"Der Sieg war sehr wichtig, um Ruhe hineinzubekommen", sagte Borussia Dortmunds Sportdirektor Sebastian Kehl. "Wir haben schon gespürt, dass wir unter Druck standen. Es waren keine einfachen Tage."
Der BVB hatte zuvor aus einem frühen 0:2-Rückstand einen 4:2-Erfolg gegen Borussia Mönchengladbach gemacht. Die Schwarz-Gelben, da kann man Kehl nur zustimmen, hätten weitere schwierige Tage vor sich gehabt, wäre dieses Comeback am Samstagnachmittag nicht gelungen. Sehr wahrscheinlich wären es gar die schwersten Tage der laufenden Saison für die Dortmunder geworden.
Erst Recht, wenn sechs Minuten nach dem 0:1 auch der Treffer von Alassane Pléa gezählt hätte, doch der Franzose stand mit einer Kniescheibe im Abseits. Neun Minuten später traf Gladbach zum 0:2.
Es waren 30 Minuten des Grauens, die der BVB gegen die Fohlen bot - ähnlich schlimm wie schon jene 90 Minuten, die man vor zwei Wochen beim extrem schmeichelhaften 1:2 in Stuttgart ablieferte. "Es hat sich nicht angedeutet", sagte Trainer Edin Terzic über die krasse Unterlegenheit. Ein ums andere Mal entblößten die Gäste mit schnellen Angriffen über wenige Stationen die Abwehr der Borussia, die ihrerseits in Ballbesitz keinerlei Lösungen parat hatte und damit einen Haufen Probleme, um ins letzte Drittel zu kommen.
Was statt einem 0:3 und nach einer halben Stunde Spielzeit passierte, war mit Blick auf die gesamte erste Halbzeit dann Borussia Dortmund in Reinform. "Nach dem Spiel weiß ich so viel wie vorher", sagte Sky-Experte Dietmar Hamann und präzisierte, die Westfalen hätten genau zwei Gesichter: "Schwarz und weiß." Auch Kommentator Jonas Friedrich äußerte in seinem Schluss-Statement, der Spielverlauf und die Darbietung des BVB seien "nicht zu erklären aufgrund dieser brutalen Dynamik, dieser brutalen Fallhöhe".
BVB-Trainer Edin Terzic: "Was soll ich sagen?"
Dass es einem dieser Verein und nun auch die aktuelle Mannschaft seit Jahren schon nicht leicht machen, Erklärungsansätze für die Dramatik und Ambivalenz zu finden, die den BVB in seinen Spielen in steter Regelmäßigkeit begleiten, ist freilich nichts Neues. Selbst Kehl und Terzic sprachen nach bizarren Auftritten bereits mehrfach davon, dass diese für sie unerklärlich seien. Am Samstag lautete Terzics Kommentar lapidar: "Was soll ich sagen? Mit uns wird es definitiv nicht langweilig in dieser Saison."
Gegen Gladbach kamen das Momentum und der Leistungsaufschwung mit drei Toren in 15 Minuten aus dem absoluten Nichts. Im Grunde weiß man in diesen Momenten als Beobachter gar nicht, ob das Team nach dem Spielverlauf zuvor wirklich psychisch angeknockt war, wonach es ja eigentlich eindeutig aussah, oder eben doch nicht.
Diese Höhen und Tiefen, durch die der BVB seit geraumer Zeit geht, als Klub wie teils innerhalb von 90 Minuten, machen Konstanz auf einem noch höheren Niveau natürlich so gut wie unmöglich. Darum passt das Wort "Fallhöhe" auch sehr gut. In Phasen, in denen die Dortmunder nicht Partie für Partie gewinnen wie noch in der vergangenen Rückrunde, ist die nächste Unruhe, sind die nächsten nicht einfachen Tage meist nur ein Spiel entfernt.
BVB: Bei "Hattrick" mal wieder in den Krisenmodus?
Das gilt derzeit erst Recht. Mit dem Gladbach-Spiel startete die Borussia in einen maximal anspruchsvollen Block mit nun noch sieben Spielen bis zum 19. Dezember. In denen wird nicht nur über das Fortkommen in Champions League und DFB-Pokal entschieden, sondern inklusive der Bundesligaspiele auch grundsätzlich darüber, wie das Halbjahreszeugnis für den BVB ausfällt. Die Misere in Herbst und Winter hatte bereits in den vergangenen zwei Jahren Einzug erhalten. Ein "Hattrick" würde Dortmund mal wieder in den Krisenmodus stürzen. Es braucht Leistungen am Limit, ohne Tiefschlafphasen.
"Das ist ein super Schritt gewesen", sagte Torhüter Gregor Kobel nach dem Sieg gegen Gladbach. "Das tut gut und gibt Selbstvertrauen, wenn man sich so zurück kämpfen kann. Diesen Schwung müssen wir mitnehmen." Zum ersten Mal seit Januar 2022 holte die Borussia wieder einen Zwei-Tore-Rückstand auf. Nach Rückstand errang man jetzt schon elf Punkte (nur der FC Augsburg ist besser, 12).
Man darf aber gewiss geteilter Meinung sein, ob die Leistung des Vizemeisters, obschon er die Begegnung in Halbzeit zwei endlich auch kontrollierte, wirklich ein Schritt nach vorne war. Oder ob sie angesichts der unterirdischen Startphase eine solche Bezeichnung gar nicht verdient hat.
BVB: Die Wahrheit wird sich bald zeigen
Die Wahrheit liegt selbstredend auf dem Platz und wird in Bälde sichtbar sein. Kobel und sein Team können sich trotz der exzellenten Ausgangslage in der schwierigen CL-Gruppe mit einer Niederlage am Dienstag in Mailand arg in die Bredouille bringen - und am Sonntag wartet beim unglaublich souveränen Tabellenführer aus Leverkusen die nächste Auswärtsfahrt.
Geht dieses Spiel in die Hose und gewinnen die Bayern zuvor ihr Heimspiel gegen Union Berlin, betrüge der Abstand auf Bayer 13 und auf Bayern elf Punkte. Das wäre ähnlich bedenklich wie Dortmunds Anfangsphase gegen Gladbach und die beiden Auftritte zuvor in der Bundesliga. Die Diskussionen um den Klub würden unvermindert weitergehen, vermutlich sogar noch an Fahrt aufnehmen.
"Moral, Energie, Glauben" seiner Mannschaft hat Terzic am Samstag gelobt. Es hat mal wieder einen gehörigen Wachmacher benötigt, um diese Werte zum Vorschein zu bringen. Dank ihnen scheint nun erst einmal Ruhe. Doch sie ist trügerisch und könnte schon bald vorbei sein.
BVB: Die restlichen Spiele von Borussia Dortmund im Jahr 2023
Datum | Wettbewerb | Gegner |
28. November, 21 Uhr | Champions League | AC Milan (A) |
3. Dezember, 17.30 Uhr | Bundesliga | Bayer 04 Leverkusen (A) |
6. Dezember, 20.45 Uhr | DFB-Pokal | VfB Stuttgart (A) |
9. Dezember, 18.30 Uhr | Bundesliga | RB Leipzig (H) |
13. Dezember, 21 Uhr | Champions League | Paris Saint-Germain (H) |
16. Dezember, 15.30 Uhr | Bundesliga | FC Augsburg (A) |
19. Dezember, 20.30 Uhr | Bundesliga | 1. FSV Mainz 05 (H) |