahr trotz aller Skeptiker im Sommer bewiesen, dass er ein Weltklassestürmer ist. Einer, den City vor allem in großen Spielen in den letzten Jahren zu oft vermisst hat. Nur wird es eben auch darauf ankommen, diese Qualität entsprechend einzubinden, wenn es drauf ankommt. In der Champions League wird Guardiola Lösungen finden müssen, um das Potential aus Haaland herauszukitzeln, das er trotz aller Statistiken noch in ihm sieht.

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