Viktor(y) und seine Jugendherberge

Nur noch bedingt aktuell: Franco Di Santo wurde mittlerweile durch Aron Johansson ersetzt
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Vor dem Start der 53. Bundesliga-Saison stellt SPOX alle 18 Klubs vor - mit allen Transfers, Hintergründen und der Saison-Prognose. Diesmal: Werder Bremen.

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Werder hat eine turbulente Saison hinter sich: Bereits nach dem 9. Spieltag wurde Trainer Robin Dutt geschasst, nachdem sein Team die Saison mit vier Unentschieden und fünf Niederlagen begonnen hatte. Viktor Skripnik übernahm die Bremer folglich auf dem letzten Saisonplatz, erwies sich gemeinsam mit Co-Trainer Torsten Frings aber bald als Glücksgriff.

Die Saison wurde auf dem 10. Tabellenplatz beendet, bis zum Schluss hatte Werder sogar Chancen auf die Europa League. Das Tandem Skripnik/Frings geht nun in seine erste komplette Saison, hatte im Sommer allerdings auch mal wieder den Abgang einiger Leistungsträger zu verkraften.

Fußballerisch sollte sich nun dennoch erstmals die Spielphilosophie Skripniks zeigen, die sich vom biederen Dutt-Fußball eigentlich gravierend unterscheidet. Aber auch die Abwehr soll sicherer stehen als zuletzt (65 Gegentore, Platz 18).

Das ist neu:

Bis zuletzt hatten die Bremer gehofft, Franco Di Santo doch noch zu halten, und hatten dabei sogar ihre eigentlich sparsame Finanzpolitik bis aufs Äußerste gedehnt. Es half nichts: Di Santo ist nun Schalker, mit ihm und Davie Selke fehlen die beiden besten Stürmer der Vorsaison. Manager Thomas Eichin hat für deren Ersatz nun beinahe 9 Millionen Euro investiert.

Anthony Ujahs Verpflichtung wurde schon am Ende der Vorsaison fix gemacht, sodass er die komplette Vorbereitung absolvieren konnte und sich dabei auch sehr gut zurechtfand. Er traf nahezu nach Belieben (auch im Pokalspiel gegen Würzburg) und scheint mit seiner positiven Art auch als Spaßvogel ein passender Ersatz für Di Santo werden zu können.

Beim anderen neuen Stürmer herrschen dagegen Fragezeichen vor - aufgrund des späten Abgangs Di Santos wurde Aron Johansson erst in der vergangenen Woche verpflichtet und konnte bisher kaum Trainingseinheiten bei Werder absolvieren.

Skripnik drückte beim "absoluten Wunschspieler" folglich auf die Bremse: "Mit Ujah haben wir alles richtig gemacht, der bringt seit dem ersten Tag, was wir brauchen. Wenn das jetzt wieder so klappt, bin ich überglücklich. Aber ich habe auch Verständnis, wenn es etwas dauert", sagte der Coach zur Kreiszeitung Syke.

Sofortige Leistungen erhofft man sich hingegen von Felix Wiedwald, der Werder nach Jahren als Schießbude endlich wieder Stabilität im Tor geben soll. Der Neuzugang aus Frankfurt dürfte als Nummer eins gesetzt sein. Dahinter stehen Raphael Wolf und Perspektivtalent Michael Zetterer zur Verfügung.

Auch unmittelbar vor Wiedwald gibt es mit Sebastian Prödl einen wichtigen Mann zu ersetzen. Mit der Winter-Verpflichtung Jannik Vestergaard steht der neue Abwehrchef aber bereits in den Startlöchern, um den Platz neben ihm kämpfen Assani Lukimya und Alejandro Galvez. Auch Ulisses Garcia könnte dort aushelfen, wenngleich er in erster Linie für die linke Abwehrseite eingeplant ist.

Mit seinen erst 19 Jahren passt Garcia zudem sehr gut zur neuen Ausrichtung der Bremer unter Skripnik: Es wird vermehrt auf die Jugend gesetzt. Gleich fünf Spieler aus der zweiten Mannschaft bekamen Profiverträge und vor allem Maximilian Eggestein werden bereits sehr gute Chancen auf eine feste Rolle eingerechnet. Aber: "Wir müssen abwarten, wie gerade unsere jungen Leute mit dem Ergebnisdruck umgehen werden", so Skripnik.

Die Taktik:

Als Skripnik die Mannschaft von Dutt übernahm, stabilisierte er zunächst vor allem die Defensive und ließ de facto häufig mit drei Sechsern vor der Viererkette spielen, obwohl offiziell zumeist die klassische Raute auf dem Spielbogen zu finden war. Diese Ausrichtung war allerdings in erster Linie der dringenden Ergebnisnot und weniger seiner eigenen Philosophie geschuldet.

Wenngleich Werder seine Konterstärke nun sicherlich nicht aufgeben will, ist Skripnik eigentlich eher ein Verfechter davon, selbst das Spiel zu machen, wie sich im späteren Saisonverlauf auch zumindest teilweise zeigte. Nach einer kompletten Vorbereitung mit dem Team sollte davon in der neuen Saison auch mehr zu sehen sein, auch wenn dies ein gewisses Risiko birgt.

Personell gibt es dabei einige Umstellungen, das taktische Konzept wird aber zumindest in der Anfangszeit auf jeden Fall die Werder-Raute sein. Mit Philipp Bargfrede als gesetztem Sechser, der aufgrund seiner Zweikampfstärke als Liebling Skripniks gilt, sowie zumeist dem unermüdlichen Junuzovic und Kapitän Clemens Fritz auf den Halbpositionen.

Mit Theodor Gebre Selassie und (Ulisses oder Santiago) Garcia als Außenverteidigern, die wie bei Werder üblich die Seiten beackern und sich häufig vorne einschalten sollen. Auch die Mittelfeldspieler werden sich vermehrt auf die Flügel begeben müssen, um das kopfballstarke neue Sturmduo mit Flanken zu füttern.

Skripniks hat bisher allerdings auch gezeigt, dass er nicht stumpf versucht, Spieler in ein taktisches Konzept zu zwingen - in dieser Hinsicht ist er mehr Pragmatiker als Idealist. Wenn sich mit der Raute kein Erfolg einstellt, sind bei ihm stets Anpassungen denkbar. In der Vorbereitung kam häufiger beispielsweise auch ein defensives 4-1-4-1-System zum Einsatz, das insbesondere dann genutzt werden dürfte, wenn ein Vorsprung verteidigt werden muss.

Der Spieler im Fokus:

Maximilian Eggestein. Gerade mal 18 Jahre alt, legte der offensive Mittelfeldmann eine richtig gute Vorbereitung hin und empfahl sich völlig überraschend für die Position des Zehners. Skripnik setzte den Youngster sowohl bei Tests gegen West Ham und den FC Sevilla als auch in der ersten Pokalrunde von Beginn an ein.

"Ich kann gar nicht glauben, wie schnell das alles gegangen ist", so Eggestein. Dabei hat er einen entscheidenden Vorteil: Er spielte bereits in der U17 und der U23 unter Skripnik und kennt den Stil seines Trainers gut. Auch Rouven Schröder ist bereits ein Fan: "Er bewegt sich so clever, er weiß, wo die Kugel hinkommt", sagte der Sportdirektor über Eggestein.

Gut möglich, dass er auch in der Bundesliga von Beginn an Einsatzzeit sehen wird, auch wenn es körperlich natürlich noch an einigem fehlt. Seine Leistung gegen Würzburg war durchwachsen, er wird trotzdem weitere Chancen erhalten. Allzu viele Spieler mit dem Profil für die Position hat Werder nicht, und auch der vermeintliche "Hauptkonkurrent" Fin Bartels ist auf anderen Posten eigentlich besser aufgehoben.

Maximilian Eggesteins Statistiken der Saison 2014/15

Die Prognose:

Werder geht wieder einmal als kleine Wundertüte in die neue Serie. Potenzial ist vorhanden - die gute Vorbereitung ohne eine einzige Niederlage weckte im Umfeld auch prompt wieder Ambitionen in Richtung Europa, selbst wenn sich die Protagonisten dagegen wehrten.

Das Pokalspiel in Würzburg hat aber wohl mehr über den tatsächlichen Leistungsstand der Bremer verraten als die Testspiele zuvor. Es sind einige neue Gesichter dabei, vor allem sehr viel Jugend und wenig Erfahrung. Die Truppe wird noch Zeit brauchen, bis die Abläufe passen und bis man sich richtig eingespielt hat, gerade in der Offensive.

Gleichzeitig sollte Werder aber auch nichts mit dem unmittelbaren Abstiegskampf zu tun haben und weniger Turbulenzen erleben als in der vorigen Saison. Eine Ausbeute ähnlich dieser Spielzeit - Platz 10, 43 Punkte - sollte bei erkennbaren spielerischen Fortschritten als Erfolg gewertet werden.

Eichin formulierte es richtig, als er ankündigte, mit dem Prinzip "Fördern und Fordern" der Jugend "stabil durch die Saison kommen" zu wollen. Die Mannschaft steht noch am Anfang ihrer Reise.

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