Jeder Pass ein Abenteuer

Von Stefan Rommel
Für den BVB läuft es bislang in der Champions League deutlich besser als in der Bundesliga
© getty

Borussia Dortmunds Gastspiel bei Galatasaray (20.45 im LIVE-TICKER) dürfte der Mannschaft ganz gelegen kommen: In der Königsklasse ist der klassische BVB-Stil noch ein Garant für Erfolg. Auf Dauer wird sich Trainer Jürgen Klopp aber auch Gedanken über alternative Lösungswege machen müssen.

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Borussia Dortmund ist ein börsennotierter Klub, der einzige in Deutschland, und für einen solchen geht eine sportliche Durststrecke automatisch einher mit dem Blick auf die Märkte.

Knapp 20 Prozent ist der Kurs der BVB-Aktie eingebrochen seit dem Start in diese Saison, die für die Borussia bisher so schleppend verläuft wie noch nie seit der Einführung der Drei-Punkte-Regel. Es sind die Nebenkriegsschauplätze, die nun verstärkt in den Fokus rücken. Und die doch so unwichtig sind.

Borussia Dortmund steckt in einer sportlichen Krise, aber der Klub ist Lichtjahre von einer existenziellen Bedrohung entfernt, wie sie noch vor elf Jahren real war. Wer da nach dem Verpassen der Champions League gegen den FC Brügge in die Gesichter der Bosse Michael Meier und Dr. Gerd Niebaum blickte, konnte die Angst förmlich greifen.

Damals oszillierte das Dortmunder Konstrukt zwischen Fahrlässigkeit und Selbstüberschätzung und fuhr krachend gegen die Wand. Das wird der Borussia nie wieder passieren, sagt Hans-Joachim Watzke. Der BVB ist abgesichert, mit Turkish Airlines wurde ein satter Sponsorenvertrag abgeschlossen, die langjährigen Partner Puma, Signal Iduna und Evonik haben sich im Zuge der Kapitalerhöhung als strategische Partner platziert.

Trotz Krise: Watzke gibt Klopp Job-Garantie

Minimalziel in Gefahr?

Jürgen Klopp wird das alles nicht besonders interessieren. Der Trainer macht die schwierigste Zeit mit dem BVB durch. In den ersten Zügen der Saison hat Klopp zu Recht auf eine erhebliche Verletztenmisere verwiesen und die Nachwehen der Weltmeisterschaft. Trotzdem geriet der Start noch einigermaßen erfreulich.

Nach zuletzt nur einem mickrigen Punkt aus fünf Bundesligaspielen verfestigt sich aber die Vermutung, dass die Dortmunder Probleme fundamentaler Natur sind und nicht durch vorübergehende Begleiterscheinungen hervorgerufen wurden.

Es ist oft von einer Ergebniskrise die Rede in diesen Tagen und es ist in der Tat nicht so, als wäre der BVB in den einzelnen Partien chancenlos gewesen. Vielleicht war er ein paar Mal sogar die aktivere Mannschaft. Für die Dortmunder Ansprüche reicht das aber nicht.

Das Minimalziel Platz vier ist deutlich weiter entfernt (sieben Punkte) als die Abstiegszone (ein Punkt). Das klingt bedrohlich. Nicht, weil der BVB unter kuriosesten Umständen sogar absteigen könnte. Sondern weil auch für einen gut situierten Klub die Königsklasse eine absolute Pflichtveranstaltung ist.

Angekommen in der Krise

Im Sommer gerieten die Kapitalerhöhungen und die immensen Investitionen in den Kader mit einem dann erzielten Transferminus von über 50 Millionen Euro automatisch auch zu einer Kampfansage an das Großkapital des FC Bayern.

Die Macher wollten die Lücken zum Primus schließen oder zumindest nicht uneinholbar groß werden lassen. Das ist in wirtschaftlicher Hinsicht vorerst auch geglückt. Sportlich ist die Diskrepanz aber so groß wie seit vier Jahren nicht mehr. Die Münchner sind entrückt, 13 Punkte Rückstand nach acht Spielen sind für den BVB nicht akzeptabel.

Befindet sich die Mannschaft in der Krise? "Was soll man sonst dazu sagen", antwortete Sportdirektor Michael Zorc nach dem 1:2 beim 1. FC Köln. Bei dieser neuerlichen großen Enttäuschung gab es einige Lichtblicke, die Comebacks der Spieler Gündogan, Reus und Mhkitaryan zum Beispiel.

Oder deutlich sichtbar eine bessere Ordnung und Struktur auf dem Platz. Das Tor von Ciro Immobile, ein Treffer wie herausgerissen aus dem Dortmunder Standardwerk des schnellen Umschaltspiels.

Es fehlt die Selbstverständlichkeit

Mit der Rückkehr einiger wichtiger Spieler ist das Fundament wieder gefestigter. Aber das Haus steht damit noch lange nicht. Gegen Köln leistete sich die Mannschaft so viele Fehler wie sonst in fünf Spielen zusammen nicht.

Mats Hummels fabrizierte 20 Fehlpässe. Die Glieder der Viererkette trafen einige kaum nachvollziehbare Entscheidungen, im Mittelfeld fehlte es an Entschlossenheit in der Zweikampfführung. "Wir machen kapitale Böcke", analysierte Zorc, "bei dem einen oder anderen muss es mal richtig Klick machen."

In der Offensive wurden die meisten Angriffe ungeduldig und hektisch vorgetragen. Im Ansatz war vieles gut vorbereitet, in der gefährlichen Zone wurde es aber nicht ruhig und sauber zu Ende gespielt. Die Laufwege und das Passspiel sind so wenig aufeinander abgestimmt, dass förmlich jedes Zuspiel wie ein Experiment für sich erscheint.

Die Folge waren leichte Ballverluste und ein Mehraufwand an Arbeit, um den Ball wieder zurückzugewinnen. "Man stelle sich vor, wir hätten im Aufbau nicht diese Probleme gehabt, sondern die ganze Kraft in unser Offensivspiel investieren können", ärgerte sich Klopp hinterher.

Die Ziele werden verfehlt

Dass der BVB immer noch große Probleme mit der momentanen Situation hat, ist die eine Sache. Die andere ist aber, und dann wird aus der Momentaufnahme eine grundsätzliche Debatte: Muss die Mannschaft ihren Stil nicht auch verändern? Die Probleme, die sich nun zuhauf türmen, sind nicht neu.

Seit zwei Jahren ist es eines der großen Ziele, die Flut an Gegentoren einzudämmen. In den Meisterjahren kassierte die Mannschaft in der Bundesliga 22 beziehungsweise 25 Gegentore. Danach waren es plötzlich 42, dann 38. Jetzt stehen 14 nach acht Spieltagen zu Buche und kein einziges Zu-Null-Spiel. Hochgerechnet wären das an die 60 Gegentreffer in dieser Saison.

Die Mannschaft hat zudem in der Offensive erhebliche Schwierigkeiten mit Teams, die kompakt verteidigen und schnell nach vorne spielen können. In den beiden Meisterjahren waren die Gegner noch erstaunt über die Spielart des BVB, die Bayern mit eingeschlossen.

Dann haben sie sich damit befasst und versucht, Lösungswege zu finden. Die Bayern mussten sich im diesem Zusammenhang sogar fast komplett neu erfinden und bedienten sich auch am BVB-Baukasten. Die meisten Mannschaften wussten in der Theorie zwar, wie der BVB am besten zu bespielen ist, konnten ihr Wissen aber nur vereinzelt auf den Rasen bringen.

Die Gegner kennen Lösungswege

Nun werden es immer mehr, die ihre individuelle Unterlegenheit als Mannschaft ausgleichen können. Die personellen Probleme der Borussia in dieser Saison dienen als Beschleuniger und verkomplizieren die Lage in der Art, da zum einen das eingespielte System nicht greift und zum anderen auch Alternativlösungen nicht einstudiert werden konnten.

Der Borussia fehlt die Mischung und auf der Suche danach verliert sich die Mannschaft. "Wir haben eine Art Fußball gespielt, die absolut keinen Sinn macht", sagte Klopp am Samstag.

Der Satz sagt ziemlich viel aus für die Gemengelage und er zeigt auch, dass der Trainer, der zusammen mit seinem Co-Trainer Zeljko Buvac in der Theorie den Weg zurück zum Erfolg ganz sicher klar vor Augen hat und die Mannschaft, die diesen Plan nicht umsetzen kann, derzeit weit voneinander entfernt sind.

Bisher ergab es jedenfalls immer einen Sinn, wie Klopps Mannschaft aufgelaufen ist. Zwar war auch das nie eine hundertprozentige Garantie für Siege, es war aber gleichbedeutend mit der bestmöglichen Vorbereitung. Es war Klopp-Fußball. Im Moment spielt das Team irgendwas, das nur schwer zu definieren ist. Wenn dann andere Mannschaften sehr akzentuiert das machen, was der BVB quasi erfunden und perfektioniert hat, wird es zum Problem für die Borussia.

Dortmund bleibt sich (bisher) treu

Dass sein Team nach jedem Spiel in jeder der angeblich so wichtigen Statistiken vorne liegt? "Unnützer Kram", wie es Klopp nach der Partie in Köln nannte. Er muss sich fragen, ob und wie weit er von seiner Art des Fußballs abrücken mag. "Es ist eine sehr schwierige Situation für uns", fasst es Zorc zusammen. "Eigentlich die schwierigste in den letzten Jahren."

In Zukunft wird es noch mehr Gegner geben, die sich auf Dortmunds Spiel einstellen können. Auf der anderen Seite wird auch die wohl beste Mittelfeldbesetzung in der Geschichte dieses Klubs zueinander finden und dann vielleicht auch Immobile besser integriert werden. Das reicht dann für Platz zwei, drei oder vier. Aber reicht das auf Dauer auch den gestiegenen Ansprüchen?

Die großen Rivalen der Liga haben sich intern längst auf große Paradigmenwechsel verständigt. Die Bayern haben sich unter Jupp Heynckes dramatisch und nun mit Pep Guardiola auch beachtlich verändert. Bayer Leverkusen hat seine Ausrichtung radikal umgestellt, Borussia Mönchengladbach kann ein Spiel ruhig und unspektakulär dominieren, um es dann mit wenigen Stichen zu entscheiden.

In der Königsklasse glücklich

Der Überfall-BVB mit der "Einer für alle und alle für einen"-Mentalität ist derzeit in der Bundesliga zu einfach auszurechnen, das haben die letzten Partien gezeigt. "Wir erkennen die Fehler und müssen sie auch abstellen. Jetzt! Nicht morgen, nicht übermorgen, sondern sofort", sagt Klopp.

Das Spiel in der Champions League bei Galatasaray passt dem BVB deshalb ganz gut ins Konzept. Erstens bekommt die Mannschaft schnell die Chance, es besser zu machen und über den Wettbewerb wieder zu sich zu finden. Zweitens ist die Königsklasse in dieser Saison der Ort für die glücklichen Momente.

Gegen Arsenal und in Anderlecht spielte die Mannschaft einen anderen Fußball, mit etwas weniger Ballbesitz gegen grundsätzlich nicht ganz so destruktive Gegner und deshalb vielen Umschaltmomenten in der Offensive. Und natürlich bisher ohne Gegentor. In Istanbul ist davon auszugehen, dass das Spiel der Gastgeber dem BVB entgegenkommt. Auf Dauer kann das aber nicht die Lösung sein: Zu hoffen, dass der Gegner auch mitspielen will.

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