Die ungewollte Nummer 1

Von Alexander Maack
Beim Derby gegen Borussia Dortmund versöhnten sich die Schalker Anhänger mit Lars Unnerstall
© Getty

Für das Champions-League-Spiel von Schalke 04 gegen den FC Arsenal (Mi., 20.30 Uhr im LIVE-TICKER) setzt Lars Unnerstall auf seinen neuen Glückbringer: Den weißen Hut, den er von den Ultras nach dem Revierderby gegen Dortmund bekam. Nach Pfiffen gegen ihn kommt die Versöhnung zur rechten Zeit. Auch im Verein wächst der Rückhalt.

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Die Jubelstimmung nach dem Spiel bei Borussia Dortmund hatte sich auch auf den Schalker Keeper übertragen. "Geiler geht's nicht. Das ist das erste Mal, dass ich gegen Dortmund gewinne", freute sich Lars Unnerstall. Beim Interview-Marathon trug er stolz seine modisch fragwürdige Kopfbedeckung, die nun gegen den FC Arsenal zum Glücksbringer werden soll: "Den nehme ich auf jeden Fall mit."

Dass die Fans der Knappen ihrem Torwart ein Geschenk machen und ihn ausgiebig feiern, schien vor kurzem kaum denkbar. Weil er immer wieder das Spiel verzögerte, kassierte Unnerstall im eigenen Stadion Pfiffe.

Pfiffe gegen den eigenen Torwart

"Ich habe in den letzten Partien das Spiel bewusst in einigen Situationen langsam gemacht, damit die Jungs vor mir auch einmal durchpusten konnten. Dass ein Teil der Zuschauer damit nicht einverstanden war und gepfiffen hat, war nicht gerade hilfreich für uns", erklärte der 22-Jährige, nachdem er gegen den VfL Wolfsburg erstmals mit Sprechchören gefeiert wurde.

Unnerstalls Sportal-Notenschnitt von 3,29 beweist eigentlich, wie gut der Torwart in dieser Saison spielt. 70 Prozent gehaltene Torschüsse, drei Glanzparaden, drei Zu-Null-Spiele und nur sechs Gegentore runden das Bild ab.

SPORTAL: Die Noten von Lars Unnerstall in der Übersicht

Das gespannte Verhältnis der Anhänger zum Schlussmann resultierte nicht vornehmlich aus dessen Spielweise, sondern aus der Schalker Kaderzusammenstellung. Die drei Torhüter befinden sich auf vergleichbarem Leistungsniveau und Ralf Fährmann hat als Absolvent der klubeigenen Jugendabteilung einen Beliebtheitsvorteil.

Die Behauptung, Unnerstall bewege sich auf einem Level mit dem Ex-Nationalspieler Timo Hildebrand und dem 31-fachen U-Nationalspieler Fährmann, hätten die meisten Experten vor wenigen Jahren eher belächelt. Unnerstall galt als nicht erstligatauglich, selbst die Eignung für die 2. Liga wurde bezweifelt.

Zu groß schienen die Defizite bei der Strafraumbeherrschung und den fußballerischen Fähigkeiten, die der Torwart auch selbst erkannte. "Vor anderthalb Jahren hätte ich mir ja nicht mal selbst unbedingt zuge­traut, Bundesliga zu spielen", erklärte er im Oktober 2011 dem "Kicker".

Vom Steinbecker Stürmer zum Schalker Stammtorwart

Die Zweifel waren in Unnerstalls ungewöhnlichem Werdegang begründet. Noch in der C-Jugend spielte er im Sturm und wechselte nur ins Tor, weil der etatmäßige Schlussmann des SV Grün-Weiß Steinbeck ausfiel. Unnerstall musste als größter Spieler im Kader die Position wechseln, fand daran Gefallen und empfahl sich so für seinen Wechsel zu Preußen Münster.

Der heute 1,98 Meter große Schlussmann kämpfte allerdings noch lange mit den Nachteilen seiner späten Entscheidung. In den U-Mannschaften des DFB bekamen bis 2010 stets andere Spieler den Vorzug.

"Die hatten eben das Glück, früh bei Bundesligaklubs zu trainieren", erklärte Unnerstall deren Vorsprung. "Ich kam erst im zweiten A-Jugend-Jahr nach Schal­ke. Bei Preußen Münster hatte ich auch gutes Torwarttraining, aber das war kein Vergleich zu Schalke."

Intensivtraining unter Dreher

Dass sich der junge Torwart nach seinem Aufstieg in die 2. Mannschaft der Königsblauen rasend schnell entwickelte, ist ein Verdienst von Bernd Dreher. Der damalige Torwarttrainer nahm sich viel Zeit für Unnerstall und arbeitete mit ihm an seinen Defiziten, die es zuhauf gab. "Speziell körperlich. Mus­kulär war ich nicht so gut dabei. In Sachen Fitness, Dynamik und Athletik gab es viel Nachholbedarf", so Unnerstall.

Trotzdem wurde der Vertrag des von Ralf Rangnick zur Nummer zwei berufenen Torwarts zu Beginn der Saison 2011/2012 nur um ein Jahr verlängert. Auch weil Unnerstall es selbst so wollte: "Ich war mir nicht sicher, ob ich leistungsmäßig die Bundesliga packen würde. Es hätte doch keinen Sinn gemacht, sich langfristig an Schalke zu binden und dann beispielsweise vier Jahre auf der Ersatzbank zu versauern."

Statt wie befürchtet dauerhaft draußen zuzugucken, musste Unnerstall schnell ins kalte Wasser springen. In der ersten Runde des DFB-Pokals gegen den FC Teningen hatte er noch unsicher gewirkt, doch als bei Fährmann am 9. Spieltag bei der Niederlage gegen den 1. FC Kaiserslautern das Kreuzband riss, übernahm Unnerstall seinen Platz.

Debüt ohne Fehler

Nach leichten Problemen im ersten Bundesligaspiel vermittelte der Debütant in den folgenden Partien einen immer besseren Eindruck. Selbst durch die Verpflichtung von Hildebrand ließ sich der Westfale nicht beeinflussen und rettete Schalke 04 im Achtelfinale des DFB-Pokals gegen des Karlsruher SC mit mehreren Glanzparaden vor einem frühen Rückstand.

"Er macht einen guten Job", lobte Manager Horst Heldt anschließend etwas unterkühlt, legte aber wenige Tage später nach: "Wir brauchen keine Torhüterdiskussion. Wenn Lars so spielt wie in Karlsruhe, sind wir alle im Verein glücklich. Allein die Leistung entscheidet, wer bei uns im Tor steht."

Der Stammplatz schien gesichert, bis im Februar der erste Rückschlag folgte: Unnerstall musste das Tor für Hildebrand räumen. Allerdings nicht wegen schlechter Leistungen, sondern weil er sich gegen den VfL Wolfsburg eine Schulterverletzung zuzog.

Nachdem er sechs Wochen ausfiel, kehrte Unnerstall pünktlich zur nächsten Verletzung von Hildebrand zurück, übernahm ohne große Vorbereitungszeit wieder das Tor und sicherte Schalke mit guten Leistungen die Champions-League-Teilnahme.

Hildebrands Verletzung wird zur Initialzündung

Trotz der guten Leistungen des gebürtigen Ibbenbüreners gab Huub Stevens Hildebrand zu Saisonbeginn allerdings den Vorzug, bis dieser sich am Knie verletzte. Bis heute betonen die Verantwortlichen auf Schalke immer wieder, dass es keine etatmäßige Nummer 1 gibt. "Wir haben drei gute Torhüter. Wir werden am Samstag sehen, wer spielt", sagte Stevens etwa vor dem Spiel gegen Dortmund.

Für einen Torwart ist die Unsicherheit über den eigenen Standpunkt im Team ein entscheidender Störfaktor. "Bei uns Torhütern ist die mentale Verfassung sehr wichtig. Daraus ziehen wir einen ganz großen Teil unserer Leistungsstärke. Wenn das angeknackst ist, ist das bestimmt kein Vorteil", erklärt Hildebrand.

Ziel: Nummer 1 auf dem Rücken

Unnerstall, der sich öffentlich als absoluter Teamplayer zeigt und demütig die Fähigkeiten seiner Konkurrenten betont, scheint die starke Konkurrenz eher zu beflügeln. Seine Leistungen in der Bundesliga geben ihm aktuell neues Selbstvertrauen.

"Ich kann zwar nicht behaupten, dass ich mich jetzt als unsere Nummer eins fühle, denn ich habe ja immer noch die 36 auf dem Rücken", meinte Unnerstall nach dem Sieg beim BVB: "Aber natürlich ist es klar, dass ich mich freuen würde, wenn der Trainer in London und auch den nächsten Spielen auf mich setzt."

Trotz der zurückhaltenden Formulierung: Aktuell führt in Gelsenkirchen kein Weg an Unnerstall vorbei. Mit seiner aufsteigenden Form ist er seinem persönlichen Ziel, bei Schalke in der Zukunft die Trikotnummer 1 zu übernehmen, mittlerweile einige Schritte näher gekommen zu sein. Trotz der Skepsis.

Lars Unnerstall im Steckbrief

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