FC Chelsea: Tuchels goldenes Händchen lässt Chelsea träumen - und Lampard vergessen

Von Daniel Buse
Thomas Tuchel bezwang Atletico Madrid mit dem FC Chelsea mit 1:0.
© getty

Seit Ende Januar ist Thomas Tuchel erst Trainer beim FC Chelsea und doch hat sich bei den Blues schon viel verändert. Die vielzitierte Aufbruchstimmung ist da.

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Vor nicht einmal einem Monat war die Zeit für Frank Lampard als Trainer des FC Chelsea abgelaufen. Der neunte Platz in der Premier League genügte den Ansprüchen des selbsterklärten Spitzenteams nicht, teure Sommer-Neuzugänge wie Timo Werner und Kai Havertz liefen ihrer Form hinterher, vom Coach gab es Kritik an seiner Mannschaft, was wiederum beim Team auf Unverständnis stieß.

Kurzum: Es rumorte kräftig bei den Blues, die schließlich die Reißleine zogen und die Klub-Legende Lampard entließen. Als Nachfolger präsentierte der Klub Thomas Tuchel - und der Deutsche hat die Erwartungen bislang mehr als erfüllt, was auch an seinem goldenen Händchen liegt.

Denn nach dem 1:0-Erfolg im Achtelfinal-Hinspiel der Champions League gegen Atletico Madrid, das für Chelsea am Dienstag eine Auswärtspartie in Bukarest war, entsteht der Eindruck, dass der immer gern als "akribischer Arbeiter" beschriebene Tuchel aktuell nichts falsch machen kann.

Nach acht Pflichtspielen unter seiner Leitung ist Chelsea ungeschlagen und kassierte insgesamt nur zwei Gegentore. Nur Jose Mourinho, der an der Stamford Bridge ebenfalls eine Legende ist, schluckte bei seinem Dienstbeginn im Klub im selben Zeitraum noch weniger Gegentreffer, nämlich einen.

Vom Legenden-Status eines Lampard oder Mourinho ist Tuchel zwar noch weit entfernt, aber die Anzeichen, dass es eine langfristig erfolgreiche Zusammenarbeit zwischen dem Trainer und seinem Team werden kann, sind da. Das liegt an den Entscheidungen, die Tuchel in der kurzen Zeit getroffen hat.

Chelsea unter Tuchel: Die Systemumstellung

Frank Lampard vertraute in fast allen Spielen einem 4-3-3-System. Tuchel wählt inzwischen einen komplett anderen Ansatz, denn er setzt auf ein 3-4-1-2.

Die Außenspieler im Mittelfeld, gestern Marcos Alonso auf links und Callum Hudson-Odoi auf rechts, sind dabei von besonderer Bedeutung, denn sie müssen bei gegnerischem Ballbesitz die Dreierkette ergänzen und mit der Kugel in den eigenen Reihen eine Option in der Offensive darstellen - sprich: die komplette Seite beackern.

Während der Spanier Alonso als gelernter Linksverteidiger defensiv den besseren Eindruck macht, soll der eigentliche Flügelflitzer Hudson-Odoi auf rechts durch schnelles Verlagern des Spiels von links nach rechts offensiv in Eins-gegen-Eins-Situationen geschickt werden, die er dann für sich entscheiden und damit für Gefahr sorgen soll.

Für Timo Werner, der erst unter Tuchel seine Torlos-Serie von 1000 Minuten ohne eigenen Treffer in der Premier League beendete, bedeutet die Umstellung, dass er nicht mehr auf dem linken Flügel agieren muss, sondern als hängende Spitze um den zentralen Offensivmann, gestern Olivier Giroud, herum spielen kann.

Was Tuchel geschafft hat, ist, der Mannschaft mit dem neuen System Ballbesitz durch die personell bessere Besetzung des Mittelfelds zu geben (63 Prozent gegen Atletico), dabei aber auch die defensive Kompaktheit im Auge zu behalten, weil alle Spieler mit nach hinten arbeiten. Die Stabilität zeigen nicht nur die bislang unter Tuchel erst kassierten zwei Gegentore, sondern auch die Tatsache, dass Atletico am Dienstag keinen Schuss auf das Chelsea-Tor brachte.

FC Chelsea unter Thomas Tuchel: Das Personal

Tuchel hat es rückblickend gesehen einfach: Wenn man gewinnt oder zumindest nicht verliert, können die personellen Entscheidungen nicht grundlegend falsch gewesen sein. Der Coach scheute sich bislang nicht nur nicht davor, das System zu verändern, sondern er wählte auch bei der Besetzung der Positionen ganz andere Ansätze als noch Lampard.

So vertraute der Ex-Coach beispielsweise Ende Dezember noch einer Abwehrreihe mit Reece James, Kurt Zouma, Thiago Silva (derzeit verletzt) und Ben Chilwell - und am Dienstag war keiner aus diesem Quartett Teil der Chelsea-Dreierkette gegen die Madrilenen. Stattdessen durften Cesar Azpilicueta, Andreas Christensen und Antonio Rüdiger für die Londoner ran.

Im Mittelfeld war für Dauerläufer N'Golo Kante überraschend kein Platz mehr, stattdessen spielten Jorginho und Mateo Kovacic von Anfang an. Kurz gesagt: Tuchel geht viel mehr nach den Trainingseindrücken als noch Lampard, stellt das System und die Aufstellung viel eher auf die eigenen Stärken und die Spielweise des Gegners ein, als es noch unter dem Ex-Trainer der Fall gewesen ist.

Dass er aus Prinzip alle Entscheidungen seines Vorgängers revidieren will, kann man dem 47-Jährigen dabei jedoch nicht vorwerfen: Mit Mason Mount ist einer von Lampards absoluten Favoriten auch aktuell - berechtigterweise - auf der Zehnerposition eine feste Größe.

Am weiterhin heiklen Thema der Sommer-Neuzugänge musste sich Tuchel noch nicht abarbeiten, da momentan die Erfolge dieses Problem überdecken: Timo Werner ist weiterhin nicht die Tor-Maschine, die er noch in der Bundesliga war. Kai Havertz kommt nach einer kurzen Sommerpause, einem Formtief und einer Corona-Infektion erst langsam wieder in eine bessere Verfassung. Und Hakim Ziyech ist, ebenso wie Havertz, meist nur Bankspieler bei den Blues.

Chelsea: Das "Man Management"

Die meistdiskutierte Szene des 1:1-Unentschiedens der Blues gegen Southampton am vergangenen Wochenende war die Auswechslung von Callum Hudson-Odoi. Der Flügelspieler war erst zur Pause von Tuchel gebracht worden, doch in der 76. Minute hatte der Coach genug gesehen und nahm den Youngster, der sichtlich wütend war, wieder vom Feld.

"Ich war mit seiner Körpersprache und seiner Einstellung am Ball nicht zufrieden", erklärte Tuchel - nur, um ihn am Dienstag wieder von Anfang an zu bringen. Und mit seinem öffentlichen Rüffel hatte Tuchel Erfolg, denn Hudson-Odoi zeigte gegen Atletico eine tadellose Vorstellung auf der rechten Seite und arbeitete sogar nach hinten mit.

Das, was im Englischen "Man Management", also der Umgang mit den Spielern und ihren verschiedenen Charakteren, genannt wird, funktioniert aus Tuchels Sicht. Er kitzelt die Leistungen heraus, stichelt und fordert. "Es hat mir geholfen, dass mich jemand auf Deutsch anschreien kann", bekannte Timo Werner, nachdem er seine Torlos-Serie beendet hatte.

Auch Olivier Giroud, der zuvor erst in zwei Pflichtspielen unter Tuchels Regie in der Startelf gestanden hatte, zeigte gegen Atletico genau die Reaktion, die sein Coach von ihm sehen wollte: Er lieferte - und zwar mit seinem wunderschönen Fallrückzieher den einzigen und damit entscheidenden Treffer des Abends.

Ob die aktuelle Erfolgsserie auch mit Frank Lampard an der Seitenlinie möglich gewesen wäre, ist eine hypothetische Frage. Fakt ist aber, dass Thomas Tuchel mit seinen Entscheidungen und seiner Art einen großen Anteil am Aufschwung des FC Chelsea trägt, obwohl er erst einen Monat an der Stamford Bridge ist. Von Frank Lampard redet momentan jedenfalls niemand mehr.

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