Die Narben scheinen verheilt

Von Stefan Moser
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© Getty

Wenige Tage vor dem Start der Bundesliga stellt SPOX alle 18 Klubs in der großen Vorschau-Serie vor - mit allen Transfers, Hintergründen und der Saison-Prognose. Diesmal: Hannover 96.

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Die abgelaufene Saison mit Hannover 96 war für Trainer Dieter Hecking das schwerste Jahr seiner Bundesligakarriere. Nach der Trennung von Sportdirektor Christian Hochstätter wurde der 44-Jährige zum alleinigen Sündenbock der Fans.

Mit 69 Gegentoren die schwächste Abwehr der Liga, Platz 18 in der Auswärtstabelle sowie der unglückliche Abschied von Michael Tarnat führten in der Summe zu einer ungewohnt gehässigen Stimmung im Fanblock. Blitzableiter war der Trainer, der sich zum ersten Mal "Hecking raus!"-Rufe anhören musste.

"Für mich war es das erste Mal, dass ich derart unter Druck stand", sagte Hecking im Gespräch mit SPOX. Allerdings, so der 44-Jährige, habe er die Krise auch genutzt, um wichtige Erfahrungen zu sammeln und aus eigenen Fehlern zu lernen.

In der Tat scheinen die Narben aus der abgelaufenen Saison einigermaßen verheilt. Im Traininglager in Kärnten machte Hecking einen aufgeräumten, selbstbewussten und lockeren Eindruck, auch innerhalb der Mannschaft scheint seine Führungsrolle wieder voll etabliert.

Bei Klubboss Martin Kind genießt der Trainer ohnehin viel Vertrauen. Trotzdem: Die Fans sind sensibilisiert - um in Ruhe arbeiten zu können, muss Hecking gerade zu Saisonbeginn dringend punkten. Problem: Die Verletztenmisere aus der vergangenen Saison setzte sich auch im Sommer fort. Altin Lala, Leon Andreasen und Jan Schlaudraff werden zum Saisonstart definitiv fehlen.

Das ist neu

Bislang hat Hannover nur drei Spieler verpflichtet. Karim Haggui soll die Abwehr stabilisieren, zeigte in den Tests phasenweise ordentliche Leistungen und wird wohl zusammen mit Christian Schulz die Innenverteidigung bilden. Constant Djakpa und Valdet Rama haben Potential, müssen sich aber erst noch entwickeln (Der Kader von Hannover 96).

Neu ist auch Motivationscoach Peter Boltersdorf, mit dem Hecking schon in Aachen zusammengearbeitet hat. Neben der individuellen Ansprache an die Spieler will der Trainer mit seiner Hilfe vor allem gruppendynamische Prozesse analysieren. Die Maßnahme scheint sinnvoll, nachdem das Teamgebilde im letzten Jahr nicht immer stabil wirkte. Auch mit der Einstellung der Mannschaft war Hecking des öfteren unzufrieden.

Ein wichtiger "Neuzugang" ist in jedem Fall Sportdirektor Jörg Schmadtke. Eine Erleichterung für Hecking, der einräumt, dass er in der Doppelfunktion als Trainer und Manager in der Rückrunde zweitweise überfordert war. Mit Schmadtke bildete er in Aachen schon ein erfolgreiches Gespann.

Die Taktik

Als Reaktion auf die 69 Gegentore stellte Hecking im Sommer von 4-2-3-1 auf ein 4-4-2 mit Raute um. Die Idee: Durch diszipliniertes Verschieben im Zentrum noch kompakter stehen, den Gegner auf die Außen zwingen um dort ins Pressing zu kommen.

Mit zwei Anspielstationen in der Spitze und Arnold Bruggink als Schaltstelle soll das Spiel nach vorne außerdem schneller, effektiver und attraktiver werden. Problem: Beide Außenverteidiger sind in der Vorwärtsbewegung noch zu bieder, über die Flügel entsteht zu wenig Druck.

Ohne den verletzten Schlaudraff und den formschwachen Mikael Forssell fehlt es an Alternativen im Sturm. An beiden Problemen arbeiten die Niedersachsen: Schmadtke sondiert den Markt nach einem Angreifer und einem Rechtsverteidiger.

Der Spieler im Fokus

Arnold Bruggink. "Er ist im neuen System mein Spielmacher", so Hecking, "er soll bei Ballgewinn sofort im Spielaufbau eingebunden werden." Bruggink hat das Zeug zum Regisseur, kann die entscheidenden Pässe spielen und ist torgefährlich. Allerdings ist der 32-Jährige recht langsam. "Ich kenne die Kritik, aber wenn er auch noch schnell wäre, würde er nicht bei Hannover spielen", sagt Hecking gewohnt trocken.

Bruggink größtes Problem: In seinen drei Jahren in Hannover spielte er immer eine schwache Hinrunde und drehte dann in der Rückrunde auf. Wenn der Niederländer endlich Konstanz in seine Leistungen bringt, kann er zum entscheidenden Faktor für 96 werden.

Das Interview

SPOX: Ist eine Analyse der Gruppendynamik auch eine Reaktion auf die letzte Saison, als das Teamgebilde nicht stabil war?

Hecking: Das ist einer der Ansätze. Das Fehlen einer klaren Hierarchie lag allerdings auch daran, dass wir fast über die komplette Saison immer sechs bis neun verletzte Stammspieler hatten. So kann sich kein stabiles Gesamtgefüge entwickeln. Dadurch ist vieles ins Wanken geraten.

SPOX: Trotzdem hatten einige Spieler aber auch Probleme mit dem für Hannover ungewohnt hohen Konkurrenzdruck im Kader.

Hecking: Entsprechende Äußerungen der Spieler muss man tatsächlich hinterfragen. Und auch die Spieler selbst müssen sich hinterfragen. Sie können ja nicht erwarten, dass sie ihren Platz geschenkt bekommen. Das war für manche Spieler vielleicht neu, aber sie müssen den Konkurrenzkampf annehmen, wenn sie nach vorne kommen wollen. Wir haben den Konkurrenzdruck ja bewusst erhöht. Ich als Trainer will einen starken Kader, um auf Ausfälle reagieren zu können. Und auch der Verein will sich weiterentwickeln.

Das komplette Interview mit Dieter Hecking

Die Prognose

Die Fans wünschen sich sehnlich ein Ende des "40-Punkte-Denkens", realistisch betrachtet wird es aber erneut "nur" darum gehen, sich möglichst früh aus dem Abstiegskampf zu verabschieden.Viel wird vom Saisonauftakt abhängen: Wenn es gelingt, das angekratzte Selbstbewusstsein aufzupolieren und eine Aufbruchsstimmung zu erzeugen,  ist ein einstelliger Tabellenplatz drin.

Hecking: "Wenn alles optimal läuft ist ein achter Platz möglich. Bei einem normalen Saisonverlauf wäre ich mit Platz neun bis zwölf zufrieden."